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"Bei manchen ist es wie eine Sucht"

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 Am 2. Februar läuft „Unlike U“ in deutschen Kinos an. Die Dokumentation liefert ungekannte Einblicke in die Berliner „Trainwriter-Szene“. Vier Generationen von Sprühern – die ältesten sind 40 Jahre alt – erzählen von ihrer Leidenschaft, illegal Züge zu bemalen. Henrik Regel, 31, Björn Birg, 29, haben über sechs Jahre Kontakte in die Szene aufgebaut und Aufnahmen gesammelt.    

Die Sprüher, die in eurem Film zu Wort kommen, malen alle schon seit mehreren Jahren. Viele sind Ende 20, Anfang 30. Was treibt die Menschen dazu, noch immer nachts Züge zu bemalen und sich diesem Risiko auszusetzen?
Unsere Erfahrung bei den Interviews war, dass sie im Laufe der Jahre so sehr in den Bann gezogen wurden, dass sie gar nicht mehr anders können.  Das Adrenalin beim Malen, die Vorbereitungszeiten, die ganze Energie, die notwendig ist, einen Zug zu bemalen - all das ist wie eine Mission. Das hat eine gewisse Anziehungskraft. Trains sind ja die Königsdisziplin des Sprühens; man muss technisch sehr gut sein, aber gleichzeitig auch sehr viel planen.  

Viele denken bei Graffiti an Teenager...
Graffiti ist zwar eine Jugendkultur, aber die Sprüher sind Künstler und haben eine große Leidenschaft für ihre Sache. Bei manchen ist das fast wie eine Sucht, sie kommen nicht mehr davon los. Die meisten hören auf, nachdem sie einmal erwischt worden sind. Andere, und mit vielen von denen haben wir gesprochen, machen weiter.  

Welcher der Sprüher hat euch am meisten beeindruckt?
Alle haben bewegende Geschichten zu erzählen. Deswegen ist es schwer, das zu gewichten. Am faszinierendsten war vielleicht „The City Famous“, der älteste im Film, der den Weg am längsten gegangen ist. Insgesamt war die Offenheit beeindruckend, mit der die Leute mit uns gesprochen haben. Sonst weiß man ja wenig über die Schattenseiten dieser Leidenschaft.  

Welche sind das?
Teilweise geben die Sprüher ihr bürgerliches Leben für diese Kunst auf. Bei manchen geschieht das bewusst, andere rutschen immer tiefer hinein, ohne es zu merken. Sie vernachlässigen ihr soziales Umfeld, haben nur noch Freunde, die auch malen, alles dreht sich nur noch ums Sprühen  

Im Film geht es auch um einen Sprüher, der ums Leben gekommen ist.
Das Interview mit seinem Bruder war natürlich sehr beeindruckend. Er hat sich sehr reflektiert über den Tod geäußert. Bei seinem Selbstmord hat Graffiti auch eine große Rolle gespielt. Aber das ist ein heikles Thema, zu dem wir nicht noch mehr sagen möchten. Wen es wirklich interessiert, der soll „RUZD 79, The Ultimate Blackbook“ lesen – das ist seine Geschichte. 

 Alle Porträtierten sind Männer. Gibt es eigentlich auch Frauen, die malen?
Ja, es gibt auch Frauen in der Szene, aber sie sind sehr selten. Vielleicht liegt es daran, dass Trainwriting viel mit Angstüberwindung, körperlicher Kraft und manchmal auch körperlichen Auseinandersetzungen zu tun hat. Mag sein, dass es das zu einer Männerdomäne macht.  

http://www.youtube.com/watch?v=Wjb5oBXku6M&feature=fvsr

Die Arbeiten zu dem Film haben über sieben Jahre gedauert. Wie schwer war, es die Kontakte aufzubauen?
Das hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Wir kennen im weiteren Umfeld ein paar Leute, die aktiv Züge malen. So haben wir die ersten Kontakte geknüpft. Aber die Sprüher sind natürlich sehr misstrauisch. Manchmal wurden wir auch getestet.  

Wie denn?
Sie haben uns Informationen zugespielt und einfach geschaut, wie wir damit umgehen. Die Szene ist ja sehr klein, früher oder später kommt alles raus.  

Kommt ihr selbst aus der Szene?
Früher haben wir etwas rumprobiert, aber Züge haben wir nie gemalt. Uns hat aber diese Leidenschaft und der Lebensstil dieser Leute fasziniert: Die Menschen riskieren unglaublich viel, und kriegen dafür kaum etwas zurück.  

Wie seid ihr an das Material gekommen?
Interviews haben wir natürlich selbst gedreht. Die illegalen Sachen wurden uns anonym zugesandt. Oft mussten wir zusichern, dass wir das Material anschließend vernichten.  

Was musstet ihr von rechtlicher Seite beachten?
Dass wir keine Anleitung zu Straftaten geben. Man erfährt im Film nicht, wie und wo man am leichtesten einen Zug sprüht. Wir hatten einen Anwalt, der uns in solchen Fragen beraten hat. Außerdem haben wir versucht, die Sache möglichst wertfrei darzustellen. 

Manchmal wundert man sich, wie lange sich Graffiti schon hält. Was hat sich in den letzten 20 Jahren verändert?
Graffiti ist heute viel weiter in die Gesellschaft integriert. Vor allem in der Werbung sieht man das: Sogar bei einer Sparkassenwerbung werden Graffiti-Schriftzüge benutzt.  

Dabei ist es für Sprüher schwieriger geworden...
Früher hatte man fünf, sechs Stunden Zeit, um einen Zug zu bemalen. Heute sind es 20 Minuten. Natürlich sind die Dosen heute auch besser, aber die Strafverfolgung hat enorm zugenommen. Deswegen gibt es die Szene so nicht mehr. Die Gemeinschaft wie früher existiert nicht mehr. Die meisten Writer kennen sich nicht mehr persönlich, sondern nur ihren Graffiti-Namen.  

Manche Leute halten Graffiti für eine Sache der Achtziger und Neunziger und sagen, heute hätte sich das zu Street Art weiterentwickelt. Was ist eure Meinung dazu?
Street Art gefällt vielen, weil es schön, bunt und einfach ist. Es ist viel leichter zugänglich als Graffiti, deswegen gefällt es ihnen besser. Für Graffiti braucht man mehr Vorwissen, zum Beispiel, um einen bestimmten Style einordnen zu können. Street Art ist eher etwas für die breite Masse und von den echten Writern eher verpönt.  

Wovon leben die porträtierten Leute so? Gibt es einen klassischen Berufsweg für Sprüher, zum Grafikdesigner zum Beispiel?
Nein, das kann so nicht sagen. Die Leute, die in unserem Film vorkommen, machen alles mögliche: Manche studieren oder gehen noch zur Schule, andere arbeiten als Koch. Aber natürlich sind alle künstlerisch begabt.

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