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Cyborgs statt Plattensammler

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Warum bezeichnest du die Musikkonsumenten von heute als Cyborgs? Für mich klingt dieser Begriff nach den Mensch-Maschinen aus irgendwelchen schlechten Science-Fiction-Filmen aus den Achtzigern. Der Begriff ist einfach interessant, weil wir in einer Welt leben, die technologisch höchst vernetzt ist und in der es uns immer schwerer fällt, dieses Moment auszumachen, wo der Konsument aufhört und die Technologie beginnt. Wir alle umgeben uns ja mit Technologien, die unseren Alltag organisieren und wir alle könnten ohne Computer, ohne Handy, ohne iPod, ohne Auto und ohne Flugzeug im Grunde genommen gar nicht mehr existieren. Oder zumindest nicht mehr die Rolle spielen, die wir Tag für Tag professionell oder privat spielen. Wir sind technologisch hoch vernetzte und verspielte Hybrid-Konsumenten, die mit ihren MP3-Playern so interagieren, dass diese Teil unserer Identität werden. Das merkt man übrigens immer dann besonders, wenn man so ein Gerät verliert. Deine Theorie geht davon aus, dass der Mensch durch den Prozess der Technotranszendenz zum Cyborg wird. Was heißt das genau? Ja, aber das ist nur die eine Theorie, wonach die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine durch die technologische Vernetzung immer uneindeutiger wird. Die andere Theorie ist die, dass wir immer schon Cyborgs waren. Man muss sich nur Naturvölker anschauen. Die gehen nämlich ganz anders mit Technologien um und konstruieren ihre Werkzeuge ganz anders als wir in der modernen Gesellschaft. Wir denken immer darüber nach, wie eine Technologie das Leben effizienter macht. Naturvölker dagegen vernetzen die Technologie wesentlich mehr mit ihrer eigenen Identität. Die moderne Philosophie und Wissenschaft der letzten zwei-, dreihundert Jahre hat den Menschen zu sehr auf sein Wesen als Homo Oeconomicus reduziert und dabei seine Existenz als Cyborg vernachlässigt. Dabei ist die Idee der Nützlichkeit zur Erklärung des Technologiekonsums vielleicht zu oberflächlich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Du schreibst, dass für den Cyborg die Shuffle-Funktion beim Musikkonsum immer wichtiger wird. Warum? Man muss sich einfach überlegen, dass zum Beispiel ein iPod bis zu 60 Gigabyte Informationsspeicher haben kann. Ich kenne Konsumenten, die mittlerweile ganze Festplatten voll mit Musik, also mehrere Terrabyte, untereinander austauschen. Da geht’s gar nicht mehr darum, was auf diesen Festplatten drauf ist, sondern nur darum, dass man weiß, dass man irgendwie Zugang dazu hat. Aber wie genau man an die Musik rankommt, ist dann die entscheidende Frage, und da ist der Shuffle-Modus eigentlich die einzige Möglichkeit. Wenn sich Menschen mal eben ganze Festplatten voll mit Songs auf ihren Rechner oder MP3-Player laden, führt das nicht zu einer Entwertung der Musik? Na ja, die Idee des intellektuellen Eigentums ist ja eine Idee der Moderne. Die Unterscheidung zwischen denen, die Musik produzieren und verbreiten, und denen, die sie passiv rezipieren, ist ja vielleicht mal dreihundert Jahre alt. Diese Dichotomie löst sich ja immer mehr auf. Natürlich heißt das nicht, dass man in Zukunft mit Musik als Content oder Intellectual Property kein Geld mehr verdienen kann. Es wird nur immer schwieriger, weil in Zukunft nicht mehr der Besitz von Musik interessant ist, sondern der Zugang zu Musik. Ownership ist deswegen nicht mehr interessant, weil Cyborgs sowieso alle möglichen Informationen zur Verfügung stehen. Das Entscheidende ist also nicht der Content, sondern die Anschlussfähigkeit. Wie komme ich in die Matrix rein, ist die Frage der Zukunft, und nicht, was konsumiere ich in der Matrix. Was außer seinem bevorzugten Abspielgerät unterscheidet denn den Plattensammler vom Cyborg? Dieses alte Rollenbild ist das eines Intellektuellen, der zuhause eine Plattensammlung hat und weiß, was er hören will. Wenn Besuch da ist, steht er vor seinem Regal und zieht zur richtigen Zeit die richtige Platte raus, so dass es alle geil finden. Das ist so dieses alte Paradigma. Das Paradigma der Zukunft ist das des Hackers. Den interessiert gar nicht, ob er das Richtige oder das Falsche rauszieht. Der will sich einfach an die Matrix anschließen und immer wieder neu vernetzen, um sich dadurch das Rauschen verschaffen, das er gerade braucht, um in unterschiedliche Stimmungen zu kommen. Der Intellektuelle will die Stimmung steuern, der Hacker will sich von der Stimmung steuern lassen. Das heißt, es kommt zu einer Deintellektualisierung des Konsumenten, der gar nicht mehr so genau weiß, was er will und welche Bands er gut findet? Ja, da schreien natürlich jetzt die ganzen Vinylsammler auf und fragen, wo denn ihre Authentizität bleibt. Der Plattensammler ist ja im klassischen modernen Sinne ein Experte, ähnlich wie ein Wissenschaftler. Er ist derjenige, der den Titel hat, der über das Wissen verfügt und deswegen damit Kontexte ausspielen kann. Das interessiert Hacker aber gar nicht mehr. In diesem vernetzten Kontext gibt es kein Oben und Unten mehr. Es gibt keine Unterscheidung mehr zwischen dem Experten und dem Laien. Beim Hacker geht es nur noch um das permanente Neuverkabeln in der Matrix. Jetzt werden besonders Musiker schockiert sein von dem, was Du sagst. Die haben sich ja schließlich monatelang im Proberaum Songs ausgedacht, nur um dann damit konfrontiert zu sein, dass ihre Musik auf irgendeiner Festplatte landet, wobei der Konsument unter Umständen nicht mal weiß, wer diese Musik überhaupt gemacht hat. Ja, das ist eine problematische Situation, die ich am eigenen Leib erlebt habe. Als ich selber noch in der Musikbranche war, und dann Napster kam, da hab ich die Welt nicht mehr verstanden. Auf der anderen Seite ist diese Idee des institutionalisierten Künstlers auch eine Erfindung der Moderne. Einer der, bevor er sich fragt, welche Musik er machen will, fragt, wie er einen Plattenvertrag bekommt. Dieses Künstlersein mit Gema-Mitgliedschaft, Labeldeal und Management ist ja Teil des kulturellen Skripts, das sich durch die Idee des intellektuellen Eigentums etabliert hat. Wenn ich als Künstler ein Problem damit hab, dass meine Musik nichts mehr wert ist, dann hab ich eine Identitätskrise. Die hat aber mehr mit meiner Rolle im kulturellen Skript des Musikmarktes zu tun als mit meiner eigentlichen Existenz als Musiker. Illustration: Daniela Pass, Foto: www.markus-giesler.com

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