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Das Leben ist schön

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Am 8. Mai, dem Jahrestag der Kapitulation Hitler-Deutschlands, ritt ein junger Mann auf einem Pferd zum Reichstag und schlug zehn Thesen an die Tür. Darin standen Sätze wie "Hoffnungen sind nicht dazu da, aufgegeben zu werden" oder "In jedem Menschen steckt eine tiefreichende Sehnsucht nach dem Schönen". Anschließend vereidigte er die Wartenden als "Helden". Knapp zwei Wochen später, am 25. Mai, tauchte die Gruppe, die sich Zentrum für politische Schönheit nennt, wieder vor dem Bundestag auf und verlas ein Gedicht. Die Beamten hielten die Aktion für eine Demonstration und stellten gegen alle Beteiligten Strafanzeige. Philipp Ruch, 28, hat den offiziellen Titel "Chefunterhändler der Schönheit" und ist so etwas wie der Pressesprecher des Zentrums für politische Schönheit. jetzt.de: Ihr seht eher aus wie Models als wie Politiker. Ist das Teil des Konzepts? Philipp Ruch:Alle Interessen sind in Deutschland organisiert. Jetzt auch das Interesse an Größe und Schönheit. Schönheit als Begriff ist so gut wie ausgestorben. Es gibt nur noch einen Ahnungsrest. Die meisten verstehen unter „Schönheit“ Laufstegschönheit. Wir sind der Meinung, dass es so etwas wie politische Schönheit gibt und geben muss. Am 8. Mai habt ihr zehn Thesen an den Bundestag genagelt. In einer hieß es: „Ohne das Erlebnis von Schönheit sind die menschlichen Erfahrungen unvollständig“. Schönheit hat viel mit dem subjektiven Empfinden zu tun. Was bedeutet sie für euch? Der Auslöser von Schönheit mag subjektiv sein. Das Gefühl von Schönheit kennen alle Menschen. Jeder vermag Schönheit zu empfinden und die, die es nicht kennen, leben verdammt traurig. Sollte Politik nicht vor allem sinnvoll und nützlich sein? Warum nun auch noch schön? Wenn wir wollen, dass Menschen ernsthaft am politischen Leben teilhaben, muss Politik inspirieren und anziehen. Das geht nicht ohne poetische Kräfte. Zur Wahl des Bundestagspräsidenten habt ihr das Gedicht “An die Schönheit” von Ernst Stadler rezitiert. Gegen euch wurde dann Strafanzeige gestellt, weil die Aktion nicht als Demonstration angemeldet worden war. Meint ihr das mit Poesie? Gedichte können Menschen besser machen. Mit Poesie in der Politik meinen wir aber große Ziele, die unsere Zeit überdauern. Ziele, die für etwas Episches stehen, das die Welt besser macht. Etwas wie die „Obamania“? Keinen Personenkult, sondern so etwas wie eine Brücke von Afrika nach Europa, damit keine Flüchtlinge auf dem Weg zu uns ertrinken. Ein gutes Beispiel für einen Akt politischer Schönheit ist Ariel Scharon. Jahrelang war er als israelischer Ministerpräsident für seine harte Linie gegen die Palästinenser bekannt. Kurz vor seinem Ende leitete er den Rückzug aus Gaza ein. Scharons Entscheidung gehört mithin zum Größten, was politisch in letzter Zeit zu sehen war. Euer Bundeskanzlerkandidat ist Bill van Bergen. Tretet ihr denn als richtige Partei zur Bundestagswahl an? Ja. Wir suchen derzeit Menschen, die gewillt sind, darüber nachzudenken, wie man etwas unfassbar Schönes tun kann. Das sind unsere zukünftigen Mitglieder. In den bestehenden Parteien gibt es nicht einmal eine Einrichtung, die dazu da ist, „herumzuspinnen“. Wir haben einerseits eine Denkfabrik gegründet, andererseits eine Partei, die für diese Entwürfe politischen Druck erzeugt. Wir brauchen größere, schönere und mutigere Visionen dessen, was wir als Gesellschaft erreichen wollen. Mutigeres als die Abwrackprämie. Wie viele Leute seid ihr denn momentan? Wir bestehen aus einem künstlerische Kernteam von sieben Leuten. Und wir haben derzeit 30 Partei- und Thinktank-Mitglieder.

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Seid ihr Kapitalismuskritiker? Nein. Wir glauben, dass sich die radikallinken Ideologen irren. Der Begriff „Kapitalismus“ ist eine Erfindung des frühen 20. Jahrhunderts. Marx selbst sprach nur vom „Kapital“. Der Vorgängerbegriff zum „Kapitalismus“ lautete: „Handel“. Es sollte jenen Ideologen zu denken geben, dass sich in 2500 Jahren Ideengeschichte kein einziger der großen politischen Philosophen gegen „Handel“ ausgesprochen hat. Globalisierungskritiker sind auch nicht gegen Handel, sie fordern nur einen faireren Handel… Die Vermeidung von Unrecht ist notwendig und schön. Die Wirtschaft quellt über vor Unrecht. Aber wenn man etwas in Frage stellen will, dann nicht das System, sondern den Menschen. Prinzipiell ist Handel etwas, das alle Beteiligten reicher machen kann. Wir handeln im Übrigen mit der Schönheit. Auf eurer Website steht: „Die westliche Wirklichkeit besteht nicht aus Ideologie, Propaganda oder Theorien. Unsere Wirklichkeit zeichnet sich gerade durch ihre Abwesenheit aus.“ Habt ihr Sehnsucht nach einer neuen Ideologie? Ja. Wir beklagen das Fehlen von geistiger Orientierung. Wir leben in einem geistig uninspirierten Vakuum. Aber nicht, weil dieses Vakuum nicht zu füllen wäre, sondern weil wir keinen Blick in die großen Bücher wagen. Orientierungsmöglichkeiten gibt es genug, es fehlt an Reiseführern. Euch geht es also eher um die Begeisterungsfähigkeit? Wir wollen tatsächlich junge Menschen zu politischem Handeln inspirieren. Wir glauben, dass das nur über eine glaubwürdige Quelle wie die Poesie wirklich funktioniert. Jedes Jahr werden Millionen investiert, um junge Menschen für die Politik zu begeistern. Aber man begeistert nicht durch Fördergelder, sondern durch Visionen und Ziele. Auch die Politik kommt um gewisse Anforderungen nicht vorbei. Wenn sie überzeugen will, muss sie episch werden. Dann brauchen wir den Willen zu epochalen Leistungen. Wer bei euch Mitglied werden will, muss pro Jahr eine Ideenskizze einreichen. Was meint ihr damit? Wir verlangen keinen monetären Beitrag, sondern einen politischen Interventionsbeitrag. Wir verstehen uns als Organisatoren von Schönheit und Größe. Das bedeutet, dass wir wirklich auf Mitglieder angewiesen sind.

Text: philipp-mattheis - Fotos: www.political-beauty.de

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