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“Das Problem ist nicht der Holocaust-Witz”

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jetzt.de: In deinem Buch und auch in einem Artikel in der  New York Times schreibst du, warum du dich in Deutschland nicht mehr wohl gefühlt hast. War es wirklich so schlimm?
Yascha Mounk: Schlimm war es sicher nicht. In meinem Buch beschreibe ich, wie ich in Deutschland aufgewachsen bin. Ich hatte Familie, Freunde und eine schöne Jugend. Aber je älter ich geworden bin, desto mehr habe ich gemerkt, dass ich nicht so ganz dazugehöre. Wenn ich erwähnt habe, dass ich Jude bin, war das für viele Deutsche das Wichtigste an mir. Das wurde auf Dauer anstrengend.

Warum ist es den Deutschen denn wichtig, dass du Jude bist?  
Dass ich Jude bin, prägt ihre Wahrnehmung von mir. Dabei hatte das für mich selbst nie eine besondere Bedeutung. Als ich dann vor acht Jahren nach New York gezogen bin, konnte ich Bekannten gegenüber erwähnen, dass ich Jude bin, und es war ihnen einfach egal. Das war sehr befreiend.  

Sind deine Erlebnisse in Deutschland denn so negativ?  
Das hat nicht unbedingt etwas mit negativ oder positiv zu tun. Der Umgang zwischen Juden und Nichtjuden ist einfach noch immer ziemlich befangen. Wenn ich Leute zum ersten Mal treffe, bin ich für die ein ganz normaler Deutscher: Ich sehe deutsch aus und spreche ohne Akzent, also gehöre ich dazu. Dann kommt irgendwann zufällig raus, dass ich Jude bin und sofort entsteht eine unheimliche Distanz. Plötzlich bin ich eben kein normaler Deutscher mehr, sondern vor Allem: Jude.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Und darauf reagieren die Leute anders?  
Viele sind einfach neugierig weil es ja tatsächlich wenige Juden in Deutschland gibt. Fragen nach der Religion, nach der Geschichte etc. Das finde ich natürlich völlig in Ordnung.    

Aber du meinst, es gibt auch oft offenen Antisemitismus?  
Ach, hin und wieder gibt es den auch. Aber seltsamerweise finde ich es einfach, damit umzugehen. Einem echten Antisemiten kann ich stolz sagen: Ich bin Jude. Mach doch damit, was du willst. Schwieriger sind die Philosemiten – also Leute, die besonders nett zu einem sein wollen.    

"Mit Philosemiten umzugehen, ist viel schwieriger als mit Antisemiten."

Wo liegt da das Problem?  
Das Problem ist, dass dieser ganze gute Willen trotzdem fehlgerichtet ist. Wenn mir jemand erzählt, wie schön die hebräische Sprache ist, oder was für tolle Filme Woody Allen macht, ist das natürlich nett gemeint. Trotzdem fühle ich mich dann doch wieder wie einer, der nicht dazugehört. Und mit solchen Philosemiten umzugehen, ist viel schwieriger. Die wollen mir ja nichts Böses – da kann ich nicht sagen: Hey, du Arschloch, jetzt hör mal damit auf, mich wie einen Außerirdischen zu behandeln!  

Da spricht eben noch immer ein Schuldgefühl aus den Leuten ...  
Bestimmt. Und das führt dann zum nächsten Problem: Genau dagegen rebellieren nämlich jetzt viele junge Menschen. Die wollen sich nicht mehr schuldig fühlen und verstehen auch nicht, warum ihre Eltern so herumdrucksen, sobald es um irgendein jüdisches Thema geht.  

Aber das ist doch genau, was du willst? Normal behandelt werden.
Der Impuls ist ja auch nicht falsch. Aber wenn Leute davon reden, dass wir endlich mal einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen müssten, schleicht sich leider oft eine gehörige Portion Aggressivität rein. Viele vergessen die Vergangenheit nicht wirklich – sondern bestehen nur laut darauf, dass wir die Vergangenheit jetzt endlich mal vergessen müssten. Das ist ein großer Unterschied. Und das kann dann schnell sehr unangenehm werden, gerade auch im persönlichen Umgang miteinander.  


"Für mich muss ein Witz erstmal gut sein."

Ist es denn öfter unangenehm für dich geworden?  
Manchmal schon. Vor einigen Jahren war ich mit Freunden auf der Wiesn. Stephanie, eine Bekannte von mir, wollte einen Witz erzählen: „Wie kriegt man 200 Juden in einen VW-Käfer?“ Ein anderer Bekannter hat gesagt: “Lass mal…”. Das hat Stephanie dann wütend gemacht: „Ich soll die Klappe halten, weil du mir das sagst? Komm schon, ist doch nur ein Witz. Der Holocaust ist 60 Jahre her. Ich halt nicht mehr die Klappe. Wir Deutschen sollten wieder Witze über Juden machen dürfen!“    

Und wie ging der Streit am Schluss aus?  
Mit der Pointe: „Vergasen, verbrennen und in den Aschenbecher.“ Für mich muss ein Witz erst einmal gut sein. Dieser hier war einfach grottenschlecht.  

Das ist alles, was dich an dem Witz stört?  
Das Problem ist nicht der Holocaust-Witz an sich. In den USA und in England werden dauernd Witze über Juden, und sogar über den Holocaust, gemacht. Schau dir mal Family Guy oder South Park an. Das Problem in Deutschland ist, dass hinter solchen Witzen oft eine Wut steckt. Leute wie Stephanie sind wütend auf „die Andern“, die ihnen angeblich vorschreiben, was sie zu denken haben. Wer auch immer die anderen sein mögen – die Gutmenschen, die Ausländer, die Juden ... Ich weiß es nicht. Um dieser Wut freien Lauf zu lassen, erzählen sie dann miese Witze. Die haben eine solche Freude daran, jetzt endlich einen Witz über den Holocaust zu erzählen, dass der nicht einmal lustig sein muss. Das ist an sich schon entlarvend.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Im Grunde ist der Wunsch nach dem Schlussstrich also in Wirklichkeit ein klassischer Spruch Marke Thilo Sarrazin: „Das muss man doch mal sagen dürfen“  
Und die Motivation dahinter verstehe ich durchaus. Es gab ja wirklich mal eine Zeit, als diese ernste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit seltsame Blüten trug. Als es zum guten Ton gehörte, sich lautstark für Taten zu schämen, die man selber nicht begangen hat. Davon wollen sich viele, die nach einem Schlussstrich rufen, befreien. Da steckt also nicht unbedingt eine böse Absicht dahinter. Aber eine Lösung ist diese Art des „Wir begehren jetzt gegen die Anderen auf“-Denkens trotzdem nicht. Im Gegenteil, sie birgt Gefahren.  

Inwiefern?  
Zum Beispiel weitet sich diese Art zu denken auch schnell auf Migranten in Deutschland aus. Dann wird daraus: „Den Türken gegenüber sind wir viel zu nett gewesen. Jetzt sagen wir denen endlich mal, wo’s langgeht – und wie die sich zu verhalten haben.“ Und das ist ungerecht, denn natürlich sollte jeder das Recht haben zu Hause die eigene Sprache zu sprechen, oder ein Gotteshaus zu bauen, wo er will. Insofern kann dieses Schlussstrich-Denken durchaus echte Konsequenzen für das Miteinander verschiedener Gruppen hier in Deutschland haben.  

Aber das ganze ist doch trotz allem im Grunde nur eine theoretische Debatte...  
Na ja, diese Wut kann sich auch steigern. In meiner Schulzeit haben mir mal ein paar Jungs nach dem Unterricht aufgelauert. Sie haben mich festgehalten, einen elektrischen Rasierapparat aus der Tasche gezogen, und versucht, mir die Haare kahl zu rasieren. Einer hat gesagt: „Ihr habt uns lang genug herumgebosst. Jetzt zeigen wir euch mal, wer hier in Deutschland das Sagen hat.“ Das war dann eben ein ganz konkreter Versuch, einen Schlussstrich zu ziehen – und dass der Versuch ausgerechnet darin bestand, gewisse Szenen aus der deutschen Geschichte nachzuspielen, ist natürlich kein Zufall.

Heißt das, wir können nie darauf hoffen, dass die Beziehung zwischen Deutschen und Juden endlich normal wird?  
Eine einfache Lösung gibt es leider nicht. Bei allem guten Willen lässt sich der lange Schatten der Geschichte nicht einfach abschaffen. Eine echte Normalität im Umgang miteinander kann man nicht anordnen. Ein Anfang wäre aber gemacht, wenn wir begreifen würden, dass es Missverständnisse geben kann, ohne dass deshalb jemand schuld sein muss. Die Schwierigkeiten liegen weder daran, dass die Deutschen immer noch nicht gelernt haben, wie sie mit ihrer Vergangenheit umgehen sollen – noch daran, dass Juden immer nur in die Opferrolle schlüpfen wollen. Solange wir einen Schuldigen suchen, rückt eine echte Normalität nur in immer weitere Ferne.

Yascha Mounk, 31, ist als Sohn polnischer Einwanderer in Deutschland aufgewachsen. Bereits in der Schule stieß seine Antwort "jüdisch" auf die Frage nach der Religionszugehörigkeit stets auf Sonderreaktionen. Entweder wurde er bevorzugt oder angefeindet. Für sein Studium zog er schließlich nach New York. Mounks Buch "Stranger in my own country: A jewish family in modern germany" ist Anfang Januar erschienen.


Text: max-biederbeck - Foto: privat

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