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Das weiße Blatt Papier

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Jetzt.de: Ist es nicht ein komisches Gefühl, seinen Namen, mit dem man ein ganzes Leben gemeinsam verbracht hat, abzulegen? Ja, das ist grundsätzlich ein sehr komisches Gefühl. Ich radiere meinen Namen in gewisser Weise aus. Genau deswegen erhoffe ich mir von diesem Schritt aber auch eine Art Befreiung. Von was? Von der Vergangenheit. Mein alter Name ist der, den meine Eltern ausgesucht und benutzt haben. Damit ist er untrennbar mit dem verbunden, was mir meine Eltern angetan haben. Sie haben mich schwer misshandelt. Seit drei Jahren nutze ich einen neuen Namen und kann damit eine Person ohne Vergangenheit sein. Das ist wahnsinnig befreiend, heilend und wohltuend für mich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bild: boing/photocase.com Ist es nicht eigentlich furchtbar, eine Person ohne Vergangenheit zu sein? Doch, das ist es. Es ist furchtbar traurig, ein Mensch ohne Wurzeln zu sein. Manche Gerüche, Freunde oder Erlebnisse wie das Apfelklauen damals als Kind habe ich abgespeichert tief in mir drinnen. Alles andere will ich vergangen sein lassen. Ich meide es, Erinnerungen zu pflegen. Ich besitze kein einziges Foto von meinen Eltern, kein Möbelstück, keinen Schmuck, nichts. Falls ich je wieder einen Fuß in meine Geburtstadt setzten sollte, dann nur mit großer Sonnenbrille, Freund im Gepäck und Taschenmesser in der Manteltasche. Was genau ist das Befreiende an einem neuen Namen? Mit dem neuen Namen ist vieles einfacher geworden. Man kann sich als Person völlig neu definieren. Dieses Recht, sich neu definieren zu dürfen, fordert ja auch der Google-Chef ein. Jeder Mensch sollte sich eine neue Geschichte bauen dürfen, die nicht belastet ist von früher. Ein Name zeichnet einen. Ein neuer Name bedeutet folglich eine neue Zeichnung. Man kann sich das ganz bildlich vorstellen. Ein neuer Name ist wie ein weißes Blatt Papier, auf dem nur du selber Spuren hinterlassen wirst. Das du völlig frei mit Inhalt füllen kannst. Ist nicht das schwierigste an einem Namenwechsel, einen Namen zu finden, den keiner vor einem schon trägt? Man würde doch dann Gefahr laufen, die Identität von jemand anderem zu übernehmen? Es war ja aber bei mir nicht so, dass ich aktiv über einen Namenswechsel nachgedacht habe und anschließend aktiv nach einem neuen Namen gesucht hätte. Vor ein paar Jahren war ich auf einem Art Tiefpunkt im Leben angelangt: Stressiger Job, Beziehungsende, labile Psyche. Ich bin dann eines Abends von der Arbeit mit dem Fahrrad nach Hause gefahren und plötzlich hatte ich den Willen, alles Alte hinter mir zu lassen. Irgendwie fiel mir dann der Vorname meiner Oma ein und völlig aus der Luft gegriffen ein dazu passender Nachname. Der neue Name stand also plötzlich im Raum und hat hallo gesagt? Genau, er war einfach da und hat mir so gut gefallen, dass ich angefangen habe, ihn als Künstlername zu nutzen. Ich habe Modedesign studiert und schon immer manche meiner künstlerischen Arbeiten mit einem Pseudonym unterzeichnet. Langsam habe ich dann angefangen zu überlegen, ihn im echten Leben zu benutzen. Mit dem Jobwechsel und dem Umzug in eine andere Stadt hat sich dann auch die passende Möglichkeit für diesen Schritt ergeben. Kannst du dich denn so einfach unter einem Namen, der offiziell noch nicht dir gehört, auf einen Job bewerben? Das würde sicherlich nicht gehen, wenn ich, sagen wir mal, im Bankgewerbe oder als Grundschullehrerin arbeiten würde. Ich habe Glück, dass ich im künstlerischen Umfeld arbeite und für Bewerbungen keine offiziellen Zeugnisse, sondern vor allem Arbeitsproben vorlegen muss und das ganze Auswahlverfahren eher informell läuft. Ich habe bei dem Opernhaus einfach angerufen und gesagt, dass ich mich nicht unter meinem bürgerlichen, sondern unter einem Künstlernamen bei ihnen bewerben will. Das ging dann für alle in Ordnung. Ein Künstlername ist dir aber nicht genug. Du willst deinen alten Namen löschen und einen völlig Neuen annehmen. Geht das denn überhaupt? Sagen wir so. In Deutschland gibt es den Grundsatz der Unabänderlichkeit des Namens. Ein paar Ausnahmen von der Regel gibt es aber natürlich. Wenn der Name einer Person diese der Lächerlichkeit preisgibt zum Beispiel. Wer „Hinkebein“ mit Nachnahmen heißt, könnte eine Namensänderung durchsetzen. Ausländer, die eingebürgert wurden, können einen komplizierten oder doppelt, dreifachen Namen eindeutschen lassen. Wenn dein Vater ein bekannter Straftäter war, kannst du deinen Nachnamen auch ändern lassen. Anscheinend gibt es ja tatsächlich keine einzige Familie Hitler mehr im Telefonbuch. Und dann gibt es noch ein Transsexuellengesetz, das einem umoperierten Martin erlaubt, Martina zu heißen. Mein Fall ist der einer schweren, familienbedingten Traumatisierung. Also eine seelische Belastungslage, die mit den entsprechenden psychologischen Gutachten zur Erlaubnis für eine Namensänderung führen kann. Wie läuft dann das Verfahren ab? Ich muss zuerst etliche Unterlagen zusammensuchen: Nachweise über den Wohnaufenthalt der letzten fünf Jahre, ein polizeiliches Führungszeugnis, mein Geburtsteintrag, eine eigene Erklärung zur Motivation meines Namensänderungswunsches und ein ausführliches psychologisches Gutachten meiner Traumatherapeutin. Mit dem Stapel an Papieren werde ich dann zum Kreisverwaltungsreferat gehen und bei einer von zwei eher übel gelauten Sachbearbeiterinnen vorsprechen. Dass die Angestellten im Amt eher unfreundlich auf Namensänderungs reagieren, habe ich vor zwei Wochen erfahren müssen als ich bei einer der Beamtinnen vorbeigeschaut habe, um mich über das Verfahren zu informieren und ziemlich rigide abgewimmelt wurde. Die Beamtin hat dann in genervtem Tonfall gesagt, ich solle doch lieber die Täter bei der Polizei anzeigen als mein Namen zu ändern. Ich stand fassungslos vor ihrem Schreibtisch. Kannst du einschätzen, wie gut die Chancen sind, dass dein Namensänderungswunsch durch geht? Da gibt es leider kaum Erfahrungswerte. Zum Glück entscheidet das nicht die KVR-Beamtin, sondern eine Art unabhängige Jury, die vor ihrem Urteil Sachverständige der Schuldnerverwaltung beim Amtsgericht und die zuständige Polizeidienststelle zurate zieht. Es ist wohl so, dass viel von der Begründung für die Namensänderung abhängt. Das Paradoxe ist, dass ich weniger Chancen auf eine Namensänderung habe, wenn ich argumentiere, dass mich der neue Name vor einer Verfolgung der Täter schützen soll. Dann lehnt der Staat wohl den Änderungswunsch deshalb ab, weil er mir keinen Personenschutz versprechen will. Außerdem kommt in meinem Fall erschwerend hinzu, dass ich nicht nur ein paar Buchstaben im Namen umdrehen will, sondern einen völlig neuen Vornamen und einen völlig neuen Nachnahmen verwenden will, der dann auch noch nicht unbedingt urdeutsch klingt. Muss der neue Name denn deutsch klingen? Das heutige Namensgesetz beruht auf dem Namensänderungsgesetz von 1938. Es schaffte den Grundsatz der Namensfreiheit ab und verlangte zusätzlich, dass jeder Deutsche jüdischer Herkunft den Zweitnahmen „Sara“ oder „Israel“ in den Pass eintragen muss. Heute ist diese Klausel natürlich rausgestrichen und 1986 sind vier neue Sätze dazu gekommen, aber ansonsten ist es das Gesetz von damals, das heute noch gilt. Aus dieser Tatsache resultiert auch die Vorschrift, dass der Name, den sich eine Person neu geben will, deutscher Herkunft sein muss. Ich dürfte mich also gerne „Sibylle Müller“ nennen, aber zum Beispiel nicht „Juno Tichy“. Anfang des 19. Jahrhunderts konnte man sich übrigens noch jederzeit umbenennen. Vorraussetzung war, dass man keine kriminellen Absichten oder einen Standeswechsel mit dem Namenswechsel beabsichtigt. Kostet dich der Namenswechsel nur Nerven oder schlicht auch Geld? Die Änderung des Vornamens kostet maximal 255 Euro, die des Nachnamens 1022 Euro. Wenn die Namensänderung erlaubt wird, wird mir ein Teil der Kosten erlassen. Wird mein Antrag aber abgelehnt, muss ich die Hälfte der Kosten in jedem Fall als eine Art Verwaltungsaufwand bezahlen. Im schlimmsten Fall, werde ich also anstatt meines alten Namens 600 Euro los. Gibt es nicht einen Haufen praktische Gründe, die gegen einen Namenswechsel sprechen? Viele Freunde oder auch dein Freund haben dich doch sicherlich noch unter einem anderen Namen kennengelernt? Es ist schon ganz schön kompliziert. Ich lebe ja nun seit zwei Jahren hier und seit zwei Jahren stelle ich mich allen neuen Freunden oder Arbeitskollegen unter neuem Namen vor. Ruft aber jetzt plötzlich eine Studienfreundin aus Berlin an, muss ich schnell schalten und mich unter dem alten Namen am Telefon melden. Eigentlich weiß zwar jeder meiner Freunde von dem Namenswechsel, denn ich habe auch meine Mailadresse und Homepage komplett auf den neuen Namen umgestellt, aber für die ist es oft sehr schwierig mit der Situation umzugehen. Viele haben mich ganz vorsichtig gefragt, ob es vielleicht möglich wäre, dass sie mich so nennen wie früher und ich erlaube das auch immer, weil ich niemanden das Nutzen meines alten Namens verbieten will. Trotzdem: Neulich war ich auf Besuch in Berlin und jemand erkannte mich auf der anderen Straßenseite und rief meinen alten Namen. Ich habe gar nicht reagiert. Erst beim dritten Rufen des alten Namen habe ich meinen Kopf gehoben und rüber geblickt. Man kann ja verstehen, warum der Staat kein Interesse daran hat, dass jeder Bürger seinen Namen ändern darf. Er will eben ein bürokratisches Chaos verhindern. Aber warum scheint ein Namenswechsel auch gesellschaftlich nicht so recht akzeptiert zu sein? Weil man es sich nicht aussuchen darf. Ich nehme mir raus, etwas verändern zu wollen, was für die Mehrheit der Menschen schlicht Unantastbar ist. Viele haben nicht den Mut, den eigenen Namen abzulegen. Andere denken gar nicht erst darüber nach, ob ihnen der eigene Name gefällt oder nicht. Was der Name möglicherweise mit einem macht. Viele Leute denken insgeheim, dass der Name eine von Gott, vom Schicksal oder sonst einer höheren Instanz verteilter Tatsache ist, an der man nicht rütteln kann. Der Name ist etwas, das man nicht ändert. Nicht ändern darf. Viele finden das irgendwie anmaßend. Hilft das Internet bei Namensänderungen oder verkompliziert es einen Identitätswechsel zusätzlich? Digitale Identitätswechsel funktionieren total gut. Wer meinen alten Namen googelt, findet noch heraus, wann ich wo mein Diplom gemacht habe und wo meine erste Anstellung gewesen ist. Dann verliert sich meine Spur. Klassenkameraden müssen denken, ich sei vor vier Jahren irgendwo in Köln versumpft. Mit einem Namenswechsel plus gleichzeitigem Wechsel der Homepage und Mailadresse kann man sich recht schnell ein ganz neues Leben, eine ganz neue Identität aufbauen. Auch meine Eltern können mein Leben nun nicht mehr verfolgen. Das ist ein sehr gutes Gefühl.

Text: anna-kistner - Foto: boing/photocase.com

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