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"Der Anfang einer Beziehung ist schlimmer als ihr Ende"

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jetzt.de: Der Titel Eures neuen Albums stammt aus einer Zeile des Leonard-Cohen-Stücks "Came So Far For Beauty". Nicht unbedingt einer seiner bekanntesten Songs ... Sara: Ich kannte zunächst auch nur eine Coverversion, die mir eine Freundin schickte. Mit mir sprach der Song aber überhaupt nicht, und ich hatte auch keine Ahnung, dass er im Original von Leonard Cohen war. Ich stieß dann einige Monate später wieder darauf, als ich mir Cohen-Texte im Internet durchlas. Und plötzlich bemerkte ich die Stärke, die in der Aussage steckt. Nehmt Ihr oft andere Textstücke als Inspiration? Tegan: Wir machen das beide gerne - ein paar Worte, ein paar Zeilen lesen. Und dann überlegen wir, in welcher Verbindung sie zu unserem Leben stehen. Bei Bruce-Springsteen-Songs klappt das extrem gut. Ich habe aber auch schon einmal einen ganzen Song auf einem Chris-Isaak-Text aufgebaut. Sara: Ich finde "Came So Far For Beauty" so spannend, weil es viele Fragen aufwirft. Mit unserem letzten Album "The Con" beschäftigten wir uns vor allem mit dem Ende von Beziehungen, mit dem Tod, was wohl jeder als schwerwiegend und traurig begreift. Jetzt geht es darum, wie die Dinge anfangen. Um dieses Glitzern, diese Aufregung. Aber eben auch darum, dass der Beginn einer Beziehung der Moment ist, in dem man alles richtig machen möchte. Man ist also plötzlich bewusst ein guter, ein leidenschaftlicher, ein optimistischer Mensch. Das, was der neue Partner gerne isst, isst man auch gerne. Seine Lieblingssongs werden plötzlich wichtig und großartig, die Filme, die er schaut werden die, die man auch mag. Man will ja zu ihm passen, also adaptiert man sein Leben, koste es, was es wolle. Und da sind wir eben bei dieser Cohen-Textzeile. Sehr optimistisch klingt das nicht. Tegan: Ich finde tatsächlich, dass der Anfang einer Beziehung ein schlimmerer Moment ist als ihr Ende. Wegen dieser Selbstaufgabe. Aber auch, weil ich mich am Anfang immer wahnsinnig unsicher fühle und besessen von irgendwelchen Kleinigkeiten bin. Einmal singt Ihr: "You're directing me. Eyes focus like a microsope", später "I lose my grip, i lose my focus." Ich finde das sehr unmittelbar, es liest sich wie ein Tagebucheintrag. Stört es Euch, wenn die Zuhörer solche Textzeilen auf Euch beziehen? Tegan: Als Hörer gehe ich eigentlich immer davon aus, dass der Sänger das, was er da singt, erlebt hat, dass er Protagonist des Lieds ist. Oder aber, dass er über Freunde oder sein soziales Umfeld singt. Und natürlich ist jeder Song, den ich jemals schrieb, auf irgendeine Art mit mir verbunden. Es gibt Leute, denen ich "On Direction", von dem Du sprichst, nicht gerne direkt vorsingen würde. Aber ein fremder Hörer dekonstruiert den Song und verändert so den Bezug. Wer das in seinem Schlafzimmer hört, denkt nicht mehr an mich, sondern an sich. Daran, was der Inhalt mit seinem Leben zu tun haben könnte. Sara: Als wir jünger waren, wollten wir ohnehin viel mehr mitteilen. Da haben wir mehr über uns verraten. Ich denke, wir beide arbeiten heute anders. Ich versuche, mit weniger auszukommen. Ich versuche nicht mehr, Geschichten zu erzählen. Ich denke an ein, zwei Zeilen oder Momente und versuche, diese Bilder zu einem ganzen Song zu verarbeiten. Dabei dekonstruiert man natürlich seine eigenen Gedanken. Das ist etwas, das man lernen muss, und diesen Prozess durchläuft jeder Künstler. Ich habe vor ein paar Tagen erst "Greetings from Asbury Park, NJ" gehört - und da fiel mir erst auf, wie schwer, wie bedeutungsschwanger diese Platte ist. So viele Wörter in jedem Song! Diese Platte war für uns sehr wichtig, als wir anfingen, Songs zu schreiben. Kein Wunder, dass wir am Anfang so inhaltsreiche Songs schrieben.

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Illustration: Julia Schubert

Wie verhindert man, dass ein Album mit einer so ernsthaften Botschaft ein zu ernster Brocken wird? Tegan: Mit der Musik. Wir haben viel rausgenommen, die Songs simpel gehalten. Und mit Humor. Sara und ich besitzen durchaus einen Sinn für Humor. Ich glaube, bei Konzerten merkt man das, weil es zwischen uns eine Interaktion gibt, die sich eben aus der Tatsache ergibt, dass wir uns extrem gut kennen. Bei den Videos siehst Du es auch. Sara: Es wäre aber falsch, den Humor mit in die Songs zu nehmen. Liebe ist eben nicht witzig. Aber genau darüber kann man ja auch lachen. Über den Wahnsinn, dem Leute anheimfallen, wenn sie jemanden kennenlernen. Eine Freundin von mir war sehr verliebt. Und weil sie so verliebt war, nahm sie eine Kamera und filmte ihre neue Liebe ein paar Wochen lang. Aus all diesen Bildern schnitt sie dann ein Video, das sie mit irgendeiner Ballade ihrer Lieblingsband unterlegte. Und das spielte sie uns dann vor, ohne jede ironische Brechung: 15 Minuten lang das gleiche Gesicht aus verschiedenen Blickwinkeln, es war unfassbar schrecklich. Aber eben auch wahnsinnig lustig. Sie begriff das in dieser Sekunde nicht. Und das Schlimme ist, dass so etwas jedem von uns passieren kann. Das Video zu "Hell" zeigt Euch in den wohl hässlichsten Hotelzimmern der Welt. Eine Kulisse? Oder ein tatsächlich existentes Hotel? Sara: Oh, und ob es dieses Hotel gibt. Es steht in Vancouver und heißt Bosman's. Solltest Du einmal dorthin reisen wollen, kannst Du dort für wenig Geld ein Zimmer bekommen. Eigentlich wollten wir den Clip tatsächlich in einem Studio drehen, doch uns wurde das Budget gekürzt, was sich nachträglich als Glücksfall herausstellte. Die Stoffe, die dieses Hotel für Bettüberwürfe und Vorhänge verwendet, sind so unfassbar gammelig, das ließe sich nicht nachstellen. Aber der Dreh half uns im Übrigen auch zu erkennen, wie priviligiert wir dieser Tage sind. Wir brauchen kein Käferspray mehr. Der Teppichboden hat für gewöhnlich eine einheitliche, durchgehende Farbe. Die Bettwäsche hat keine Flecken zweifelhafter Herkunft. Gab es Zeiten, wo man Euch in solchen Hotelzimmern unterbrachte? Tegan: Oh ja. Ich würde mal sagen: die ersten fünf Jahre unserer Karriere, als wir noch deutlich weniger Platten verkauften als heute. Das Bosman's ist im Vergleich zu einigen der Herbergen, in denen wir während unserer Touren schliefen, noch purer Luxus. Manchmal waren das Hotels, in denen sich außer uns uns nur Prostituierte und ihre Freier einmieteten. Dementsprechend unangenehm war die Atmosphäre. Sara: Manchmal fragen mich Freunde, ob ich mit ihnen in den Urlaub fahren möchte. Sie schlagen dann Backpacking in Thailand oder Südamerika vor. Ich sage immer: Danke, nein. Ich war im ländlichen Alberta unterwegs, außerdem im Mittleren Westen der Vereningten Staaten. Ich denke, wir haben alle Schattenseiten der zeitgenössischen Hotellerie mitbekommen. Wir kennen die dunklen Seiten Amerikas. *** Sainthood von Tegan and Sara ist vor kurzem bei Warner Bros. Records erschienen. Mehr im Blog von Tegan and Sara.

Text: jochen-overbeck - Foto: Pamela Littky

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