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Der Headhunter Gottes will, dass du dich entscheidest

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Bruder Paulus, Sie leben im Kloster und werben um Kollegen. Ich lebe im Kapuzinerkloster in Dieburg, das seit Februar zu dem Ort bestimmt ist, an dem wir mit jungen Männern in Kontakt kommen, die vielleicht Kapuziner werden wollen. Ich bin der Headhunter Gottes. Wer hat das bestimmt? Unsere Kapuzinerprovinz, die deutschen Kapuziner. Wieviele Kapuziner gibt es in Deutschland? Es gibt noch ungefähr 85 in der bayerischen Kapuzinerprovinz und 112 in der rheinisch-westfälischen Kapuzinerprovinz, also circa 200. Ihrer und anderen Ordensgemeinschaften mangelt es also an Nachwuchs? Ja, der Bestand von Kapuzinern in Deutschland ist von 550 im Jahr 1978 auf 200 im Jahr 2006 zurückgegangen, unser Durchschnittsalter liegt etwa bei 68 Jahren. Ich gehe jetzt mal forsch vor und suche Leute, die sich bei mir prüfen: Ob sie vielleicht fähig sind, gute Ordensleute zu werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie machen Sie das? Ich rede mit jungen Leuten, die vielleicht Geschäftsführer einer Bank werden wollen, ob es nicht besser wäre, sie würden das Geld für zwei Schulen in Indonesien oder in Mexiko verwalten. Die sollen hellhörig werden. Karrieredenken heißt nicht nur: Ich guck mal, wie es mir gut geht, nein, es könnte auch eine tolle Karriere sein, wenn ich dazu beitrage, dass es anderen gut geht. Das heißt, Sie ... ... ich werbe um die besten Männer in Deutschland. Ich will die Männer, die eigentlich gerne von erfolgreichen Frauen geheiratet worden wären. Die will ich fragen, ob sie nicht eigentlich von Gott bestimmt sind, diesen Weg zu gehen. Was für ein Weg wäre das? Ein Weg, auf dem man ohne Eigentum lebt, in keuscher Ehelosigkeit und Gehorsam, auf dem es darum geht, in den Fußspuren des heiligen Franziskus an einer brüderlichen Welt mitzuarbeiten. An einer Welt, in der Globalisierung nicht als angstmachendes Gespenst gesehen wird, sondern als Schöpfungsauftrag, nämlich: eine geschwisterliche Welt mitzugestalten. Unser Orden hat mich dafür freigestellt, aktiv auf die Menschen zuzugehen. Mein Kloster in Dieburg ist das Assessment-Center, wo sich Leute prüfen können und wo ich Leute prüfen kann. Sie haben sich sogar für eine Bildungsmesse angemeldet. Ja, auch nächstes Jahr werde ich wieder bei der „Nacht der Berufe“ in Frankfurt einen Stand haben. Außerdem werde ich zur Agentur für Arbeit gehen und gucken, ob das Berufsbild des „Ordensmannes“ überhaupt im Computer drin ist. Das ist ja ein anständiger Beruf, mit dem man sich zeigen kann. Ist das eine Neubewertung des Lebens im Orden – nicht Berufung sondern Beruf? Nein, das ist endlich eine Richtigbewertung. Das Krankenhauswesen, Teile des Bildungssystems, die Altenheime – es fußt alles auf dem Engagement von Menschen, die mit Herzblut Sachen aufgebaut haben, es fußt unter anderem auf dem Engagement der Ordensgemeinschaften. Das wird so bleiben, denn es wird nicht mehr lange dauern, dann haben wir die Armenkrankenhäuser wieder. Der Staat gibt gerade wieder Verantwortung ab – an uns. Und wir haben damit Erfahrung. Die Kapuziner haben 1520 die erste Feuerwehr in Paris gegründet oder die Bahnhofsmission in Deutschland, wir haben LKW-Seelsorger gehabt ... Hat Ihr Werben Erfolg? Ja, ich habe jetzt schon drei Anmeldungen für meinen nächsten „Treffpunkt“ im Kloster und ich hatte beim ersten nach nur einer einzigen Pressemitteilung schon fünf Anmeldungen. Darunter ein Investmentbänker, der vor sieben Jahren angefangen hat, sich mit Theologie zu beschäftigen und jetzt vor der Frage steht: Will Gott mich als Ordensbruder haben? Oder ein 17jähriger, der sich sagt: Ich weiß, ich will für Gott durch die Welt gehen und ich will gucken, ob ich das mit den Kapuzinern kann. Dahinter steckt für mich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Dass wir jungen Leuten neu sagen müssen, verbringt eure besten Jahre nicht mit Suchen, sondern mit dem Vertiefen des Gefundenen. Verstehen Sie, was ich meine? Ämm, nein. Im Alter zwischen 20 und 30 verstehen sich immer mehr Menschen als „Jugendliche“, die immer noch was zu suchen haben. Und damit verpassen sie es, sich in die Tiefe hinein auszubilden. Man guckt immer noch: bin ich hier richtig oder bin ich da richtig? Man will nicht konkret werden, sich nicht binden, nichts fest in den Terminkalender schreiben. Und dann ist man 30 Jahre alt und plötzlich fehlt der Elan, mit dem man jetzt noch eine Bindung eingehen könnte, der einen jetzt noch Wurzeln in die Tiefe treiben lassen könnte. Manche werden plötzlich wach und sehen, dass die Zukunft, von der sie dachten, sie liege vor ihnen, plötzlich hinter ihnen liegt. Das heißt: Sie wollen uns früher Entscheidungen abringen. Ja, ich nenne meine Treffs im Kloster auch „Kapuziner-Treffpunkt Entscheidung“ und nicht „Spurensuche“. Ich will nur die Leute da haben, die spüren: Ich muss eigentlich in meinem Leben was entscheiden, aber ich traue mich nicht. Warum muss man sich entscheiden? Weil man Verantwortung für sein Leben übernehmen muss. Wir haben einen modernen Atheismus, in dem Leute sagen: Entscheiden? Geht noch nicht, es ist mir noch nichts eingefallen. Wir machen irgendwelche Mächte verantwortlich für unser Wohlergehen und ich sage deutlich: Menschliche Freiheit meint auch, Du kannst, aber auch: Du musst Dich entscheiden.
Ich glaube, dass Lebensfreude mit der Entscheidung kommt. Ich muss den Sprung ins Wasser wagen, damit ich dann glücklich werden kann und sehen kann, in welche Weiten und Tiefen ich kommen kann. Tut doch bitte nicht so, als müsstet ihr überall reingerochen haben! Das ist doch wahnsinnig, diese Gnadenlosigkeit der modernen Zeit, die den jungen Leuten vermittelt, sie müssten sich ausbilden um dann überall einsetzbar zu sein. Das klingt aber eher nach Lebensberatung in Sachen „Entscheidung“, denn nach Mitgliederwerbung. Das will ich auch so verstanden wissen. Ich will nicht nur Ordensangehörige anwerben, ich möchte gerne, dass Menschen bei meinen Treffpunkten im Kloster etwas entdecken, dass sie sich entscheiden – und sei es für die Ehe. Ich habe mal einen jungen Mann kennen gelernt, wir plauderten, verabschiedeten uns und er sagte, er ginge nach Hause zu seiner Freundin. Ich fragte: Wie lange seid ihr zusammen? Er sagte: Acht Jahre. Ich fragte: Warum heiratet ihr nicht? Seine Antwort: Es könnte ja noch was Besseres kommen. Wissen Sie, wenn Menschen schon so miteinander umgehen: Ich lebe mit Dir unter dem Vorbehalt, dass etwas Besseres kommt – da stimmt was nicht! Wenn jemand seinen Beruf nur in der Lauerstellung ausübt, dass danach was Bessres kommt – dann kann man nie darin aufgehen! Viele Menschen sind seelisch krank, weil sie sich nicht trauen, in einer Sache aufzugehen. Dagegen will ich etwas tun. Aber Sie suchen schon noch nach neuen Kapuzinermönchen, oder? Klar, ich behaupte, dass Gott in Deutschland 20 bis 100 Männer geformt hat, von ihrer Biografie her, die Kapuziner werden sollen. Mehr über den selbsternannten Headhunter Gottes gibt es unter bruderpaulus.de

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