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"Der Irak ist ein gemischter Salat": Ein irakischer Erzbischof im Interview

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Ich treffe die beiden am Münchener Hauptbahnhof. Er, 58, mindestens einen Kopf kleiner als sie, möchte am liebsten alle deutschen Nonnen mit in den Irak nehmen. Sie, 24, arbeitet einen Monat als sein Maskottchen. Katrin Niewalda studiert an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Französisch, Deutsch und Deutsch als Fremdsprache. Damit will sie eines Tages (vielleicht) Gymnasiallehrerin werden. Louis Sako ist Erzbischof der chaldäisch-katholischen Kirche in Kirkuk (Irak) und wurde vom katholischen Missionswerk „missio“ eingeladen, im Missionsmonat Oktober nach Deutschland zu kommen und den Menschen hier zu erklären, was er im Irak eigentlich macht. Ich darf die beiden auf einer Bahnfahrt von München nach Regensburg begleiten, ihnen ein bisschen zuhören (sie sprechen mal Englisch, mal Französisch) und ein paar Fragen stellen. Herr Sako, Sie sind im Oktober hier. Waren Sie schon auf dem Oktoberfest? Sako: Diesmal nicht, aber vor drei Jahren. Da gibt es viele lustige Typen. Leute aus aller Welt haben dort Spaß, knüpfen ganz spontan Kontakte. Es ist richtig erholend. Mein Lieblingsgericht sind übrigens Knödel mit einem kleinen Bier. In Deutschland ernährt man sich irgendwie gesünder als im Irak. Katrin, Sie arbeiten einen Monat lang als „Schutzengel“ des Erzbischofs. Hört sich nach einer ziemlich anstrengenden und verantwortungsvollen Aufgabe an. Katrin: Ja, ich begleite ihn überall hin. Esse mit ihm, fahre mit ihm zu den Veranstaltungen, sehe zu, dass er seine Termine einhält, übersetze seine Vorträge, übernachte in der gleichen Unterkunft. Da wird man manchmal skeptisch beäugt: 70 Priesterschüler, ein Bischof – und ich! Ich bin persönlicher Begleiter, Sekretärin, Au-pair-Mädchen, Vermittler und Maskottchen in einem. Ganz formell müsste ich ihn eigentlich mit „Your Grace“ anreden, aber das haben wir gleich mal sein lassen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Priester segnet irakische Christen während eines Gottesdienstes in Bagdad Bild: afp Wie war die erste Begegnung? Katrin: Er war wahnsinnig klein! Und ein richtig witziger Vogel. Unser erstes Gespräch ging über das Geschlecht der Schutzengel, da gibt es von der Kirche eine Abhandlung drüber – leider ohne Ergebnis. Jedenfalls hatte man uns im Vorbereitungsseminar eingetrichtert, dass wir den Gast immer vorgehen lassen müssen, aber er wollte partout nicht, weil er meinte, dass aus historischen Gründen die Frau vorausgeht. Auch wenn sie ein Schutzengel ist und man sich über deren Geschlecht noch nicht einig ist! Sako: Katrin, das ist etwas, das mich sehr interessiert: Wie war dein Vorgefühl, die ganze Zeit so dicht mit so einem hochrangigen Geistlichen herumzureisen. Viele haben davor zu viel Respekt und verhalten sich eingeschüchtert. Katrin: Klar war ich aufgeregt und nervös, aber dann auch einfach ergriffen, als Sie endlich vor mir standen. Wegen eines Überflugverbots kam Herr Sako nämlich zwei Tage später als geplant. Was mir natürlich nicht passieren darf, ist, dass ich „mein’ Sako“ irgendwo vergesse! Vor dem Übersetzen hatte ich am meisten Bedenken, aber nun klappt es ganz gut. Sako (lacht): Bei ihrem ersten Übersetzen hatte ich auch etwas Angst. Aber ich habe sie ermutigt, weiterzumachen. Es ist natürlich ein tolles Gefühl, so einen privaten Schutzengel zu haben. Sie ist smart und intelligent. Sie macht ihre Arbeit richtig gut. Und sie wird mich auch vor zu vielen Interviewfragen beschützen! Gibt es Unterschiede zwischen deutschen und irakischen Bischöfen? Sako: Oh ja, die deutschen arbeiten wie distanzierte Administratoren. Die irakischen sind eher Seelsorger und viel enger mit dem Volk verbunden. Wie sehen Sie das, Katrin? Katrin: Die deutschen Bischöfe leben viel abgeschotteter, in ihrer eigenen Welt. Sie wissen noch nicht einmal, wer in ihrer Gemeinde wohnt. Sogar die Pfarrer ziehen sich immer mehr zurück. Bei mir in der Stadt hatte früher immer der Pfarrer persönlich den Über-70-Jährigen zum Geburtstag gratuliert. Seit einigen Jahren hat er das an den Pfarrgemeinderat abgeben. Das finde ich überhaupt nicht gut. Wie war der Besuch bei Bischof Mixa in Augsburg? Beide brechen in so schallendes Gelächter aus, dass sich die alte Dame vom Vierersitz schräg hinter uns umsetzt, um uns besser im Auge zu haben. Sako: Soll ich ganz ehrlich sein? Das wird publiziert, oder? Oh, oh, ob er dann böse auf mich ist, wenn er das liest? Egal, er soll das ruhig wissen. Ich war total schockiert! Wirklich, ein richtiger großer Schock. Er hat mich gefragt, ob ich aus Indien komme! Also bitte, sehe ich etwa indisch aus? Er hatte sich überhaupt nicht über seinen Besucher informiert. Und dann hat er die ganze Zeit gefragt, was ich denn von ihm will, was er für mich tun soll. Ganz komisch, als ob ich als Bittsteller komme. Ich meine, es war ein Höflichkeitsbesuch, ich wollte mich mit ihm unterhalten, ich wollte nichts haben. Er hat sich aufgeführt wie ein Prinz in seinem Schloss. Katrin: Er hat uns erst einmal eine halbe Stunde warten lassen. Und dann hat er sich in ein Sofa in der einen Ecke des großen Raumes gesetzt und Herr Sako bekam das Sofa am ganz anderen Ende und ich saß in der Mitte und musste über die ganze Distanz übersetzen. Bischof Mixa spricht ja kein Englisch. Es war mir schon ziemlich peinlich, als ich übersetzen musste: „Ach, lieber Mitbruder, wo kommen Sie gleich wieder her?“ „Aus Kirkuk.“ „Ach, das ist in Indien, glaube ich.“ „Nein, im Irak.“ Also da habe ich mich schon für den Gastgeber geschämt. Sako: Und das Beste kam am Schluss, da hat er mir ein Foto von sich geschenkt, eine Art Autogrammkarte. Einfach nur zum Lachen. Bin ich ein Seminarschüler oder was? Erzbischof Sako lacht viel, über andere und über sich selbst und manchmal schaut er dabei schlitzohrig zum Himmel. Er lacht sogar, wenn er Fragen zum Krieg beantworten soll. „Krieg, Krieg, immer nur der Krieg“, hat er bei einer Veranstaltung lachend geantwortet, als man ihn zum x-ten Mal zum Irakkrieg befragt hat. Aber wenn man schon einmal einen an der Hand hat, der sich auskennt, dann kommt er eben auch diesmal nicht drumrum. Herr Sako, was hat sich im Irak verändert, seit Saddam weg und die Amerikaner da sind? Sako: Nach Saddam hat sich vieles positiv verändert. Wir haben jetzt eine Zeitungsvielfalt, wir können frei unsere Meinung äußern und wir haben eine neue Verfassung. Davor waren wir wie Sklaven. Ich glaube, das war wie in Ostdeutschland. Es wurde alles kontrolliert. Das einzige und riesengroße Problem jetzt ist die Sicherheit. Das muss sich ändern. Ich bin optimistisch: Wir sind ein reiches Land, wir haben eine gute Bildung. Und ich wäre sehr dafür, wenn es einen föderalen Staat geben würde mit drei Bundesländern, die sich an den Mehrheitsverteilungen von Sunniten, Schiiten und Kurden ausrichten. Im Moment kommt einem der Irak vor wie ein gemischter Salat. Louis Sako möchte ganz dicht beim Volk sein. Er lädt seinen Schutzengel zum Italiener ein, hält ein Schwätzchen mit der Bedienung und gibt auch mal acht Euro Trinkgeld. Mit seinen muslimischen Freunden diskutiert er – nein, nicht über Gott und die Welt, sondern nur über die Welt. Sako: Mit den Imamen kann man keine Gespräche über die Religion führen. Die betrachten unsere Religion als veraltet und durch ihre unwiderruflich abgelöst. Aber wir treffen uns ganz ungezwungen, sitzen beisammen und reden über dieses und jenes. Die Religion lassen wir außen vor. Am besten sind Witze! Sich gegenseitig Witze erzählen, bringt uns näher. Man muss leider sagen, dass viele Muslime in ihren Schulen nur unzureichend und einseitig ausgebildet werden. Und wie sieht das bei den Christen aus? SakoDie Christen haben eine besondere Stellung im Irak. Obwohl wir eine Minderheit sind, bilden wir eine richtige Elite. Das haben wir vor allem der guten Bildung zu verdanken. Viele in unseren Gemeinden sprechen zum Beispiel drei bis vier Sprachen. In hohen Positionen in der Wirtschaft sind auch oft Christen zu finden. Wir bewegen uns meist in einem recht behüteten Umfeld. Wie sehen Sie die irakische Landschaft im Vergleich zur bayerischen, durch die wir gerade fahren? Sako: Der Irak ist in manchen Teilen noch sehr jungfräulich, einfach nicht kultiviert. Hier in Deutschland gibt es kein Fleckchen Erde, das nicht einer bestimmten Funktion dient. Sehen Sie die Häuser da draußen? Die sind alle zu Ende gebaut und gut gepflegt. Da gibt’s keine halbfertigen Bauruinen. Dieses Land ist komplett fertig. Alles ist schon erledigt. Hier habe ich immer das Gefühl: Hier hat man alles. Man sehnt sich nach nichts mehr. Im Irak gibt es noch viel zu entwickeln und gestalten, viele Möglichkeiten. Wir schauen uns viel um, was wir machen können, zum Beispiel übers Internet und Fernsehen. Die bringen die Welten ganz nah zusammen – eure erste Welt mit unserer dritten. Louis Sako hat im Priesterseminar in Mosul gelernt, in Rom und an der Pariser Sorbonne studiert. Er weiß viel über den Islam, denn er hat als Hauptfach Islamwissenschaften gewählt. Er gibt auch mal ein Fest zum Ende des Ramadan und lädt dazu Politiker muslimischen Glaubens ein. Warum eigentlich? Sako: Ich wollte mich in beiden Religionen gut auskennen. Ich habe einen Artikel geschrieben über den Dialog zwischen Islam und Christentum. Daraufhin schrieb ein Moslem einen Gegenartikel: Dieses stimmt nicht, jenes ist falsch. Da dachte ich: Das muss ich studieren, damit ich richtig gut Bescheid weiß. Sie haben geschrieben: Im Orient ist das Herz die Grundlage von Geist und Gefühl. Sako: Hier in Deutschland lebt jeder ganz individuell und irgendwie auch gleichgültig den anderen gegenüber. Katrin, so wie Sie leben, das wäre im Irak unmöglich. Sie sind eine junge Frau, Sie leben alleine, studieren weit weg von Ihren Eltern, Sie verreisen allein ins Ausland. Schauen Sie sie an: Sie ist völlig unabhängig und gestaltet ihr Leben so, wie es ihr passt. Sie kann tun und lassen, was sie will. Im Irak ist das undenkbar. Da Leben wir in einer viel stärkeren Abhängigkeit voneinander, von der Familie, von der Gemeinde. Wenn ich es auf einen Punkt bringen soll, würde ich sagen: Kollektivismus versus Individualismus. Katrin: Das haben Sie in Ihren Vorträgen auch schon gesagt. Das hat mich sehr beschäftigt. Sako: Meinen Sie, die anderen Zuhörer haben auch etwas aus den Predigten mitgenommen? Katrin: Bestimmt. Ihre Predigten sind ja viel kürzer als die von deutschen Bischöfen, das hat ihnen bestimmt gefallen. Kurz und knackig. Und wenn Sie das Vaterunser auf Chaldäisch singen, dann geht das richtig unter die Haut. Ich glaube, dass viele Deutsche sehr bewegt waren, aber sie zeigen es nicht so offen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Irakische Christen während eines Gottesdienstes in Bagdad Bild: dpa Wie sieht der Alltag der Christen im Irak aus? Ist bestimmt nicht leicht, mit den täglichen Anschlägen umzugehen. Sako: Es gibt so viele Angriffe. Im Moment kann es sein, dass man samstags das Radio einschaltet und hört, dass in der Woche zwei oder drei Christen entführt wurden. Das ist gar keine Seltenheit. Das war früher nicht so. Aber das führt auch dazu, dass wir immer stärker zusammenrücken. Wir leben viel mehr Ökumene als in Deutschland. Seit rund fünf Jahren wird Angst verbreitet: Entführungen, Folterungen. Viele ziehen deshalb fort, das ist ein großer Verlust für die christlichen Gemeinden. Die meisten Deutschen wissen gar nicht viel über den Irak – außer, dass es dort Muslime gibt und es unsicher ist. Dass dort auch Christen wohnen, wissen die meisten nicht. Auch die deutschen Kirchen beschäftigen sich viel zu wenig mit dem Irak. Das ist schade. Katrin: Dann spielt die Religion bei den irakischen Christen eine stärkere Rolle als bei uns. Sako: Auf alle Fälle. Hier in Deutschland muss man gar nicht mit Religion in Berührung kommen, wenn man nicht will. Im Irak ist das anders, da spürt man die Religionen überall, ihren Einfluss. In unserer Gemeinde bildet die Kirche den Mittelpunkt: Die Kinder spielen auf dem Kirchhof, die Jugendlichen machen im Gemeindehaus Party. Warum nicht? Die Religion ist das Leben. Im Irak ist sie wie ein System und das steht über der Wirtschaft, über dem Sport, über allem. Hier in Deutschland ist die Religion gegenüber dem Materiellen, der Politik und der sonstigen Kultur total untergeordnet. Es ist natürlich so, dass bei uns im Irak die Muslime sehr aktiv sind und ihre Religion deutlich ausleben. Deshalb sind auch wir Christen aktiver. Wir stacheln uns gegenseitig an. Sie sagen immer, Sie möchten nicht für sich leben, sondern für andere da sein. Sako: Das Christentum ist die Religion der Menschwerdung. Und das vermittelt man am besten durch Nächstenliebe und Wohltätigkeit, nicht durch viele Worte. Was wir im Irak brauchen sind Schulen, Apotheken, Jugendzentren, Arbeit und Sicherheit für die Leute, dass sie uns nicht ins Ausland weglaufen. Ich werde im Irak bleiben. Dort ist meine Heimat, mein Herz, meine kulturelles Erbe, meine Tradition. Louis Sako ist in Mosul als Sohn eines katholischen Dekans aufgewachsen. Er hat als Professor am Priesterseminar in Bagdad gearbeitet und ist seit Jahren im päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog tätig. Als Ratsmitglied erhält er zwei- bis dreimal pro Jahr Anfragen vom Papst. Was er wohl vom „deutschen“ Papst Ratzinger hält? Sako: Mir gefällt er. Wir haben damals alle im Priesterseminar gesessen und die Wahl am Fernseher mitverfolgt. Ich hatte Ratzinger erwartet. Er hat natürlich einen anderen Stil als Papst Johannes Paul II. Ich finde, man merkt, dass er zu vielen Dingen klarere Standpunkte hat als sein Vorgänger. Sie haben hier in Deutschland viele Schulen besucht. Ein Wort zu den deutschen Schülern? Sako: Ich habe sie gefragt: Woran glaubt ihr? Was sind eure Ziele? Und es kam nichts. Ihnen ist einfach nichts eingefallen. Das würde im Irak nie passieren. Da haben die Kinder und Jugendlichen ganz klare Ziele: Ich will Arzt werden! Ich will in die Politik! Hier sind viele so gesättigt, man muss sich nicht mehr anstrengen, nach nichts mehr streben. Man hat ja schon alles: Sicherheit, Demokratie, Freiheit. Das hat zu zwei unterschiedlichen Mentalitäten geführt. Hier ist vielen alles egal. Im Irak kommt da mehr Einsatz, mehr Engagement. Und die Kirche spielt in Deutschland für viele überhaupt keine Rolle. Die Schüler konnten nicht erklären, warum sie Christen sind. Sie wussten keine Antwort auf die Frage, was die Einheit und Identität der Christen ausmacht. Aber ich bin froh, dass ich die Schulen besuche. Das ist vielleicht sinnvoller, als ein ernstes formelles Gespräch mit einem deutschen Bischof zu führen. Katrin: In Deutschland ist es eben nicht so, dass die Bischöfe auf die Straße gehen und missionieren. Der deutsche Klerus ist sehr steif. Da sieht man den Bischof höchstens zur Firmung.

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