Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Der kleine Herr Mister: Tobias Hülswitt über seinen neuen Roman

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Wer ist der kleine Herr Mister? Ich würde sagen, er ist so etwas wie der Teufel. Ein gottähnliches Wesen; und nur die Propheten unter uns können ihn verstehen. Im Buch geht es um einen Maler, der mit diesem Herrn Mister Kontakt hat. Sind die Künstler die Propheten? Ja, denn nur sie haben die langen Antennen, um den Kontakt aufzunehmen. Einerseits ist das eine Auszeichnung, andererseits aber auch ein Stigma. Nicht nur der Künstler hört von diesem Herrn Mister, auch seine Freundin kennt ihn aus ihren Träumen. Welche Rolle spielt sie? Es gibt ja drei Frauen, die sich um das Schicksal des Künstlers bemühen … … wie die drei Schicksalsgöttinnen, die Nornen, die den Faden des Schicksals der Menschen spinnen? Genau, deswegen studiert die dritte Frau, Nkechi, auch Textilwissenschaften. Diese drei Frauen wollen den Künstler retten. Die erste, Johanna, die Mystikerin, die durch Meditation Glück erfährt, hat auch Kontakt mit dem Herrn Mister, doch er sagt, sie sei die Kommunikation nicht wert. Schließlich gibt sie den Künstler auf. Überlässt also die Reine, die Gottgleiche, dem Teufel ihren geliebten Menschen? So könnte man es sehen. Dann gibt es zwei Teufelspakte, den bereits erwähnten mit dem kleinen Herrn Mister; und danach einen mit der zweiten Frau, Marissi. Sie verführt den Künstler mit einer Droge. Sie habe ich eigentlich als Engel gesehen. Ein Engel, der den Menschen Drogen gibt? Ja, schon komisch, aber dieser Engel hat andere Kräfte und hantiert mit verbotenen Dingen, so eben mit einer Droge namens „Gott“. Warum heißt die Droge „Gott“? In unserer Gesellschaft ist durch das verblassende Christentum ein spirituelles Vakuum eingekehrt. Nun frage ich, was tritt an diese Stelle? Fernöstliche Praktiken vielleicht, die Medien, die jedem Unsterblichkeit liefern – die Menschen akzeptieren fast alles auf dem Weg zur Erleuchtung, zur Erlösung. Deshalb habe ich der Droge diesen Namen gegeben. Die Droge ist eines der vielen Vehikel, mit denen die Figuren in deinem Buch Glück suchen. Ja, sie versuchen es durch Meditation, Sexualität, Liebe, Trennung, Gemeinschaft in einer religiösen Familie und auch durch Rituale zu erreichen. Stimmt. Der Maler trinkt ständig Tee mit einer der drei Frauen. Ich wollte sie Teetrinken lassen, damit sie nicht dauernd rauchen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was empfiehlst du bei der Suche nach Glück? Der Künstler bezahlt den Drogenkonsum mit temporärer Blindheit. Das ist also etwas Gefährliches. Meines Erachtens sind die buddhistischen Varianten die besten. Etwas anschauen ohne an Moral zu denken. Das Hirn für kurze Zeit ausschalten. So wie ein kleines Kind beim Autofahren aus dem Fenster sehen kann, auch für längere Zeit, ohne dabei an etwas Bestimmtes zu denken. Meistens erlauben wir uns das nicht, weil es so wirkt, als wären wir faul. Johanna wirft dem Maler vor, er hätte in seinen Bildern alles über ihre intime Liebe ausgeplaudert. Kann man davon ausgehen, dass immer eine wahre Geschichte hinter einem Kunstwerk steckt? Ich glaube schon. Bei allen Künstlern, die ich kenne, scheint etwas darauf hinzudeuten, dass sie ihr eigenes Leben, ihre eigenen Erfahrungen verarbeiten. Aber gibt es nicht unterschiedliche Stufen des künstlerischen Schaffens? Vom Teenager-Tagebuch über die Lyrisierung der eigenen Gefühle bis zu einer höheren Sicht auf die Welt, losgelöst vom eigenen Saft? Sicherlich. Aber auch dann, wenn es einem in der Kunst nicht mehr um den eigenen Saft geht, sondern um den Zusammenhalt des Universums, macht man das doch an Beispielen klar, die man aus seiner unmittelbaren Umgebung nimmt. Einfach deshalb, weil man die am besten kennt. Wie reagiert dann die Umwelt darauf? Sie verzeiht, wenn zu spüren ist, dass es um mehr geht als bloß darum, etwas über jemand anderen zu erzählen. Sonst gibt’s allerdings großen Ärger – zu Recht. Mussten die Frauen in deinem Buch deshalb verschwinden? Das ist doch in Liebesdingen so, man wird „abgeschossen“, aus dem Leben des anderen gelöscht. Außerdem sieht man daran die Radikalität des kleinen Herrn Mister. Wie ich am Anfang schreibe: „Alle Menschen hören auf Herr Mister“ – er will alles unter seine Kontrolle bringen. Er will Macht haben. Noch mal: Wer ist der kleine Herr Mister? Vielleicht ein spekuliertes Wesen hinter den Medien. Natürlich ins Fantastische gezogen, damit es nicht platt klingt. Aber so etwas wie ein hinter den Medien gebündelter Wille, die Welt komplett zu beherrschen. Und natürlich werden wir bereits beherrscht – unser Denken wird bestimmt, unsere visuelle Wahrnehmung beeinflusst, unser Tagesablauf geprägt. Gibt es da eine Verschwörungstheorie? Nein, ich glaube nicht an ein Gremium, das im Hintergrund sitzt und die Fäden zieht. Oftmals ist es einfach jemand, der halt seine Arbeit macht. Genauso wie jemand den Auftrag hat, pro Tag eine Million Spam Mails zu verschicken. Der macht auch bloß seinen Job. Warum geht in Romanen oft ein Künstler einen Pakt mit dem Teufel ein? Ich denke, das liegt daran, dass jeder Künstler sich nach Erfolg, nach Anerkennung sehnt. Und dafür auch eine Menge hergeben würde. Wie ist es bei dir? (Lacht) Ich höre meinen persönlichen Teufel nicht so laut. Wahrscheinlich sind meine Antennen nicht lang genug. Die Fragen stellte Barbara Streidl Der kleine Herr Mister von Tobias Hülswitt, 238 Seiten, 16 Euro 90. Erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

  • teilen
  • schließen