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„Die Angst hat mich ständig gequält“

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Dass Beziehungen, die man mit 18 oder 20 anfängt, ein Verfallsdatum haben, ist den meisten zumindest rückblickend klar. Dass man sich dem drohenden Ende aber schon von Anfang an bewusst ist, ist eher selten. Bei Caro, heute 28, war es aber der Fall. Ihr Freund war Mitglied in einer Sekte – und beide wussten: früher oder später wird er eine andere heiraten. Caro wollte es nicht wahr haben, startete trotzdem einen Beziehungsversuch - und scheiterte. Simon war Mitglied der Moon-Sekte. Die wurde 1954 von dem Südkoreaner Sun Myung Mun gegründet. Laut dessen Biographie soll er in einer Vision 1936 erfahren haben, dass er der zweite Sohn Gottes sei und dessen Mission, das Himmelreich auf Erden durchzusetzen, beenden soll. Laut Mun ist das Problem der Menschheit ein genetisches, da sie aus einer sexuellen Verbindung Evas mit der Schlange (dem Satan) abstammen würde. Ziel ist es nun, aus der satanischen in die göttliche Blutlinie überzuwechseln und dadurch "wiederhergestellt" zu werden. Dies geschieht durch Adoption durch Mun im Rahmen des sog. "Blessings" (Segnung), von Außenstehenden allgemein als Massenhochzeit bezeichnet. Dabei wird dem Mitglied nicht nur ein Partner zugeführt, sondern in der "Holy-Wine-Zeremonie" auch ein besonderer Wein getrunken, der früher etwas Blut von Mun enthielt. Dadurch geschieht der Wechsel in die göttliche Blutlinie. Beim sogenannten „Matching“ welches der Segnung vorausgeht, werden die Partner, manchmal aus verschiedenen Nationen stammend, von Sun Myung Mun anhand eines Photos ausgewählt und bei den Massenhochzeiten rituelle verheiratet. Die Paare lernen sich erst oft unmittelbar vor der Hochzeit kennen. Laut der Website der Vereinigungskirche geschieht das allerdings freiwillig. Auch Nicht-Anhänger können seit 1992 den Segen empfangen. Die wichtigsten Lehren der Moon-Sekte sind in dem Buch „Das göttliche Prinzip“ festgehalten. Dieses wurde unter Anweisung von Mun geschrieben. Die Sekte steht nicht nur wegen den Massenhochzeiten in Kritik, sondern auch, weil sie im Verdacht steht, ihre Mitglieder finanziell auszubeuten und Gehirnwäsche zu betreiben. In Deutschland gibt es zwischen 2000 und 2500 Anhänger.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine "Moon-Hochzeit" mit Sun Myung Mun persönlich Caro, wie hast Du Simon eigentlich kennen gelernt? Ich war mit Freundinnen unterwegs beim Shoppen und da ist er uns über den Weg gelaufen. Eine Freundin von mir kannte ihn, denn er ging mit ihr in die 12. Klasse. Er ist mir sofort aufgefallen – mit seinen großen Augen und dem süßen Lächeln. Meine Freundinnen haben mir zwar gleich gesagt, dass er in der Moon-Sekte ist, aber das war mir anfangs egal. Ich habe ihn zuerst gar nicht als potentiellen Freund gesehen, sondern fand ihn einfach sehr interessant. Hast du einen Unterschied gemerkt, zu Jungs, die nicht in einer Sekte sind? Ja. Wir haben uns ein paar Mal einfach so getroffen, bevor es richtig gefunkt hat. Er war von Anfang an sehr zurückhaltend. Doch irgendwie merkte ich, dass er mit sich selber kämpfte. Ich hab gespürt, dass er sich zu mir sehr hingezogen fühlte. Seine Blicke wanderten immer an mir hoch und runter – um dann wieder ruckartig von mir wegzugehen. So als ob er sich selber sagen würde: „Nein, das darfst du nicht!“ Hast du ihn darauf angesprochen? Nein, er hat von selber darüber gesprochen. Nach ein paar Dates hat er mir gestanden, dass er in dieser Sekte war und dass er irgendwann verheiratet werden würde. Er war total erstaunt, als ich ihm dann sagte, ich wüsste schon Bescheid. Er hat mich gefragt, warum ich ihn dann überhaupt gedatet hätte. Da habe ich ihm gesagt, dass ich ihn sehr mag und es trotz der schwierigen Umstände mit ihm versuchen will. Außerdem habe ich ihm auch gesagt, dass ich es mir nicht vorstellen kann, dass Gott zwei liebende Menschen auseinander bringen würde. Wie haben eigentlich eure Familien und eure Freunde darauf reagiert, dass ihr zusammen wart? Es gab auf beiden Seiten Schwierigkeiten. Seine Familie hat davon erst ganz spät erfahren und war natürlich dagegen. Einmal haben ihn seine Eltern sogar im Winter bei Minus-Temperaturen nicht mehr ins Haus gelassen, als wir zusammen weg waren. Sie hatten die Tür von innen verriegelt. Er hat dann bei mir übernachtet. Meine Freunde waren auch sehr besorgt um mich. Sie hatten Angst, ich könnte auch von der Sekte vereinnahmt werden. Schließlich war ich Simon fast verfallen, weil ich ihn so sehr mochte. Aber das beruhte ja auch auf Gegenseitigkeit. Ich konnte einfach nicht loslassen. Meinst du denn, ihr hättet zusammen sein können, wenn du in die Sekte eingetreten wärst und ihn geheiratet hättest? Nein, erstens dachte ich damals noch nicht ans Heiraten und zweitens war er bereits in zweiter Generation in der Sekte. Soviel ich weiß, werden die untereinander versprochen und verheiratet. Ich habe vielmehr versucht, ihn da raus zu bekommen. Ich habe mich intensiv mit der Bibel der Sekte beschäftigt, habe Stellen herausgesucht, die einfach nicht stimmen konnten. Dazu muss man wissen, dass sich deren Bibel, also die „heiligen Prinzipien“ oder „Divine Principles“ an die christliche Bibel anlehnt. Aber sie behauptet, im Gegensatz zum „Original“ wissenschaftlich belegbar zu sein – mit allerlei Zahlenbeispielen. Außerdem habe ich ihn damit konfrontiert, dass sein „Messias“, der in Korea sitzt, viele Waffenfabriken besitzt. Das hat ihn sehr getroffen. Denn welcher Messias, der sich wirklich für Weltfrieden einsetzt, produziert nebenher Landminen-Verteiler und schwere Geschütze? Warum konntest du ihn nicht überzeugen? Er ist einfach damit aufgewachsen, war schon so verwurzelt in seinem Glauben. Natürlich hat er es auf der einen Seite verstanden, was ich ihm gesagt habe, aber ihn von dem Glauben an die Sekte abzubringen, war unmöglich. Dazu kommt noch, dass Aussteiger hinterher wie Aussätzige behandelt werden. Er hätte durch seinen Ausstieg den Kontakt zu seiner Familie und seinen Verwandten verloren. Hattest Du keine Angst, dass er irgendwann zwangsverheiratet werden könnte? Doch natürlich, diese Angst hat mich ständig gequält. Trotzdem war ich fassungslos, als es dann nach fünf Jahren tatsächlich passiert ist. Wir haben uns an unserem gemeinsamen heimlichen Platz auf einer Lichtung getroffen. Zuerst war alles so wie immer. Dann fing er auf einmal an zu schluchzen und sagte mir, dass er quasi schon verlobt ist und demnächst heiraten wird. Dann haben wir uns noch ein letztes Mal geküsst – das war’s. Was ging dir in diesem Moment durch den Kopf? Ich war sprachlos und konnte auch meine Gedanken nicht sammeln. Ich habe natürlich versucht, ihn zu überreden, bei mir zu bleiben oder vielleicht auch mit mir zusammen durchzubrennen, aber es hat nichts geholfen. Er hatte zuviel Angst und hing zu sehr an seiner Familie. Wie ging es dir danach? Miserabel. Ich hab danach sämtliche Klausuren des Semesters verhauen. Zwei Jahre lang habe ich noch jeden Tag an ihn gedacht. Er ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Irgendwie war ich total überfordert mit der Gesamtsituation, obwohl ich mir immer wieder versucht habe, klar zu machen, dass er nie wieder zu mir zurückkommt. Wie hast du versucht, das Ganze zu verarbeiten? Ich habe versucht, die Leere in mir zu verdrängen. Ich hab Dinge getan, auf die ich im Nachhinein nicht stolz bin. Habt ihr noch Kontakt? Mittlerweile haben wir wieder Kontakt. Wir chatten zwei bis dreimal im Jahr miteinander. Er hat mittlerweile zwei Kinder. Jetzt kann ich damit umgehen. Wir sehen uns ja auch sonst nicht, außer im Chat. Irgendwann muss das Leben ja auch wieder weitergehen. Was hast du aus dieser Erfahrung mitgenommen? So seltsam sich das auch anhören mag, aber ich habe mich auch von meiner eigenen Religionsgemeinschaft (Caro ist katholisch) etwas distanziert. Ich mache mir mit dieser Aussage vielleicht keine Freunde, aber es ist zu einfach mit dem Finger auf solche Sekten zu zeigen. Der Übergang zwischen „in einer Religionsgemeinschaft Halt finden“ und „in eine Religionsgemeinschaft abrutschen“ ist fließend. Wir sollten nicht arrogant sein gegenüber anderen Religionen, sondern uns immer einmal wieder distanziert vergegenwärtigen, welchen Einfluss unser Umfeld auf uns hat. Was würdest du heute einer Freundin empfehlen, die sich in der gleichen Situation befindet, wie du damals? Das ist eine schwierige Frage. Ich kann das nur für mich selber beantworten. Die Vernunft sagte mir schon von Anfang an, dass ich es lassen soll. Mein Herz sagte mir etwas anderes. Und auch nachdem ich mittlerweile los gelassen habe, kann ich sagen: Er war es wert. Bild:ap

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