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Die Freiheit, ein gefühliger Mensch zu sein

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Popmusik aus Deutschland hat heute ein Problem: Sie ist entweder weichgespültes Fertigprodukt fürs Formatradio oder führt ein Nischendasein in einer kleinen Alternativ-Szene. Die Kölner Band Klee schafft es als eine der wenigen, Anspruch und Massentauglichkeit zu verbinden und widmet sich seit mehr als zehn Jahren der Suche nach dem perfekten Popsong. Zum Gespräch über Kitschgefahr und das Klee-Gefühl trafen wir uns mit Sängerin Suzie Kerstgens und Keyboarder und Songwriter Sten Servaes in Berlin. 

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



jetzt.de: Suzie, auf eurem neuen Album singst du einmal: „Vergiss nicht, was wirklich wichtig ist.“ Stehen die wirklich wichtigen Themen für eine Klee-Platte auch immer schon von vornherein fest?
Suzie: Wir müssen uns nicht zusammensetzen und besprechen, welche Themen wir für ein neues Album bearbeiten wollen. Das liegt wohl auch daran, dass wir in der Band zwischen den Albumveröffentlichungen permanent zusammen sind und ähnliche Dinge erleben. 
Sten: Und unser großes Thema zieht sich ja schon von Beginn an durch unser Werk – und findet sich jetzt auch im Albumtitel wieder.
  
Habt ihr euch auf den Albumtitel „Aus lauter Liebe“ also auch schon früh einigen können?
Sten: Möchte man meinen, aber wir haben lange hin und her überlegt, ob man das so machen kann.
  
Ob man das so machen kann?
Sten: Ja, weil es so naheliegend ist. Dieser Titel beschreibt ja nicht nur den Inhalt des Albums, sondern auch unser Tun generell. Wir haben überlegt, wie der Titel wirken könnte und uns gefragt, ob er vielleicht kitschig ist. Das fanden wir aber nicht, da Liebe ja ein ganz aufrichtiges Gefühl ist. 
  
In den neuen Liedern wird dementsprechend Hand in Hand durch die Straßen gelaufen, es gibt pochende Herzen und große Gefühle. Müsst ihr selbst verliebt sein, um solche Songs schreiben zu können – oder gehört das bei Klee mittlerweile zum normalen Handwerkszeug?
Sten: Handwerkszeug würde ich es nicht nennen. Es mag pathetisch klingen, aber wir sind einfach nach wie vor hoffnungslose Romantiker. 
Suzie: Die Themen Liebe und Verliebtsein sind unerschöpflich. Man hat tagtäglich mit Liebe in den verschiedensten Facetten, Formen und Abstufungen zu tun. Und damit, wie schön und gleichzeitig schrecklich Liebe ist. 
  
Im Song „Schmetterlingsflügelschlag“ erzählst du von „diesem einen Moment, in dem alles perfekt ist“. Wann ist denn ein Lied über Liebe für euch perfekt?
Suzie: Wenn es dich direkt anspricht und du es eins zu eins verstehen kannst. Wenn es dich trifft und du dich darin aufgehoben fühlst. 
Sten: Man merkt das auch im Prozess des Schreibens. Die guten Liebeslieder sind die, an denen nicht lange rumgebastelt wird. Die Textzeilen sind meistens sofort da. Wir bewegen uns ganz bewusst in dem Format des Drei-Minuten-Popsongs, und wenn darin alles stimmt und man den Song später hört, ist das ein Glücksmoment, der sehr vergleichbar ist mit einem Verliebtheitsgefühl. 
Suzie: Es ist doch auch interessant, dass so ein flap of a butterfly's wings ein bestehender Begriff in der Chaostheorie ist. Dass so eine kleine Sache so viel bewirken und zu etwas führen kann. Bestenfalls zum perfekten Moment.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Ein weiterer Satz auf dem Album könnte dann wohl als Zusammenfassung der Klee-Philosophie stehen. In „Ich will nicht gehen, wenn’s am schönsten ist“ heißt es: „Ich werd' nicht aufhören, auf die Liebe zu schwören.“
Sten: Absolut, das kann man auch nicht oft genug propagieren. Das ist so banal wie wichtig.Suzie: Man muss dran bleiben, auch wenn man oft ins Schleudern gerät und auf die Schnauze fällt. Den Titel des Liedes und auch diesen Satz könnte ich irgendwann mal auf meinem Grab stehen haben. 
Sten: Das ist ja auch ein hochgradig philosophisches Thema. Mit Liebe und Freundlichkeit ist es um die Welt offensichtlich besser bestellt. Darum gilt es zu kämpfen. 
  
Der Satz ist schön und romantisch – aber vielleicht auch ein bisschen naiv?
Suzie: Nein, nur romantisch. Natürlich kann man einen solchen Satz nicht einfach so raus hauen, ohne nicht beides, die guten wie die schlechten Zeiten, mitgemacht zu haben. Gerade heute, wo vieles so oberflächlich ist, finde ich einen Satz wie diesen weniger naiv als wohl überlegt. Ich möchte mehr Tiefe haben.

Ihr habt mal gesagt, dass Kitsch dann schön ist, wenn er schmerzlindernd wirkt. Benutzt ihr also selbst auch kitschige Schmerzmittel, wenn ihr Liebeskummer habt?
Sten: Ich nicht.
Suzie: Es kommt auf den Gemütszustand des Betrachters an. Wenn du selbst gerade Herzschmerzen hast und dann einen bestimmten Song hörst und dich getröstet und verstanden fühlst, passt alles. Wenn du keine Herzschmerzen hast und denselben Song hörst, nimmst du ihn ganz anders wahr. Ich finde, man darf etwas nicht zu schnell als kitschig abtun, nur weil es emotional ist. Das ist ja oft so: Wenn jemand emotional lebt, wird er dafür verurteilt. Eigentlich schade. Klar, die Sonnenuntergangsfototapete würden wir alle als kitschig bezeichnen. Aber es ist doch wieder schön, wenn Leute nicht das Abbild, sondern den echten Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang sehen. 
  
Kitsch wird meistens in einfacher Liebeslyrik gefunden. Ist es denn auch leichter, ein schnell verständliches Liebeslied zu schreiben, als stattdessen mit vielen Metaphern und Codes zu arbeiten?
Sten: Nein. Wir haben acht Jahre lang Philosophie und Germanistik studiert und wissen deswegen durchaus, dass es einfacher ist, einen Text zu verklausulieren und entrückte Poesie zu benutzen. 
Suzie: Da spielt auch eine Angst mit rein, zu seinen Gefühlen zu stehen. Man kann dann nur vermuten und hoffen, dass hinter dem Vorhang das Herz schlägt.
Sten: Wir schreiben nicht um die Ecke herum, sondern direkt. Weil es doch sonst auch so ist, dass es dich einfach  berührt, wenn dich jemand auf der Straße direkt anlächelt oder deine Hand nimmt.
  
Welche Botschaft soll eure neue Platte denn jetzt dem Hörer idealerweise vermitteln?
Sten: Mehr noch, als auf den Alben davor, geben wir jetzt das weiter, was wir selbst an Lebenserfahrung gemacht haben. In den schönen und den schwierigen Momenten.
Suzie: Die Botschaft dieses Albums ist, dass man die Freiheit zur Selbstbestimmung hat – und zwar im Jetzt und Hier. Die Freiheit, Dinge zuzulassen und ein gefühliger Mensch zu sein. Denn es ist gar nicht so einfach, sich diese Freiheit zuzugestehen und wirklich selbstbestimmt zu sein, was die eigene Gefühlswelt angeht. Weil man oft so abgelenkt ist und etwas Vorgegebenem hinterher rennt, das vermeintlich gut für einen ist.
Sten: Es geht uns darum, den Blick wegzulenken von der propagierten Rationalität und wieder hin zur Emotionalität. Das ist unserer Meinung nach ein ganz wichtiger Bereich des menschlichen Lebens, vor allem des Miteinanders. 

 
Das Album „Aus lauter Liebe“ von Klee erscheint am 26. August beim Label Island/Universal.

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