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Die Geschichtenmaschine

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Das Schönste am Ausgehen ist doch eigentlich das Reden darüber. Gerne erzählt man seinen Freunden, wie es wirklich war, damals bei der Kneipentour, dem Geheimkonzert oder dieser Nacht in diesem Club. Ist ja nicht einfach. Die Innenstädte sind zubetoniert, Verkehrszeichen geben den Weg vor, Neonlicht macht das Leben zum endlosen Tag. Und keine Abenteuer. Nirgends. Die Kneipe ist einer der wenigen Orte, an dem man was erleben kann, ohne etwas erledigen zu müssen. Und deshalb reden wir so gerne: über fremde Freunde, gute Musik, Dummheiten und Heldentaten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die kleine Kneipe, hier mit Koreanern gefüllt. Foto: dpa Im Laufe der Zeit verändern sich die Bar-Anekdoten, wachsen, werden verziert, verdreht und langsam zu kleinen Legenden, die man sich zwar nicht am Lagerfeuer, aber am Küchentisch immer wieder erzählt. Die Berliner Schriftsteller Björn Kuhligk und Tom Schulz haben die Funktion der Kneipe als Geschichtenmaschine nun ganz wunderbar dokumentiert – und 54 Berliner Autoren gebeten, einen Text über ihre Lieblingskneipe zu schreiben. jetzt.de sprach mit Björn Kuhligk über das Projekt, und natürlich darüber, wo er am liebsten ein Bier trinkt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die kleine Kneipe, hier mit Amerikanern gefüllt. Foto: dpa Sagen Sie: Waren Sie eigentlich nüchtern, als Sie das Berliner Kneipenbuch geplant haben? Das klingt ja eigentlich eher nach einer Schnapsidee. Wir sollten mal ... und dann macht man es doch nicht. Wir saßen natürlich in einer Bar, als wir die Idee hatten. Zusammen mit anderen Autoren. Wir haben da einen Literaturstammtisch im „Willy Bresch“ in der Danziger-Straße. Wir haben über Kneipen geredet und über Literatur und irgendwann hatten wir die Idee, diese beiden schönen Dinge zu kombinieren. Wir haben das dann zwei Jahre lang als Nebenprojekt verfolgt und eine schöne Anthologie zusammen gestellt. Fast alle Autoren haben sofort zugesagt. Die meisten Leute haben wohl etwas zu dem Thema zu sagen. Es ist ja fast ein Klischee. Der Berliner Schriftsteller, der mit Notizbuch oder Notebook in einem Café sitzt und denkt und schreibt oder wenigstens so tut. Klar. Das hat eine lange Tradition und fängt nicht erst bei den Schriftstellern der Bohème an, die in Berlin und Paris ihren Absinth getrunken haben. Eine Kneipe ist ein zweites Wohnzimmer, ein halb-öffentlicher Ort, der für jedermann zugänglich ist, an dem man aber auch alleine sein kann und darf. Und trotzdem kennt man dich doch nach einer Weile und du darfst dich daheim fühlen. Man weiß eben, dass ein Lokal, das einem selbst gefällt, auch ähnliche Leute anzieht. Haben Sie denn so etwas wie eine Stammkneipe? Nein, zumindest nicht, wenn man den Begriff so eng definiert, wie etwa unsere Autorin Nina Jäckle: die meinte kürzlich bei einer Lesung, dass man, um einen Laden Stammkneipe nennen zu dürfen, auch mindestens alle zwei Tage zum Essen oder Trinken hingehen muss. Das habe ich nicht. Aber es gibt Orte, zu denen eine starke Bindung besteht, wo man irgendwie Teil des Inventars ist und auch schnell Leute kennen lernt. Ich habe eher 5 Lieblingsorte, die ich je nach Bedürfnislage ansteuere: will ich schreiben, trinken, essen oder mich in Ruhe unterhalten? Aus dem Inhaltsverzeichnis: David Wagner beleidigt das „White Trash“, Kirsten Fuchs denkt über einen Putzmann nach, Bas Böttcher liefert eine Phänomenologie der Ankerklause ... gibt es die typische Berliner Kneipen-Geschichte? Nein, unsere Geschichten sind sehr heterogen. Ich glaube, dass man erlebt, was man einfordert. Geht man in eine Szenekneipe, Sportsbar oder in die Eckkneipe, die auch noch „Hartz-IV-Bar“ heißt, und will neue soziale Schichten kennen lernen. In dem Buch tauchen 53 Bars auf – ist das eigentlich eine repräsentative Auswahl aus dem Berliner Angebot, oder wird sich nur eine sehr kleine Schicht in den genannten Kneipen wohl fühlen? Nein, die Geschichten spielen ja nicht nur in Mitte, wo, wie es heißt, hinter jedem Strauch ein Schriftsteller hockt. Wir haben Autoren aus allen Stadtbezirken angefragt, und die haben auch nicht alle nur ihre Lieblingskneipen beschrieben, sondern Läden, die sie beschäftigen, die die Fantasie anregen oder immer wieder aus der Vergangenheit auftauchen. Bei uns sind In-Läden wie das Weltrestaurant oder Kaffee Burger genauso vertreten, wie zwei illegale Bars, von denen man nur per SMS und Email erfährt, wann sie geöffnet haben. Ist das Kneipenbuch ein Lesebuch oder ein Stadtführer? Wir haben die Kneipen in einem Index aufgeführt und nach Stadtvierteln geordnet. Man könnte sich das Buch also schon nehmen und durch den Wedding ziehen und langsam immer betrunkener werden. Ohne man setzt sich in eine Kneipe und liest die dazugehörige Geschichte und überlegt sich, ob man den Ort ähnlich empfindet. Wir planen auch Kneipenbücher für Köln und Hamburg. Und danach ist München dran. Obwohl, das wird wohl eher ein Biergartenbuch. Einmal heißt es in einem Text: „Und wir warten auf die grüne Fee“ - das Phantasie-Geschöpf, das den Absinth-Rausch symbolisiert. Kann man eigentlich besser schreiben, wenn man betrunken ist? Nein, nicht besser. Aber auch. Es gibt verschiedene Typen. Manche schreiben nur mit Kamillentee. Manche trinken exzessiv. Ich belasse es meist bei einem Glas Wein. Kann man eigentlich verschieden Geschichten aus Kneipen erzählen, oder hat Kirsten Fuchs recht, die die Kneipenerzählung auf folgenden Nenner bringt: „Wir haben gesoffen und gelacht?“ Man muss nicht immer nur trinken. Das ist mir zu extrem gedacht. Aber wenn man zum Beispiel wie Kirstin Fuchs Protagonist in eine Kneipe geht, die Amnesie heißt, wird man wohl das eine oder andere Bier trinken müssen. Zwei Liter Fanta gehen ja irgendwie auch schlecht. Eines ist mir wichtig: Unser Buch ist keine Glorifizierung des Trinkens. Wir haben bei unseren Vorbereitungen auch einen Autoren angeschrieben, der sich lange nicht gemeldet hat. Erst später haben wir erfahren: der ist auf Alkoholentzug. Alkohol macht eben nicht nur lustig und kreativ, sondern wirft einen auch aus der Bahn.

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