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„Die Kultur des Temporären wird bleiben“

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Berlin ist international für seine Techno-Kultur bekannt. Tobias Rapp hat in „Lost and Sound“ das Lebensgefühl, die Musiker und die Macher hinter den großen Clubs vorgestellt. Doch während Watergate, Berghain oder Tresor für jedermann leicht zu finden sind, gibt es auch noch eine versteckte Seite des Techno in Berlin. Diese Untergrund-Raves findet man nicht im Internet. Sie werden nur durch Hörensagen und kleine Mengen aufwendig gebastelter Flyer bekannt gemacht. Die Ethnologin Anja Schwanhäusser hat sich ins Herz der Szene begeben und ihre Erkundung im Buch „Kosmonauten des Underground“ aufgeschrieben. Party-Collectives wie die Pyonen, die Bachstelzen oder die Muh-Bar besetzen verlassene Plätze für eine Nacht. Sie feiern in stillgelegten DDR-Betrieben, leerstehenden Gebäuden und verlassenen Militäreinrichtungen. Die Szene schweift von Ort zu Ort umher und schafft so ihre eigene Karte der Stadt. Das Publikum wirkt am Geschehen mit, in dem es sich auf die komplizierten Wege in die versteckten Winkel begibt. Das Hier und Jetzt, steht bei jeder Party im Mittelpunkt. Keine Aktivität im Techno-Underground ist für die Ewigkeit bestimmt. Den Szeneakteuren geht es um ein hedonistisches Leben, um Genuss jenseits kapitalistischer Verwertungslogik. Die Bestandteile der Kultur mischen sich zu einem Lebensgefühl, dass das Image der Stadt als kreatives Experimentierfeld entscheidend prägt. Jetzt.de sprach mit Anja Schwanhäußer über ihren Weg in die Subkultur und die Entwicklung, die die Szene seit ihren Anfangstagen durchgemacht hat.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Anja, du bist nicht in Berlin geboren. Seit wann wohnst du dort? Anja Schwanhäußer:Ich bin gebürtige Münchenerin und 1992 nach meinem Abitur zum Studium hingezogen. Die Mauer war eben gefallen und mir war klar, ich will in Ostdeutschland studieren. Ich hab mir dann mehrere Städte angeguckt. Berlin, besonders den Ostteil der Stadt, fand ich am aufregendsten. Seit wann interessiert dich die Techno-Subkultur? Hast du dich schon in München damit befasst oder bist du erst in Berlin darauf aufmerksam geworden? Klar gab es auch in München ein paar kleine kulturelle Nischen. Aber Subkultur war mir während meiner Schulzeit in den 80er-Jahren relativ fremd. Ich bin erst durch mein Studium in Berlin darauf aufmerksam geworden. Meine Magisterarbeit drehte sich um die deutsche Underground-Presse in den 60er- und 70er-Jahren. Dabei hab ich mich auch mit der Hippie-Kultur auseinander gesetzt. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis mich ein Freund mal auf einen Open-Air-Rave mitgenommen hat. Das war im Sommer 2000. Da hab ich dann ganz erstaunt festgestellt: Die Hippie-Kultur, die ich bis dahin nur aus dem Archiv kannte, wird ja noch gelebt. Natürlich hatte ich auch vorher schon Kontakt zu den Berliner Subkulturen. In den 90ern gab es in jedem Ostberliner Hinterhof oder stillgelegtem Betrieb Off-Kinos, Galerien und Bars. Aber die Techno-Partys in den Freiräumen, die die Stadt und die Natur bieten, habe ich erst im Sommer 2000 kennen gelernt. Wie lange hast du die Szene für deine Untersuchung begleitet? Etwa drei Jahre. Meine Hauptforschungsarbeit „im Feld“ habe ich von 2002 bis 2005 gemacht. Wie viele Partys hast du dabei besucht? Oh je, ich glaube unendlich viele. (lacht). Erst waren es wenige, denn ich musste die Partys überhaupt erst einmal finden. Erst wenn man die Leute kennt, erfährt man, wann und wo etwas stattfindet. Sehr intensiv wurde es, als ich dann mitten drin war. Mein Freund wohnte damals in München, wir hatten eine Fernbeziehung. Wir haben uns dann fast ein Jahr lang nicht gesehen, weil ich an den Wochenenden die Szene besuchen und Partys feiern musste. Warum durfte dein Freund da nicht mit? Ich hätte ihn schon mitnehmen können. Allerdings, das stellt jeder Nachtschwärmer irgendwann fest, ist es sehr viel leichter mit Leuten ins Gespräch zu kommen und sie kennen zu lernen, wenn man allein unterwegs ist. Das ist auch so eine Feldforschungsregel, dass man am besten allein ins Feld gehen sollte, weil Leute dann eher auf einen zugehen. War es schwer, Teil des Techno-Undergrounds zu werden? Es gab keine schwierigen Ein- und Ausschlussrituale, wie beispielsweise in der Punkszene am Alex. Wenn du da einen anderen Style hast, gehörst du nicht dazu. Die Technoszene ist sehr viel heterogener, die Unterscheidung zwischen innen und außen war deshalb nicht so stark. Allerdings braucht es einige Zeit, um die Orte zu finden, an denen sich das Geschehen abspielt. Das ist für mich aber ein Zeichen dafür, dass nicht um eine reine Konsumkultur geht. Man kann nicht einfach sagen, ich will diese Partys konsumieren, sondern man muss sich ein Wissen erarbeiten, wie man überhaupt dort hinkommt. Bei mir hat das ein halbes Jahr gedauert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Plakat der Laster&Händer Wagenburg in Friedrichshain. Die roten Pfeile markieren die Locations, an denen temporäre Besetzungen stattgefunden haben. Welche Leute hast du im Techno-Underground getroffen? Kann man sie charakterisieren? Die Szene ist sehr gemischt, das betrifft sowohl die persönlichen Stile der Leute, als auch die Frage, wie man so sein Geld verdient. Es gibt aber ein paar Gruppen, die sowohl wichtig für das Geschehen, als auch für Gestalt der Szene sind. Das sind zum einen die Hausbesetzer und die Wagenburgler, aus denen der Techno-Underground hervorgegangen ist. Sie haben das praktische Wissen und die Mittel, um Orte vorübergehend zu besetzen. Das ist nämlich gar nicht so einfach. Und die andere Gruppe sind Leute, die eher Hippie-mäßig drauf sind. Die Grenzen sind zwischen Hippies und Besetzern sind aber fließend. Im Buch beschreibst du, dass die Leute in der Szene die formelle bürgerliche Kultur ablehnen und statt dessen einen rauen, herzlichen Umgangston pflegen. Geht es in dieser Subkultur um Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen? Das stimmt vor allem für die Gruppe der Wagenburgler. Dort findet man häufig die Einstellung: Kein Bock auf Gesellschaft, lass uns Freiräume erobern und dort unser eigenes Ding machen. Für sie heißt Freiheit, sich nicht anpassen zu müssen. Manche Wagenburgen pflegen eine Cowboy Kultur. Im Buch habe ich die Country-Band „Dead County Cool Boys“ vorgestellt, die aus der einen Wagenburg hervorgegangen ist. In der Figur des Cowboys stecken auch die starken Ideale: Freiheit, Weite und Abenteuer. Warum konnte sich diese Szene in Berlin so gut entwickeln? Nach der Wende gab es in der Stadt jede Menge Freiräume. Teilweise waren die schon zu DDR Zeiten da, denn in den 80ern sind viele Leute aus den unsanierten Altbauten im Prenzlauer Berg weggezogen. Die Leerstände konnten damals aber noch nicht kreativ genutzt werden, weil die Stasi ein Auge darauf hatte. Das ging erst nach der Wende. Da kam dann auch noch der ganze Leerstand durch ehemalige DDR Regierungseinrichtungen und pleite gegangene Betriebe dazu. Darunter gab es Schmuckstücke wie die Kongresshalle am Alexanderplatz. Ein klarer Vorteil war auch, dass nach der Wende die ganzen Eigentumsverhältnisse ungeklärt waren. Das hat sich bis in die 00er-Jahre hingezogen und alle Arten von Zwischennutzungsformen sehr begünstigt. In den Geschichten über die Nachwendezeit liest man oft, dass es im Osten der Stadt zeitweise keine staatliche Kontrolle gab. Stimmt das? Ja. Durch den Systemwandel ist ein administratives Chaos entstanden. Die Ordnungsmacht kam nicht mehr hinterher damit, all die illegalen Clubs und Bars zu schließen. Deswegen hat die Szene das damals temporär autonome Zone genannt. Waren das paradiesische Zustände für Anarchisten? Absolut. Natürlich ahnte man, dass diese Freiräume nicht für immer da sein würden. Aber es gab noch kein Bewusstsein dafür, dass alles, was man dort veranstaltet, zeitlich vorübergehend sein würde. Erst in den 2000ern mussten die Party-Collectives und Clubbetreiber umdenken. Da wurde klar, dass sie Räume nur noch für kurze Zeit bespielen können würden. Dadurch hat sich diese Kultur des Temporären entwickelt - ein Bewusstsein, nichts ist von Dauer und man muss ständig auf der Suche nach neuen Räumen sein. Das hat zu einer Fluidität der Aktivitäten geführt: Die Szene war ständig in Bewegung und schweifte im Stadtraum umher. Kann man sagen, dass der Techno-Underground das heutige Image Berlins erfunden hat? Hat die Szene das Bild von Berlin als Bühne für Selbstverwirklichung, als Großstadt mit Platz zum Experimentieren und als Zentrum für Subkultur geprägt? Erfunden hat der Techno-Underground das Bild Berlins nicht, aber weiterentwickelt. Schon in in den 1920ern wurde Berlin von Historikern und Zeitzeugen als die Stadt des ewigen Wandels beschrieben. Auch das Westberlin im kalten Krieg galt nur als Provisorium. Der Zustand der Stadt war nie endgültig sondern immer nur vorübergehend. Und dieses Prinzip des ewigen Wandels, das hat der Techno-Underground in den 90er Jahre fortgeschrieben und für sich umgedeutet. Insofern kann man schon sagen: Das Bild, das internationale Medien heute von Berlin zeichnen, beispielsweise als größtes Zeltlager Europas , hat der Techno-Underground maßgeblich mit vorangetrieben. Was hat sich in den letzten zwanzig Jahren verändert?Ist das Freiheitsgefühl heute noch das gleiche wie nach der Wende? Jede Szene stirbt irgendwann, das sagt schon die Subkulturtheorie. Es ist wie eine Mode, sie kommt auf und vergeht auch wieder. Auch die Kosmonauten-Szene, die sie sich in den 90ern gegründet und in den 00er Jahren ihren Höhepunkt hatte, verschwindet langsam. Das liegt einerseits daran, dass die Akteure langsam älter werden. Einige haben mittlerweile nicht mehr die gleiche Feier-Energie wie damals. Andere müssen sich um ihren Job kümmern oder haben Kinder gekriegt. Das andere große Problem aber ist, dass die Freiräume kleiner werden. Man müsste der Stadtpolitik dringend mehr Signale senden, dass es höchst unkreativ ist, nur finanziellen Interessen zu folgen. Das Interesse Geld zu verdienen ist für Berlin natürlich gigantisch, weil die Stadt so pleite ist. Man muss aber aufzeigen, das mit Räumen mehr möglich ist, als sie nur an Investoren zu verkaufen, die dann eine Shoppingmall bauen. Gibt es etwas, das bleibt, wenn der Techno-Underground verschwindet? Die Kultur des Temporären wird erhalten bleiben. Wenn ich meine Arbeit weiter schreiben würde, würde ich mich fragen, inwieweit sie langsam die alte bürgerliche Kultur verdrängt. Subkultur braucht sich nicht immer nur als das Opfer zu stilisieren, das ständig verdrängt wird. Sie verdrängt auch selbst. Dass das Stadtschloss nicht gebaut wurde, hat zwar in erster Linie finanzielle Gründe. Aber ich glaube auch, dass mehr und mehr Leute in der Stadt verstehen, dass man nicht ständig an alten Besitzständen festhalten muss. Man kann auch einmal die Wiese behalten und schauen, was sich dort entwickelt. Das Projekt Mediaspree wurde auch verschoben und die Bar25 darf wieder einmal eine Weile bleiben. Auch der Flughafen Tempelhof wird jetzt vor allem von temporären Projekten genutzt und es gibt sicherlich noch zahlreiche weitere Beispiele, die ich noch nicht kenne. Das alles hat nicht nur finanzielle Gründe. Ich glaube, dass auch die Bereitschaft größer geworden ist, eine Übergangszeit offen zu lassen und zu schauen, was sich entwickelt. Die Kultur des Temporären zieht weite Kreise in der Gesellschaft.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anja Schwanhäußer ist promovierte Ethnologin und hat an der Universität Wien gearbeitet. Das Buch „Kosmonauten des Undergrounds“ erschien beim Campus Verlag.

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