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Die Muschel am Ohr

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Paul, euer neues Album ist nicht so politisch wie sein Titel verspricht, und doch: einige Songs beschreiben quasi die Lage der Nation. War es leicht, dafür Worte zu finden?
Vor allem musste ich den richtigen Ton dafür finden. In politischen Liedern sollte man nicht versuchen, jemandem eine bestimmte Meinung aufzuzwängen, sondern Texte zu benutzen, die frei interpretierbar sind. So dass sich der Hörer am Ende fragt: Was bedeutet das für mein Leben?  

Und welche Erfahrungen sind aus deinem Leben in die Songs eingeflossen?
Ganz alltägliche Beobachtungen. Allein wenn ich in den Bus steige, achte ich auf das Verhalten der anderen Fahrgäste, lasse die verschiedenen Menschen und Situationen auf mich wirken und schreibe später womöglich etwas dazu auf. Wir haben ja schon immer versucht, in unseren Songs zu erzählen, was um uns herum passiert. Wir wollen die Gefühle transportieren, die uns die Gesellschaft gibt, in der wir leben.  

Hast du ein Beispiel?
Zum Beispiel das Gefühl von Angst. Angst, von jemandem ernsthaft zusammengeschlagen zu werden. Diese Angst habe ich schon mein ganzes Leben. Klar weiß man irgendwann, von welchen Gegenden und Plätzen in Newcastle man sich fernhalten sollte, aber nur weil man selbst nicht dort ist, heißt es ja nicht, dass da nicht trotzdem viel passiert.  

Newcastle möchte man mehrmals auf dem Album heraus hören, auch wenn du über soziale Ungerechtigkeiten singst …
Manchmal sehe ich Kids auf der Straße, die Fußball spielen und Spaß haben, und dann muss ich daran denken, dass ihre Eltern vielleicht zu Hause sitzen, ohne Arbeit, und vielleicht auch ohne die sozialen Fähigkeiten, ihre Kinder richtig zu erziehen. Und das nur, weil sie vom System ignoriert werden.  

Was kann man tun?
Manche Menschen brauchen eben Hilfe, und in einer Gemeinschaft zu leben bedeutet automatisch, dass man helfen muss - gerade wenn es zu Krisen kommt. Leider gibt es immer noch dieses enorme Ungleichgewicht zwischen denen, die wirklich in Not sind und Unterstützung brauchen und denen, die weiterhin in ihren Sportwagen durch die Gegend fahren und sich ärgern, dass sie dieses Jahr nicht fünfmal in den Urlaub können, sondern vielleicht nur zweimal. Das ist einfach nicht fair, und darum müssen sich diejenigen kümmern, die dafür gewählt wurden.   

So richtig zu glauben, dass sich bald etwas ändern könnte, scheinst du jedoch nicht. Auf dem Album singst du sogar davon, dass wir geradewegs auf eine Katastrophe zusteuern.
Weil alles immer extremer wird. Das fängt ja schon damit an, dass die Kids durch das Internet ständig und zu immer neuen Extremen Zugang haben. Natürlich bringt das Internet auch viel Positives mit sich, zum Beispiel schnelle Informationsquellen und neue Wege, sich zu bilden. Es bringt die Menschen auf der ganzen Welt zusammen. Aber leider bringt es auch die Neonazis auf der ganzen Welt zusammen.

Was ist die Lösung?
Eine Lösung heißt Vergeben. Eine andere Romantik. Und dann natürlich noch: Liebe. Unsere Leben könnten genauso einfach sein wie unsere Gefühle. Es gibt so viel Gutes auf der Welt, an dem man sich fest halten und wieder neuen Spaß bekommen kann.  

Deshalb singst du einmal auch: „I won’t survive, but I intend to have a good time.“
Genau darum geht es: wir müssen die Dinge akzeptieren wie sie sind und das Beste daraus machen. 

 Im Song „The Undercurrents“ scheint ihr sagen zu wollen, das noch etwas zum Glücklichsein dazu gehört: die Fähigkeit, zu teilen.
Absolut! Man sollte alles teilen: die Ideen, die man hat, den Schmerz, den man spürt – wenn man sich anderen anvertraut, hilft das ungemein. „The Undercurrents“ ist einer dieser Songs, in denen es um die vermeintlich kleinen Dinge geht, diese winzig erscheinenden Momente. Aber genau die wollen wir zelebrieren - und wenn es nur ein Spaziergang am Ende des Tages ist.  

http://www.youtube.com/watch?v=uskBv8lusnU

Zurück zur Einfachheit?
Ja, wobei ich es natürlich schon etwas komisch finden würde, wenn du nachher deinem Kumpel erzählst: Hör’ dir mal „The Undercurrents“ an, der ist super - es geht um einen Spaziergang! (lacht) Aber es stimmt schon, mir bereitet es die größte Freude, wenn ich etwas Schönes in etwas Einfachem entdecke, in etwas ganz Normalem und irgendwie total Echtem. Meine Lieblingsfilme zum Beispiel bestehen aus ganz normalen, alltäglichen Szenen, manchmal nur aus irgendeiner Unterhaltung. Ich entdecke darin immer sehr viel Wahrheit und Leben, und ich wünsche mir, dass die Leute, die Songs wie „The Undercurrents“ hören, genau so fühlen. Ich wünsche mir, dass sie dann merken: hier geht es nicht um die ganze Welt, sondern einfach nur um das, was zwischen zwei Menschen passieren kann.  

Romantisch werdet ihr immer wieder auf „The National Health“. Kitschig eher selten. Achtet ihr sehr darauf, nicht abzuglitschen?
Ich glaube, dass es bei uns nicht wirklich kitschig wird, liegt daran, dass unsere Lieder immer auch etwas Melancholisches in sich tragen. Melancholie schützt vor Kitsch. Aber manchmal ist es eben so, dass der beste Weg, etwas zu sagen, auch der einfachste ist. Wenn ich zum Beispiel so was singe wie, dass etwas so schön klingt wie das, was man hört, wenn man eine Muschel ans Ohr hält, ist das eine ganz einfache Beschreibung eines Gefühls, das man manchmal eben hat. Und dann erinnern einen solche Lyrics aber auch wieder an die Kindertage am Strand, als einem die Mama gesagt hat: Halt doch mal die Muschel ans Ohr und horche hinein! Das ist natürlich schon ein bisschen kitschig, in manchen Fällen aber, finde ich, auch erlaubt.  


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


„The National Health“ von Maxïmo Park ist heute erschienen.

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