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"Die systematische Ausnutzung von Zivildienstleistenden hätte ein Ende"

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jetzt.de: Herr Tobiassen, Verteidigungsminister zu Guttenberg favorisiert eine Abschaffung der Wehrpflicht und eine Umwandlung der Bundeswehr in eine reine Berufsarmee. Wird er sich mit dieser Forderung durchsetzen? Peter Tobiassen: Deutschland muss sparen. Das gilt auch für die Bundeswehr. Sie muss in den nächsten Jahren viele Ausgaben streichen. Wehrdienstleistende kosten jährlich weit über 400 Millionen Euro - ohne dass sie in der Bundeswehr ernsthaft Aufgaben übernehmen. Stellt man auf eine reine Freiwilligenarmee um, fallen zudem viele Kosten für Ausbildungsstrukturen weg. Die Einsparungen würden sich insgesamt auf gigantische 2,5 Milliarden Euro pro Jahr belaufen. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Wehrpflicht schon bald ausgesetzt wird, eventuell schon zum Ende dieses Jahres.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Was bedeutet das für jemanden, der in den nächsten Monaten vor der Entscheidung steht, seinen Wehr- bzw. Zivildienst anzutreten? Tobiassen: Er sollte alles dafür tun, um den Dienst soweit wie möglich hinauszuzögern: Zurückstellung beantragen, Tauglichkeitsüberprüfung, das Kriegsdienstverweigerungsverfahren zögerlich betreiben - das alles kann helfen. Wer weiß, was er sonst im Leben tun kann, sollte das tun: Studium oder Ausbildung beginnen, Arbeitsplatz annehmen usw. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es bereits im nächsten Jahr keine Einberufungen mehr gibt. jetzt.de: Vor einigen Wochen haben sich Union und FDP auf einen Kompromiss zum Wehr- und Ersatzdienst geeinigt. Ab dem 1. Juli soll die Dienstzeit auf sechs Monate verkürzt werden. Was bedeutet das für alle, die derzeit ihren Dienst ausüben bzw. diesen in der nächsten Zeit antreten werden? Tobiassen: Relevant ist eigentlich der 31.12.2010. Wer zu diesem Zeitpunkt sechs oder mehr Monate Wehr- bzw. Zivildienst absolviert hat, wird entlassen. Jemand der am 1. Juli beginnt, muss also nur noch sechs Monate absolvieren. Für alle, die am 1. Juni begonnen haben, bleiben sieben Monate, für jene, die am 1. Mai begonnen haben, bleiben acht Monate. Nur diejenigen, die am 1. April oder früher begonnen haben, müssen noch volle neun Monate Dienst leisten. Einberufungsbescheide, die noch auf neun Monate ausgestellt wurden, werden demnächst automatisch abgeändert. jetzt.de: Für Zivildienstleistende gibt es nach Ende ihrer Dienstzeit die Möglichkeit, in einem so genannten "öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis auf freiwilliger Basis" weitere drei bis sechs Monate an ihrer Zivildienststelle beschäftigt zu sein. Offiziell ist die Verlängerung freiwillig, es wird aber befürchtet, dass die Einrichtungen die Zivildienstleistenden quasi zu einer Verlängerung zwingen könnten. Wie könnte das geschehen? Tobiassen: Alle Zivildienststellen haben in den letzten Wochen und Monaten bereits wegen der Verkürzung gejammert. Neun Monate seien die untere Grenze, besser seien zwölf Monate Dienstdauer. Sie werden wahrscheinlich nur Stellen anbieten, die von Anfang an auf zwölf Monate ausgelegt sind. Ein Bewerber, der angibt, nur die erforderliche Mindestzeit von sechs Monaten absolvieren zu wollen, wird gar nicht genommen werden. Als angehender Zivildienstleistender sollte man deshalb an seiner Dienststelle explizit auf das Gesetz hinweisen und im Zweifel den Betriebs- oder Personalrat hinzuziehen. jetzt.de: Die neue Regelung wurde von vielen Seiten als verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Zivis kritisiert. Warum? Tobiassen: Wehrdienstleistende, die freiwilligen zusätzlichen Dienst leisten, erhalten alle einen Wehrsoldzuschlag von 613 Euro pro Monat. Damit wird die Differenz zum Gehalt eines Zeitsoldaten ausgeglichen. Zivildienstleistende sollen aber zum bisherigen Sold weiterarbeiten. Das entspricht einem Stundenlohn von 3,75 Euro. So ein Lohn liegt weit unter den Mindestlöhnen von 7,50 Euro im Osten oder 8,50 Euro im Westen. Als angehender Zivildienstleistender sollte man darauf hinweisen, dass man eine Verlängerung nur eingeht, wenn der Zuschlag gezahlt wird. Die Betriebs- und Personalräte in den jeweiligen Unternehmen haben hier mitzuentscheiden. Diese werden wir in den nächsten Wochen mit einer Kampagne verstärkt auf das Problem aufmerksam machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Peter Tobiassen jetzt.de: Ein Abiturient, der im Juli seinen Zivildienst beginnt, hätte nach Ablauf der Dienstzeit meist immer noch neun Monate zu überbrücken, ehe er zum Wintersemester ein Studium beginnen könnte. Ihre Empfehlung: Was sollen die Leute in dieser Zeit machen? Tobiassen: Wenn die Zeit in der Zivildienststelle überbrückt werden soll, gibt es drei Optionen. Die erste ist die sauberste: Einstellung als Mitarbeiter zu den üblichen Tarifbedingungen. Die zweite ist für diejenigen, bei denen nicht Arbeit, sondern das Lernen und die Orientierung im Vordergrund steht: ein freiwilliges soziales Jahr, das gesetzlich mindestens sechs und längstens 24 Monate dauern darf, anschließen. Hier sind Bildungs- und Begleittage gesetzlich vorgesehen. Als dritte Option sehe ich das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis im Anschluss an den Zivildienst – aber nur mit vollem Soldzuschlag. jetzt.de: Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung war von einer "abschnittsweisen Ableistung" des Wehr- und Zivildienstes die Rede. Im aktuellen Gesetzesentwurf ist das aber wieder fallengelassen worden. Halten Sie diese Option weiterhin für sinnvoll? Tobiassen: Ja, denn so könnte eine Ausbildungsverzögerung verhindert werden. Abiturienten könnten von Juli bis September Dienst leisten und dann direkt mit dem Studium beginnen. Der Rest könnte zum Beispiel während der Semesterferien abschnittsweise abgeleistet werden. jetzt.de: Würde das nicht zu einem Problem für die sozialen Einrichtungen? Sie müssten sich ständig auf neue Zivildienstleistende einstellen. Sobald jemand eingearbeitet ware, käme schon wieder der Nächste. Tobiassen: Das wird nur dann zu einem Problem, wenn Zivis als billige Arbeitskräfte missbraucht werden. Zivildienst soll nicht den Sozialbereich funktionsfähig machen, sondern Zivildienst ist lediglich Ersatz für ansonsten zu leistenden Grundwehrdienst. Drei Monate reichen aus, wenn diese Funktion verknüpft wird mit dem Anliegen, junge Menschen für den Sozialbereich als Berufsfeld zu interessieren oder für wichtige soziale Aufgaben zu sensibilisieren. Die systematische Ausnutzung von Zivildienstleistenden hätte damit ein Ende. Das wäre sogar ein nützlicher Nebeneffekt. *** Hier die Interseite der

Text: julian-jochmaring - Foto: ddp, privat

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