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"Die Welt muss Stellung nehmen können"

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Wenn sich, wie jeden Januar, in einem Schweizer Bergdorf die mächtigsten Unternehmen der Welt hinter verschlossenen Türen treffen, verleiht eine Jury aus Wirtschaftsethikern den Preis für das "übelste Unternehmen des Jahres". In diesem Jahr haben Gazprom, BASF und die Fifa gute Chancen. Michael Baumgartner von Greenpeace organisiert die Preisverleihung mit. Im Interview erklärt er, warum das Weltwirtschaftsforum undemokratisch und gefährlich ist - und weshalb beim Umgang mit Großkonzernen Schimpfen sinnvoller ist als Loben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Es ist ja peinlich, wenn man erwachsene Menschen dafür belohnen muss, keine Kinderarbeit zuzulassen und die Umwelt zu respektieren."


jetzt.de: Beim Weltwirtschaftsforum, kurz WEF, treffen sich die Chefs der tausend weltweit größten Unternehmen mit Staatschefs. Was ist daran eigentlich so schlimm?  
Michael Baumgartner: Dass es dort nicht nur um Firmengeschäfte geht, sondern um Weltpolitik. Darum, was Staaten tun können, um Firmen ihre Geschäfte zu erleichtern. Wenn diese Dinge auch für den Rest der Welt gut wären, hätten wir dagegen natürlich nichts einzuwenden. Aber die Interessen der internationalen Konzerne decken sich leider nicht mit denen von uns allen und der Umwelt. Es ist doch bezeichnend, dass einige der heute größten Konzerne mehr Geld zur Verfügung haben als mancher Staat.

Wo ist das Problem?  
Dass die Firmen dadurch zum Teil viel mehr Macht haben als viele Länder. Dabei sind sie aber keine demokratischen Organisationen: Die CEOs werden nicht vom Volk gewählt, sondern angestellt, um Gewinn zu machen. In Davos treten die dann direkt an Staatschefs heran und bieten Investitionen im Gegenzug zu Gesetzen - die dann zum Beispiel das Abholzen von Regenwaldgebieten erlauben oder das Demonstrationsrecht von Umweltschützern beschneiden.

Die Regierungsvertreter sind aber doch demokratisch gewählt. Vertreten die das Volk nicht ausreichend?
Nicht unbedingt. Wenn Entscheidungen getroffen werden, die für sehr viele Menschen Folgen haben - warum nicht auch diese Menschen dabei haben, um das zu bezeugen und zu kommentieren, was dort besprochen wird? Warum nicht überhaupt das ganze WEF öffnen? Wir sollten doch gelernt haben: Die Welt muss Stellung nehmen können zu Dingen, die sie betreffen.

Immerhin gibt es im Rahmen des WEF das sogenannte "Open Forum", eine Art Bürgerveranstaltung für Kritiker...  
...und wenn man sich deren Programm mal anschaut, muss man schmunzeln! Es kann nicht sein, dass eine so alte Organisation wie das WEF...

...das es seit 1971 gibt...
...nur die Sonnenseite seiner Mitglieder beleuchtet. Und nicht die Schattenseite, die immer größer wird: Die Schäden, die die Mitglieder des WEF auf der ganzen Welt hinterlassen, müssten angegangen werden. Vom WEF selbst, nicht als ausgelagerte Alibi-Veranstaltung.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Michael Baumgartner ist bei Greenpreace Schweiz zuständig für Unternehmensverantwortung. Und damit auch für den "Public Eye Award".


Ihre Plattform verleiht deshalb seit 2005 den Preis für das "übelste Unternehmen des Jahres"...
...der mittlerweile der bekannteste internationale Schmähpreis ist, sozusagen das, was die Goldene Himbeere für die Filmwelt ist.  

Bewirkt der Preis etwas?  
Und ob: 2012 hat die britische Großbank Barclays den Jurypreis für seine Lebensmittelspekulationen bekommen. Ein paar Monate danach gab sie bekannt, dass sie sich aus dem Bereich zurückzieht. Natürlich nicht nur wegen unseres Awards, aber doch wohl auch, weil die Kampagne gegen die Bank durch den Preis große Aufmerksamkeit bekam.  

Vergangenes Jahr hat Shell gewonnen.  
Da konnten wir leider keinen Erfolg verbuchen, Shell lässt immer noch nicht von der Arktis ab.  

Der Ölkonzern hat schon zweimal gewonnen, 2005 das erste Mal. Müssten die Preisträger nicht eigentlich jedes Jahr dieselben zehn Großunternehmen sein?
Nicht unbedingt, in unserer "Hall of Shame" tauchen aber immer wieder dieselben Namen auf. Und unsere Shortlist wird jedes Jahr etwas länger. Wir nominieren grundsätzlich nur Firmen, gegen die es schon Kampagnen gibt – die Preise helfen also den Kampagnen. Und die wiederum wenden sich ja nicht immer gegen Vorkommnisse aus dem laufenden Jahr: Wenn ein Konzern einen Berg abträgt, um Bodenschätze zu gewinnen, ist das ein jahrelanges Projekt.    

Es gibt einen Jury- und einen Publikumspreis. Worin unterscheidet sich die Meinung der Laien von dem, was die Experten für das "übelste Unternehmen" halten?  
Das Publikum stimmt mehr spontan ab. Da kommt es vor allem darauf an, wie viele Unterstützer die einzelnen Kampagnen in den Sozialen Medien haben. In der Jury sitzen Fachleute für Wirtschaftsethik, die sehen alle Dokumente durch und entscheiden sehr fundiert, was in welchem Kontext ethisch besonders bedenklich ist.

Die offene Abstimmung läuft noch bis Mittwoch. Aktuell liegt Gazprom vorne, nominiert wegen seiner Ölbohrungen in der Arktis. Auf Platz zwei folgen Syngenta, Bayer und BASF für ihre "Bienenkiller"-Pestizide. Die Fifa ist auf Platz drei. Warum gerade diese Reihenfolge?
Die Verhaftung der Greenpeace-Aktivisten in der Arktis war überall in den Medien und ist immer noch aktuell. Gazprom hat ja seine Bohrungen in der Arktis im Dezember aufgenommen. Die Vorwürfe gegen die Fifa indes sind nicht neu.

Wird sich die Jury auch für Gazprom entscheiden?
Das wissen wir am Mittwoch.

Ich nehme an, die Konzerne nehmen den Preis nicht selbst entgegen?
Fast nie. Viel wichtiger ist aber, dass die Kampagnen erfolgreich sind. Mittlerweile werden die Preise von den meisten Unternehmen nicht mehr ignoriert, sie reagieren darauf, indem sie Gegendarstellungen schreiben.

Bis vor fünf Jahren gab es noch einen Positivpreis für besonders vorbildliche Konzerne. Ist Loben pädagogisch nicht sinnvoller als Schimpfen?  
Schon, aber was, wenn ein Unternehmen zum Beispiel seine Ölbohrungen aus Klimaschutzgründen aufgibt, den Preis bekommt, und ein Jahr später weiterbohrt? Der Hauptgrund ist aber: Die Wirtschaft gibt sich genug positive Preise. Ob die das Plakettchen wert sind, auf das sie gedruckt sind, möchte ich bezweifeln. Und es ist ja auch ein bisschen peinlich, wenn man erwachsene Menschen dafür belohnen muss, Mitarbeiter anständig zu entlohnen, keine Kinderarbeit zuzulassen, die Menschenrechte und die Umwelt zu respektieren. Das müsste eigentlich selbstverständlich sein.


Text: jan-stremmel - Fotos: dpa / oh

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