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Die Zukunft von gestern. Das Interview zu 30 Jahre Videotext

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jetzt.de: Am 01. Juni gibt es den Videotext in Deutschland bereits seit 30 Jahren und viele Menschen haben den Eindruck, in dieser Zeit hätte sich kaum etwas verändert. Stimmt das? Frauke Langguth: Die Rahmenbedingungen nicht, die entsprechen dem World Standard. Inhaltlich wird jedoch permanent umstrukturiert. 2005 haben wir beispielsweise einen großen Relaunch gehabt und sämtliche Spielereien über Bord geworfen. Kein Geblinke mehr, kaum Grafiken, weiße Schrift auf schwarzem Grund. Alles so einfach wie möglich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Joachim Kotelmann Viele Menschen hatten den Teletext bereits abgeschrieben, erfolgreich ist er jedoch nach wie vor. Gab es auch mal Situationen, in denen Sie selbst am Medium und seiner Relevanz gezweifelt haben? Joachim Kotelmann: Nein, denn wir haben uns immer als Nachrichtenredaktion verstanden und uns nie so stark an das Medium selbst gekoppelt gefühlt. Frauke Langguth: Als ich vor zwei Jahren als ehemalige Online-Redakteurin zum ARD Text gekommen bin, habe ich mir allerdings schon die Frage gestellt, ob ich die begrenzten Möglichkeiten im Vergleich zum Internet vielleicht als Nachteil empfinden könnte. Doch genau diese Reduziertheit ist die Stärke des Videotextes. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können. Man wird nicht unnötig abgelenkt durch Audios, Videos oder Bilder, denn wir machen Textnachrichten. Aber wir wissen natürlich, dass die Leute für tiefer gehende Informationen abwandern zu anderen Anbietern. Wir sind ein reines Erstinformationsmedium. Im Grunde genommen geht es bei den elektronischen Medien immer um bessere Auflösungen, grandiosere Grafiken und mehr Kapazitäten – allesamt Anforderungen, denen der Teletext nicht gerecht wird. Wieso scheint dieser Umstand die Millionen Teletext-Nutzer dennoch nicht weiter zu stören? Joachim Kotelmann: Der Videotext ist einfach leicht zugänglich. Man muss bloß eine einzige Taste drücken, egal auf welchem Programm. Der Teletext ist ein Medium, das einem auf einfache Art und Weise zu jeder Zeit Informationen anbietet, ohne dabei unnötige elektronische Hürden aufzubauen. Außerdem läuft er parallel zum Fernsehen, sodass man nicht erst umständlich in ein anderes Medium wechseln muss. Frauke Langguth: Aber unsere größte Stärke liegt ganz klar in der schnellen Information. Wir stehlen den Leuten keine Zeit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Frauke Langguth Aber das Internet ist doch ein ähnlich schnelles Medium. Außerdem kann es beim Videotext durchaus eine Weile dauern, bis die entsprechende Seite aufgerufen wird. Frauke Langguth: Da haben Sie recht, aber uns macht nicht allein die Schnelligkeit aus. Der Videotext funktioniert vor allem in der Kombination aus Schnelligkeit, Übersichtlichkeit, Verlässlichkeit und Präsentation. Joachim Kotelmann: Bei alten Fernsehern kann es tatsächlich bis zu 35 Sekunden dauern, bis eine Seite aufgerufen wird. Doch in dieser Hinsicht haben uns die Flachbildschirme sehr geholfen, die alle einen großen Seitenspeicher besitzen, sodass dieses Problem immer weiter abnimmt. Seine Schnelligkeit und Aktualität hat der Teletext auch schon einige Male äußerst medienwirksam bewiesen. Zum Beispiel, als 2004 die Meldung vom Rauswurf von TSV 1860 München-Trainer Falko Götz bereits im Teletext zu lesen war, noch bevor er selbst überhaupt davon wusste. Joachim Kotelmann: Ja, wir haben tatsächlich schon einige Trainer entlassen (lacht). Andere Medien hatten die Information natürlich genauso schnell wie wir, aber damals war noch niemand in der Lage, die Meldung so zügig zu verbreiten. Es ist im Nachhinein auf jeden Fall immer ganz amüsant zu lesen, wenn sich die entlassenen Trainer dann im Kicker-Interview darüber beschweren, dass sie vom Rauswurf gar nicht durch den Vorstand, sondern über den Videotext erfahren haben. Der Wissenschaftler Ulrich Roloff hat den Teletext mal als „Einstiegsdroge in das totale Medienzeitalter“ beschrieben. Wie beurteilen Sie diese Aussage nun nach 30 Jahren Videotext? Hatte er recht? Joachim Kotelmann: Es gibt auch ein anderes schönes Zitat von Richard Schneider, der anlässlich einer Sendung zum Videotext Ende der 70er Jahre abschließend gefragt hat: „Wer braucht so was?“ (lacht). Aber allen Kritikern und Skeptikern zum Trotz hat sich der Videotext als kurzes Informationsmedium durchgesetzt. Frauke Langguth: Kürzlich hat auch irgendjemand über den Videotext geschrieben, er sei das Web 0.1 – und in diesem Kontext sehe ich uns wirklich. Der Teletext war das erste elektronische Medium, bei dem Sie unabhängig vom Programm Informationen abrufen konnten. Das war eine Revolution. Ist das Internet Ihr ärgster Konkurrent? Joachim Kotelmann: Nein. Das Medium, das am ehesten in der Lage wäre, uns die Butter vom Brot zu nehmen, ist der ZDF Text (lacht). Frauke Langguth: Im Internet gibt es so viele unterschiedliche Ausrichtungen, die sich allesamt gar nicht miteinander vergleichen lassen. Dadurch, dass wir als kurzes Informationsmedium einen vollkommen anderen Ansatz verfolgen als viele andere Anbieter, behält jedes Medium seine Berechtigung. Joachim Kotelmann: Wir reißen die neuesten Meldungen ja nur an, doch für die Details muss man immer noch woanders nachsehen. Auch wir selbst haben vom Internet-Boom profitiert, weil dadurch das Interesse der Leute an schnellen Informationen geschürt wurde. Die Teletext-Nutzung im qualitativen Bereich hat zugenommen, weil die Leute abends erst einmal im Videotext nachsehen, ob es sich überhaupt lohnt, überhaupt noch mal den Rechner anzuschmeißen. Werden Sie manchmal als hängengebliebene Nerds abgestempelt, wenn Sie erzählen, dass Sie beim Videotext arbeiten? Joachim Kotelmann: Kann schon sein, dass uns einige Leute so sehen. Das will ich nicht ausschließen. Frauke Langguth: Vom Fluter, dem Magazin für politische Bildung, gab es vor einem Jahr mal eine Ausgabe über Medien. Auf den letzten Seiten wurden diejenigen Medien aufgeführt, die man nicht berücksichtigt hatte, unter anderem auch den Videotext. Begründung: „Der wird sowieso nicht von Menschen, sondern von einem hässlichen Computerprogramm gemacht.“ Für einige Leute scheinen wir also tatsächlich bloß ein automatisch generiertes Abfallprodukt des Fernsehens zu sein. Aber sämtliche Kritiken kann man durch Anführen unserer Marktführerschaft und den Millionen von Zuschauern schnell im Keim ersticken. Das neue HbbTV (Hybrid Broadcast Broadband TV) könnte den Videotext revolutionieren, indem das Digital-Fernsehen mit Inhalten aus dem Internet kombiniert wird – mit besserer Auflösung, richtigen Bildern und sogar Videos. Ist das die Zukunft des Teletextes? Frauke Langguth: Wir selbst sehen unsere Zukunft vorerst weiterhin bei den Inhalten. Unsere Kernkompetenz sind die Nachrichten. Aber für private Teletext-Anbieter und deren Werbekunden bedeutet die Möglichkeit einer Einbindung von Bildern, Videos und Spielen natürlich ein ungeheures Potenzial. Selbstverständlich stecken wir aber auch gerade in der Entwicklungsphase, machen uns viele Gedanken und arbeiten verstärkt am Videotext 2.0. Zum 30-jährigen Jubiläum veranstaltet der ARD Text einen Pixelgrafik-Wettbewerb und freut sich über Einsendungen. Infos dazu findet ihr hier.Text: daniel-schieferdecker - rbb/ Ernst; dpa

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