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„Die Zustände sind so krass, dass man sie nicht mehr zuspitzen kann“

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Als du mit deinen ersten Texten aufgetreten bist, was war größer: Lampenfieber oder die Lust auf Applaus? Ich habe mich damals total verrückt gemacht, bevor ich aufgetreten bin. Aber in diese Angst kippt dann während des Auftritts das Adrenalin mit rein. Wie die meisten Leute, die da mitmachen, habe ich mir das vorher ein paar Male angeguckt. Ich hatte auch schon geschrieben, nur mit dem Geschriebenen nichts anfangen können. Es lag in der Schublade und hat niemanden interessiert. Deswegen lag die Idee nahe - da es diese Veranstaltungsform gibt -, es auch mal auszuprobieren, was für die Bühne zu schreiben. Fast jeder, der schreibt oder Lieder macht, will das den Leuten auch präsentieren. Man will sich damit profilieren, sonst würde man ja nicht vor ein Publikum gehen. Und beim Poetry Slam bekommt man auch ein relativ großes Publikum, wenn man noch total unbekannt ist.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Du hast mal gesagt: „Vorbereitung ist was für Weicheier!“ Steigert diese Einstellung dein Lampenfieber vor einem Auftritt? Dieser Satz entstand hauptsächlich aus einer gewissen Faulheit. Ich würde natürlich nicht sagen, dass jemand, der in einem Ballettensemble tanzt, sich nicht vorbereiten sollte. Die Form, in der ich tätig bin, erlaubt, dass man spontan agieren kann. Und für diese Spontaneität ist es gut, wenn man nicht zu sehr vorbereitet ist. Du hast Philosophie studiert und schon zu Beginn deines Studiums an Poetry-Slams teilgenommen. Haben dich die Diskussionen in den Seminaren dazu motiviert? Die Diskussionen haben damit nichts zu tun – außer natürlich, dass ich an der Uni Leute kennengelernt habe, die sich auch für Poetry Slams interessierten. Natürlich hat das Studium Auswirkungen auf das gehabt, was ich schreibe, alles, was man mal aufgenommen hat, fließt dann auch wieder raus. Aber das Studium war nicht der Auslöser, um auf die Bühne zu gehen. Wie schreibt man einen guten Poetry-Slam-Text? Es gibt kein Rezept für einen guten Slam-Text. Meine einzige Regel ist, dass ich versuche etwas zu schreiben, das mir als Publikum auch gefallen würde. Es kommt ja oft die Kritik an dem Poetry-Slam-Format, dass es zu witzig und oberflächlich und keine ernsthafte Literatur wäre. Aber das ist natürlich die völlig falsche Herangehensweise an das Phänomen. Es muss einem ja von vornherein klar sein, dass in einem Wettstreit unter Poeten jeder Teilnehmer versucht, das Publikum von den Sitzen zu reißen. Marc-Uwe Kling im Halbfinale der Deutschen Poetry-Slam-Meisterschaft 2007

Sind Poetry-Slam-Beiträge oft witzig, weil sie vor allem in Kneipen und Cafés aufgeführt werden? Wir haben zum Beispiel die Stadtmeisterschaft gerade in der Berliner „Volksbühne“ gemacht. Das ist ein ganz anderer Rahmen, in dem die Texte auch ganz anders wirken. Der Ort hat also in jedem Fall seinen Einfluss darauf. Aber im Großen und Ganzen ist das ein sich selbst verstärkender Trend. Anfangs war es hauptsächlich Lyrik, Rap oder Spoken Word, und irgendwann fingen die Leute an, witzig zu werden. Auf diese Weise haben viele einen Poetry Slam gewonnen, was wiederum andere beobachtet und dann gedacht haben: Super, so mache ich das auch! Inzwischen gibt es sehr viele witzige Texte. Das klingt jetzt so, als würde ich das kritisieren, will ich aber gar nicht. Ein witziger Text kann ja auch sehr ernst und gehaltvoll sein. Und ein ernster Text kann total langweilig und dumm sein. Insofern ist diese Trennung zwischen witzig und ernst gar nicht so wichtig. Dein eigenes Bühnenprogramm ist radikal. Im Lied „Hörst du mich, Josef?“ zum Beispiel willst du den Banker Ackermann umbringen. Wie viel revolutionäre Energie steckt in dir? Sehr viel – aber sehr wenige Illusionen. Ich laufe nicht durch die Straßen und versuche, die Leute zu missionieren. Das mache ich nur auf der Bühne. Mit dem Lied ging es mir darum zu sagen, dass Ackermanns Kopf zu fordern gar nichts bringen würde, weil Köpfe völlig austauschbar sind. Deswegen müsste man das System dahinter verändern. Fühlst du dich mit dem, was du machst, ein bisschen wie ein Richter? So sehr, wie jeder der Richter über seine eigene Meinung ist. Das Grundproblem ist eine Verantwortungsfrage. Damit schlage ich mich auch in vielen meiner Texte, Lieder und Gedichte rum. Dass man das Gefühl hat: Okay, du hast jetzt erkannt, dass irgendwas schief läuft, aber es zeigt sich keiner dafür verantwortlich. Wenn du dich irgendwo beschweren willst, dann rufst du normalerweise in einem Call-Center an, weißt aber, dass es den Leuten, die da arbeiten, noch dreckiger geht als dir. Was bringt es also, wenn ich sie anschreie, sie können ja nichts dafür. "Neues vom Känguru" als Podcast

Das klingt ja ziemlich verbittert. Letztes Wochenende war ich auf einer Diskussion, bei der es um Kabarett und Kapital ging. Es war auch jemand von der Unternehmerseite da, einer von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“. Das ist ein richtiger Scheißverein mit dem Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“. Eine Lobby-Gruppe, die versucht, die neoliberale Wirtschaftsordnung in den Medien unterzubringen. Und das haben die auch super hingekriegt. Es gibt viele verschiedene „INSM“-Botschafter, die regelmäßig in Talkshows sitzen, Journalisten mit Beiträgen und Bildern versorgen und sogar schon dem „Marienhof“ Geld zugesteckt haben, damit dort Szenen und Dialoge verwendet werden, die eine Wirtschaftsordnung in ihrem Sinne propagieren. Das kann man sich alles gar nicht vorstellen. Wenn ich so was lese, dann weiß ich gar nicht mehr, was ich da auf der Bühne noch machen soll. Die Zustände sind so krass, dass man das Gefühl hat, sie nicht mehr satirisch zuspitzen zu können. Es wurde auch gesagt, die Finanzkrise solle man den Experten überlassen, andere könnten das nicht durchschauen. Das ist eine Lüge! Ich habe als Vorbereitung für diese Diskussion ein Buch gelesen, das waren 200 Seiten. Und ich hatte das Gefühl, dass ich ungefähr verstanden habe, warum es zu dieser Krise gekommen ist. Ich habe auch verstanden, dass man in fast jedem Schritt hätte intervenieren und das Ganze verhindern können – was nicht getan wurde. Man kann sich durchaus darüber informieren. In deinem Buch „Die Känguru Chroniken: Ansichten eines vorlauten Beuteltieres“ lebst du mit einem Känguru zusammen und unterhältst dich mit ihm über Politik und Gesellschaft. Wünschst du dir, dass sich einige Studi-WGs daran ein Beispiel nehmen? Ist das nicht eh schon so? Es wäre jedenfalls durchaus wünschenswert und auch wichtig, dass die Durchschnitts-WG mal wieder ein bisschen politisch wird. In meiner WG war es der Regelfall, dass wir über alles diskutiert haben, das Diskutierte aber auch ironisiert haben, wenn wir es in gesellschaftliche Zusammenhänge rückten. Auch, wenn das gar nicht nötig war. Die politische ARD-Satire-Sendung „Scheibenwischer“ heißt jetzt „Satire Gipfel“. Reizt es dich, dort aufzutreten? Ich muss dazu sagen, dass ich keinen Fernseher habe, und mir diese Sendung nie angeguckt habe. Ich kann also keine qualifizierte Auskunft dazu geben. Fernsehauftritte haben mir bis jetzt generell sehr wenig Spaß gemacht. Gerade gestern habe ich einen Auftritt von mir auf „YouTube“ angeschaut, die Sendung dazu habe ich damals gar nicht gesehen. Die haben mein Lied einfach nach der zweiten Strophe abgeschnitten und Applaus eingeblendet. Da bin ich echt die Wände hochgegangen. Die dritte Strophe ist das Fazit und die Pointe – einfach weg! Das ist halt das Fernsehen: Hach, wenn da jemand Musik spielt, dann schalten die Leute um! Ich meine, das war das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das hat denen scheißegal zu sein, was die für eine Quote haben. Auch diese WDR-Poetry-Slams. Da wurden alle gezwungen, ihre Texte um die Hälfte zu kürzen. Und dann haben die sich gewundert, dass Murks dabei raus kam. Wenn du so einen Text nimmst, und du reißt ihm das Herz raus, funktioniert er einfach nicht. Aber die haben gesagt, fünf Minuten könne keiner zuhören. Das sind meine generellen Probleme mit diesem Medium. Im Prinzip ist Fernsehen ja interessant. Fernsehen könnte gut sein, wenn sich die Redakteure nicht selber diese völlig bescheuerten Beschränkungen auferlegen würden. Du warst auch schon in Stefan Raabs „TV total“-Show. Wie war es denn da? Man darf ja jeden Fehler einmal machen. Im Endeffekt ist es nicht wichtig, wie viele Leute du erreichst, sondern welche Leute du erreichst. Eine Sendung im „Deutschlandradio“ ist für mich wichtiger als „TV total“. Da war ich zwischen Elton, der Leuten Torten ins Gesicht warf und einem Pandabär, der sich angepinkelt hat. So extrem wie vor Stefan Raabs Publikum habe ich es noch nie empfunden, dass die Leute wirklich gar nichts damit anfangen konnten, was ich ihnen erzähle. Ich weiß nicht, ob sie es nicht verstanden haben, oder ob es sie nicht interessiert hat. Es hat einfach nicht dort hin gepasst.

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