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"Distanz macht es einfacher, sich anzuvertrauen"

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jetzt.de: Ihr habt vor Kurzem eure zehnjährige Brieffreundschaft gefeiert und schreibt euch immer noch. Wäre es nicht einfacher sich über Facebook zu schreiben?
Eva: In unserem Fall nicht, Annie ist, soweit ich weiß, gar nicht bei Facebook angemeldet. Aber es gibt ja auch noch andere Social Networks. Es stimmt schon, dass es einfacher wäre, sich nur noch über das Internet zu schreiben, und es ist ja nicht so, dass wir uns nur Briefe schreiben. Wir schreiben uns auch im Internet. Aber wir haben unsere Brieffreundschaft nie dadurch ersetzt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine von Evas Briefboxen. 10 Jahre Korrespondenz hat sie gesammelt.

Was ist das Besondere am Briefeschreiben?
Ein Brief ist viel persönlicher als eine Nachricht oder Mail. Man kann es nicht mit einem Chat vergleichen, in dem man sich schnell mal zehn Minuten austauscht. Wenn ich Annie schreibe, kann das manchmal Tage, vielleicht sogar eine Woche dauern, bis ich mit dem Brief fertig bin. Beim Schreiben macht man sich viel mehr Gedanken um den Inhalt, der Brief entwickelt sich quasi beim Schreiben. Außerdem ist es doch ein viel schöneres Gefühl, einen handgeschriebenen Brief in der Hand zu halten, als auf den Bildschirm zu starren. Im Chat läuft es einfach anders. Im Endeffekt landet man doch immer beim Smalltalk.  

Aber ihr seid keine Internet-Muffel, oder?
Nein. Ich habe absolut nichts gegen das Internet und auch nichts gegen chatten! Ich bin bei Facebook angemeldet, schreibe tatsächlich auch dort anderen Menschen und nutze es wie jeder andere auch.  

Wie hat eure Brieffreundschaft begonnen?
Wir haben uns 2002 in der Türkei im Urlaub kennen gelernt. Wobei „Kennenlernen“ es  eigentlich nicht richtig trifft. Wir haben uns erst am letzten Tag von Annies Urlaub getroffen und abends entschieden, Adressen auszutauschen.  

Viele Brieffreundschaften hören nach wenigen Briefen wieder auf, warum hat eure so lange gehalten?
Ehrlich gesagt, dachte ich damals im Urlaub auch, dass das bestimmt nur ein halbes Jahr oder so hält. Ich hatte vorher schon ein paar Brieffreundschaften, wie das eben mit 12 oder 13 so ist. Ich hätte 2002 nicht im Traum daran gedacht, dass ich ihr immer noch schreibe, wenn ich schon die Schule hinter mir habe. Ich denke, unsere Brieffreundschaft hat so lange gehalten, weil wir uns  sehr gut verstehen und uns charakterlich auch nicht auseinander gelebt haben. Wir sind wirklich gute Freundinnen geworden. Uns sind nie die Themen ausgegangen, es gab immer wieder was Neues zu berichten und wir haben oft unsere Meinungen ausgetauscht, egal ob es jetzt um Schule, Familie, Freunde oder zum Beispiel unseren Berufswunsch ging.

Habt ihr euch zwischendurch mal getroffen oder telefoniert?
Komischerweise haben wir uns tatsächlich kein einziges Mal getroffen.  

Warum nicht?
Es hat sich irgendwie nicht ergeben. Wir wollten uns mal nach meinem Abi treffen. Als ich Zeit hatte, war sie im Urlaub. Als Annie Zeit hatte, war ich schon zum Studieren nach Ungarn gegangen. Ich bin zwei Jahre älter als Annie, von daher gab es bei einer von uns immer etwas, was es zeitlich verhindert hat, dass das klappt. Abitur, Studienbeginn und so weiter.

Aber du weißt schon, wie Ann-Marie aussieht, oder?
Ach, eine Digicam besitze selbst ich als altmodische Briefeschreiberin - und man stelle sich vor, sogar per Post kann man Fotos schicken! Klappt prima! 

Ist es nicht trotzdem ein komisches Gefühl, jemanden seit zehn Jahren zu kennen, ohne ihn zu treffen?
Ich weiß nicht, ob ich es komisch finden soll. Einerseits ist es seltsam, dass man einen Menschen so gut kennen gelernt hat, obwohl man ihn weder gesehen noch gehört hat. Andererseits habe ich nicht das Gefühl, dass unsere Freundschaft dadurch in irgendeiner Weise eingeschränkt war oder ist. Sie ist anders entstanden als alltägliche Freundschaften. Aber für mich ist das eher ein besonderes Gefühl als ein komisches.  

Was steht denn eigentlich in euren Briefen?
In unseren Briefen steht alles, was uns gerade beschäftigt, Sorgen, Probleme, aber auch, was gerade ganz besonders toll ist. In den letzten Jahren hat sich viel um Schulabschluss und Studium gedreht.  

Ist es eventuell sogar einfacher, sich jemandem anzuvertrauen, der weit weg ist und nicht zum Freundeskreis vor Ort gehört?
Es gibt schon Dinge, die ich ihr erzähle, die ich zu Hause auch nur ganz wenigen Leuten erzähle. Was sich für mich immer als sehr positiv herausgestellt hat, ist die Tatsache, dass man bei Problemen auf eine objektive Antwort vertrauen kann. Wenn ich ein Problem habe und Annie davon erzähle, dann antwortet sie manchmal ganz anders darauf als ich es erwartet hätte. Sie sieht das Problem aus einem anderen Blickwinkel. Das hat mir wirklich oft weitergeholfen. Manchmal macht es die Distanz vielleicht auch einfacher, sich anzuvertrauen. Schließlich erzählt ein Brief nichts weiter und private Sachen bleiben dort, wo sie hingehören.

Hebt ihr die Briefe auf?
Ja natürlich hebe ich die Briefe auf! Ich habe Briefboxen und daheim sogar eine eigene Schublade, in der alle Briefe und Postkarten verstaut sind.  

Haben sich eure Briefe über die Jahre verändert?
Ja, sicher haben sie sich verändert, so wie wir uns auch verändert haben.  

Hat sich Ann-Marie auch verändert?
Na ja, es ist normal, dass man sich im Laufe der Zeit verändert. So ist es auch bei Annie. Wobei sich  diese Veränderungen, soweit ich es beurteilen kann, nicht auf den Charakter beziehen. Sie ist immer noch so nett, verlässlich und vertrauensvoll wie immer. Es sind mehr die Themen, die sich verändert haben.  

Schreibst du auch anderen Leuten Briefe?
Ich habe zumindest keine zweite Brieffreundin. Ich schreibe ab und an anderen Freunden einen Brief oder eher eine Postkarte, aber eben nicht so regelmäßig, wie ich ihr schreibe.  

Und wer hat die schönere Handschrift?
Ganz diplomatische Antwort: Wir sind beide mit unserer wundervollen Handschrift Anwärter auf die Finalrunde in Germany's next Top Handwriting.

Auf der nächsten Seite liest du, was Ann-Marie über ihre Brieffreundschaft sagt.




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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Und so bewahrt Ann-Marie Evas Briefe auf.

jetzt.de: Ihr habt vor Kurzem eure zehnjährige Brieffreundschaft gefeiert und schreibt euch immer noch. Wäre es nicht einfacher sich über Facebook zu schreiben?
Ann-Marie: Das wäre sicherlich einfacher, jedoch ist Eva glaube ich gar nicht bei Facebook registriert. Jedenfalls haben wir noch nie darüber gesprochen. Allerdings schreiben wir, wenn es mal schnell gehen soll und wir uns nur kurz über Neuigkeiten austauschen wollen, über ein ähnliches Netzwerk. Das ist unkompliziert, geht schnell und man kann antworten, wenn man zwischendurch mal fünf Minuten Zeit hat.  

Was ist das Besondere am Briefeschreiben?
Über einen Brief von Eva freue ich mich hundert Mal mehr als über eine Nachricht im Internet. Ein Brief ist eben etwas Besonderes und Persönliches. Alleine durch die handgeschriebenen Blätter entsteht ein viel persönlicheres Gefühl als durch getippte Zeilen in einer Nachricht – die hätte theoretisch ja sogar jemand anderes schreiben können, ohne dass ich es merke. Wenn ich meinen Briefkasten öffne und einen Brief darin finde, ist es wie ein kleines Geschenk. Das Gefühl bekommt man mit einer Eins im Nachrichtenordner nicht.  

Aber ihr seid keine Internet-Muffel, oder?
Ganz und gar nicht! Bei mir gibt es so gut wie keinen Tag, an dem mein Laptop aus ist. Und auch soziale Netzwerke nutze ich äußerst ausgiebig.  

Wie hat eure Brieffreundschaft begonnen? Im Herbst 2002 haben wir uns in der Türkei kennengelernt. Leider haben wir uns erst an meinem letzten Tag richtig kennengelernt, sodass quasi unsere gesamte Freundschaft auf Briefen basiert.  

Viele Brieffreundschaften hören nach wenigen Briefen wieder auf, warum hat eure so lange gehalten?
Eine Zeit lang hatte ich noch eine weitere Brieffreundin, doch nach kurzer Zeit ging der Kontakt wieder verloren. Auch wenn man nur über Briefe kommuniziert, muss die Chemie trotzdem irgendwie stimmen. Eva und ich liegen scheinbar auf der gleichen Wellenlänge. In den ersten Jahren haben wir uns konsequent mit dem Schreiben abgewechselt, sodass ich nach einer gewissen Zeit immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich lange nicht geantwortet hatte. Außerdem hat es mir auch Spaß gemacht, lange Briefe zu schreiben. Dass wir uns immer gut verstanden haben und uns für die Erlebnisse und Gedanken der anderen interessieren, erhält unsere Brieffreundschaft aufrecht.  

Habt ihr euch zwischendurch mal getroffen oder telefoniert?
Getroffen haben wir uns nach dem Kennenlernen noch nie, obwohl wir schon seit Jahren sagen, dass wir das unbedingt mal machen müssen. Telefoniert haben wir bis auf ein Mal ein paar Sekunden auch nicht.  

Warum nicht?
Es ist schwierig, da wir so weit voneinander entfernt wohnen. Außerdem haben wir beide immer ziemlich viel um die Ohren, sodass wir uns nicht mal eben gegenseitig besuchen könnten. Warum wir nicht telefonieren, kann ich gar nicht so genau sagen. Irgendwie hat es sich nie ergeben und inzwischen wäre es irgendwie komisch, plötzlich miteinander zu telefonieren. Das könnte eher nach einem zukünftigen Treffen entstehen.  

Aber du weißt schon, wie Eva aussieht, oder? Ja, weil wir uns ja tatsächlich mal real kennengelernt haben. Außerdem haben wir uns früher häufig Fotos geschickt. Aber wie Eva momentan aussieht, kann ich nicht sagen. Ich müsste sie mal wieder nach einem aktuellen Foto fragen.  

Ist es nicht trotzdem ein komisches Gefühl, jemanden seit zehn Jahren zu kennen, ohne ihn zu treffen?
Es ist einfach eine ganz eigene Art von Freundschaft, die man mit den Freundschaften aus dem alltäglichen Leben nicht direkt vergleichen kann. Da wir es - und uns - nicht anders kennen, ist es auch nicht komisch.  

Was steht denn eigentlich in euren Briefen?
Das ist Briefgeheimnis. Nein, wir schreiben einfach über alles, was uns beschäftigt. Das sind verschiedenste Themen aus unserem Alltag. Da wir eben nicht jeden Tag voneinander hören, gibt es immer viele Neuigkeiten zu berichten. Wir erzählen uns aber auch von Sorgen und Problemen.  

Ist es eventuell sogar einfacher sich jemandem anzuvertrauen, der weit weg ist und der nicht zum Freundeskreis vor Ort gehört?
Das kommt auf das Thema drauf an. Sicherlich ist es manchmal einfacher.   Hebt ihr die Briefe auf? Natürlich!  

Haben sich eure Briefe über die Jahre verändert?
Da wir beide älter geworden sind, haben sich unsere Gesprächsthemen und vielleicht auch der Schreibstil verändert. Auch die Beständigkeit und der zeitliche Abstand der einzelnen Briefe hat sich verändert: Momentan sind Briefe sehr selten geworden, da wir viel zu tun haben und einfach die Zeit fehlt, sich an einen langen Brief zu setzen. Trotzdem bleibt der Kontakt erhalten, da wir zurzeit eben mehr über das Internet kommunizieren.  

Hat sich Eva auch verändert?
Das ist schwer zu sagen, weil dazu der direkte Kontakt fehlt. Natürlich ist sie älter geworden und beschäftigt sich daher mit anderen Dingen als früher, aber das ist ja der normale Reifeprozess. Ihre Persönlichkeit und die Art mir zu schreiben haben sich aber eigentlich nicht verändert.  

Schreibst du auch anderen Leuten Briefe? Ganz selten schreibe ich mal eine Postkarte, aber ansonsten nichts Vergleichbares.  

Und wer hat die schönere Handschrift?
Definitiv Eva!

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