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Ein bisschen Spaß muss sein

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Clemens, die Klimapiraten protestieren in Tübingen gegen das geplante Kohlekraftwerk Brunsbüttel. Was hat denn eine der grünsten Städte Deutschlands mit dem Kohlekraftwerk zu tun? Das Kraftwerk soll zwar an der Nordsee gebaut werden, aber finanziert wird es von der „Südweststrom“, einem Zusammenschluss von 50 Stadtwerken, und noch weiteren, selbständigen Stadtwerken. Und da ist unter anderem auch Tübingen dabei. Wir haben uns die Stadt zum Auftakt unserer Proteste ausgesucht, weil da erstens der Sitz der SWS ist und weil zweitens Tübingen mit seinem grünen Bürgermeister Boris Palmer sehr auf Umweltschutz setzt, indem sie unter anderem Car Sharing propagieren und die eigene Stromversorgung auf Ökostrom umstellen wollen. Dass das mit der Finanzierung eines Kohlekraftwerks nicht so recht zusammenpasst, sollte eigentlich jedem klar sein. Kannst du erklären, warum der Bau eines Kohlekraftwerks so katastrophal wäre? Das Kohlekraftwerk Brunsbüttel wäre das größte Kraftwerk in Deutschland mit einer Gesamtleistung von 1 800 Megawatt, das stößt pro Jahr mehr als zehn Millionen Tonnen CO2 aus – im Vergleich: bei einem Flug von Berlin nach Kairo gelangen 400 Kilogramm in die Atmosphäre. Darum widerspricht der Bau dieses Kraftwerks dem Ziel, den Ausstoß von Klimagasen in Deutschland deutlich zu reduzieren, natürlich absolut. Aber der CO2-Ausstoß ist nur ein Argument gegen den Bau. Da wären dann noch der Staub, die Stickstoff- und Schwefeldioxide, das Dioxin und die Schwermetalle wie Quecksilber und Blei, die in die Atmosphäre geblasen werden würden – und das in einer Gegend, die immer noch sehr landwirtschaftlich geprägt ist. Wir sind auch davon überzeugt, dass dieses Kraftwerk mit Sicherheit höchst unwirtschaftlich sein wird. Zum einen ist in der Nordsee auch ein riesiger Windpark geplant und das Stromnetz dort hat nicht genug Kapazitäten um den Strom von zwei so riesigen Energie-Quellen durchzuleiten. Wie lauten denn eure konkreten Forderungen und wie realistisch ist die Aussicht auf den Erfolg eures Protest? Wir fordern, dass der Bau des Kohlekraftwerks Brunsbüttel gestoppt wird. Und eigentlich sind unsere Proteste relativ erfolgversprechend, weil bei diesem Projekt noch nichts in Stein gemeißelt ist. Es gibt auch vor Ort großen Widerstand und eine aktive Bürgerschaft. Außerdem ist die Finanzierung noch nicht so ganz geklärt und bei den einzelnen Stadtwerken gibt es ebenfalls einzelne Kandidaten, die gar nicht überzeugt von dieser Investition sind. Die Befürworter argumentieren ja, dass sie das Kraftwerk bauen wollen, um von den großen Energieversorgern unabhängig zu werden. Dabei würde sich durch den Bau des Kohlekraftwerks an dieser Situtation grundsätzlich gar nichts ändern. Wenn sie von Brunsbüttel Strom beziehen wollen, müssten die Stadtwerke dem Kraftwerk den Strom nämlich auch abkaufen. Wie fahrt ihr denn nach dem Anfang in Tübingen fort mit euren Protesten? Wir haben uns in Regionalgruppen organisiert, die sich jeweils die kleineren Stadtwerke vornehmen werden und die direkt ansprechen. Aber viel mehr ist noch nicht geplant, wir haben uns auch gerade erst zusammengefunden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Besondere an den Klimapiraten ist ja auch, dass sie kein Verein sind. Wer seid ihr denn? Wir sind ein loser Verbund, eine Kampagne junger Klimaaktivisten zwischen 20 und 40, kein Verein, keine Organisation, nichts. Wie organisiert man sich bei einer so lockeren Struktur? Wir haben im Internet unser Basecamp, wo alle angemeldet sind und die wichtigsten Dinge organisiert werden. Und wir haben in Berlin ein Navi-Team, das alles ein bisschen bündelt: Die Pressearbeit, das Fundraising und so weiter. Aber wir sind in Regionalgruppen organisiert. Die Klimapiraten haben sich vor einem guten Jahr gegründet. Habt ihr einen Lernprozess durchgemacht, Dinge gemacht, die ihr so nicht mehr machen würdet? Es gab einen großen Fehler: Und das war unser Auftreten als Piraten. Das haben wir am Anfang sehr viel offensiver und spaßorientierter gemacht. Das war zwar einerseits super, weil wir damit sehr viel Medienaufmerksamkeit gekriegt haben und für die Leute auf der Straße richtige Eye-Catcher waren. Aber dann gab es einen sehr bösen Beitrag bei Spiegel-TV, wo unser Protest als eine Abenteuerfahrt für junge Menschen und als Kostümfest lächerlich gemacht wurde. Gerade so, als hätten wir eine Spaß-Reise nach Kopenhagen zum Klimagipfel gemacht – und das war natürlich nicht der Sinn der Aktion. Also haben wir gelernt, uns nicht mehr ganz so sehr auf das Piratensein zu kaprizieren und unseren Auftritt ein wenig defensiver zu gestalten. Wie soll das konkret aussehen? Das Piratige soll schon behalten werden, aber ein bisschen in den Hintergrund rücken. Das Leitmotiv unserer neuen Kampagne ist jetzt die Welle der erneuerbaren Energien. Bei dem Protest in Tübingen haben wir zum Beispiel auf dem Marktplatz eine Art Theaterstück aufgeführt: Aus Umzugskartons wurden Kraftwerke gebastelt und schwarz angemalt. Einer unserer Mitpiraten hat sich dann als Boris Palmer verkleidet, ein anderer hat die SWS dargestellt. Und als Alternative haben wir ein riesiges Solar-Panel hingestellt, für das sich der Palmer-Darsteller am Ende entscheiden hat. Durch solche Aktionen kann man beide Zielgruppen ansprechen, die man braucht: Die Medien und die Leute auf der Straße. Wir haben die Leute zum Mitmachen animiert und am Ende waren wir dreimal so viele Leute, als vorher auf dem Platz. Reicht ein einfacher Protestmarsch nicht mehr aus? Ich denke, wenn man sich einfach so auf der Straße hinstellt und protestiert, dann geht man in der Masse der ganzen Gruppen unter. Und ich finde auch, dass ein bisschen Spaß dabei sein muss. Wenn man mit Kreativität und Begeisterung dabei ist, dann hilft einem das auch, sich selbst zu motivieren, weil so ein Protest sehr, sehr langwierig werden kann. Aber natürlich arbeiten wir auch viel im Hintergrund, schreiben Protestbriefe an Kraftwerke, arbeiten mit Verbänden wie der Klimaallianz und der Bürgerinitiative in Brunsbüttel zusammen. Und das machen wir dann nicht im Piratenkostüm. Muss man heute denn mehr um Aufmerksamkeit kämpfen? Ja, das glaube ich schon. Vor allem, weil Umweltorganisationen immer noch mit dem Image des spaßbefreiten Birkenstock-Sandalen-Träger zu kämpfen haben. Aber natürlich darf man bei all dem Spaß sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Aber solange das nicht passiert, finde ich den kreativen Protest überhaupt nicht problematisch.

Text: christina-waechter - Fotos: Felix Meinhardt

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