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Einfach anklopfen: Zwei Grafikdesigner auf der Walz durch Amerika

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Gringografico am Machu Picchu in Peru. Hand aufs Herz: Ihr habt nur nach einem Vorwand für eine Reise in die Sonne gesucht. Benjamin: Stimmt. Wir hatten seit langem davon geträumt, die Panamericana entlang zu reisen und wir wollten ein Semester Auszeit von Studium und Alltag nehmen. Also haben wir überlegt, wie wir das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können und eine solche Reise abseits des normalen Touristendaseins gestalten können. Wir wollten während der Fahrt arbeiten, aber nicht die üblichen „work & travel“-Jobs machen, sondern unseren Beruf ausüben. Plötzlich fiel uns ein, dass es diesen Gedanken seit einigen Jahrhunderten gibt, in Form der traditionellen Handwerks-Walz. Nun mussten wir das Ganze noch unserer eigenen Zunft und dem „Handwerk“ der Grafikdesigner anpassen. Was ist das denn, die "Walz"? Maximilian: Seit dem 12. Jahrhundert wurden Gesellen mehrere Jahre auf Wanderschaft geschickt, um bei verschiedenen Meistern Berufserfahrung zu sammeln. Es gab Zünfte, die den Wanderen für wenig Geld etwas zu essen und einen Schlafplatz gaben und Arbeit vermittelten. Die Handwerker durften ihrer Heimat nicht näher als 60 Kilometer kommen und nur das Nötigste mitnehmen. Einziger erlaubter Wertgegenstand war ein Ohrring aus Gold. Wer sich nicht an die Regeln der Zünfte hielt, dem wurde der Ring aus dem Ohr gerissen – jeder sollte das „Schlitzohr“ erkennen. 1871 wurde der Zwang aufgehoben, aber noch heute gehen einige Handwerker auf Wanderschaft. Wie lange dauerten Eure Vorbereitungen? Benjamin: Vom Kauf des Flugtickets bis zum Abflug hatten wir nur sechs Wochen und in dieser Zeit haben wir vor allem die Idee vom wandernden Grafikgesellen „Gringografico“ entwickelt und uns ein „zünftiges“ Erscheinungsbild erarbeitet. Wir erstellten ein Logo, Visitenkarten und eine Website, die uns und unser Projekt den zukünftigen Meistern erklären sollte – auf deutsch, englisch und spanisch. Außerdem entwarfen wir eine Kluft aus schwarzem Poloshirt, schwarzer Hose, Flip-Flops sowie einer gelben Gürteltasche. So hatten wir kaum Gelegenheit, eine Route festzulegen oder einzelne Agenturen zu kontaktieren. Wir kauften ein paar Landkarten und wussten nur, dass es immer nur nach Süden ging. Wie haben die Agenturen reagiert, als ihr plötzlich vor der Tür standet? Maximilian: Die Walz ist schon außerhalb Deutschlands kaum mehr bekannt und in ganz Amerika haben wir tatsächlich niemand gefunden, der wusste, was wir eigentlich genau machen. Dafür hatten wir aber unsere Internetseite gringografico.com, um die Agenturen und alle anderen Unwissenden aufklären zu können. Alle waren begeistert, als sie von der Tradition aus dem 12. Jahrhundert hörten – schließlich war das mehr als 200 Jahre vor der Entdeckung des Kontinents durch Kolumbus. Slogans wie „We’ve got the skills, you pay no bills“ sowie „on the road for food and fame“ haben auch geholfen. Konntet ihr in vielen Büros und Agenturen arbeiten? Welche Jobs waren das? Maximilian: In Vancouver haben wir uns erst mal orientiert und die Ausrüstung komplettiert. Im Gepäck hatten wir das mobile Büro mit Laptop, Kamera, Skizzenbüchern, aber auch Schlafsack, Kocher, Klopapier. Es gab gewisse Anlaufschwierigkeiten, aber dann lief es recht gut und wir haben in zwölf Agenturen gearbeitet. Im Buch geben wir auch einige Tipps, wie man vorgehen sollte. Benjamin: Es war sehr vielfältig: Manchmal haben wir nur zugearbeitet, ein anderes Mal haben wir eine Imagekampagne für eine Umweltorganisation in Kanada erstellt oder sollten einen Namen samt Design für einen neuen Energiedrink entwickeln. Es kam sehr auf den Zeitpunkt an, wann wir ankamen: Wenn der Job erst am Anfang war und es vor allem um Kreativität ging, war es leichter für uns. Im Allgemeinen war es in kleinen Agenturen einfacher, weil man dort schneller an die Leute herankam, die entscheiden konnten, ob es etwas für uns zu tun gab. Wie wurdet ihr bezahlt und wo habt ihr geschlafen? Benjamin: Es war eigentlich alles dabei: Wir bekamen ein paar Dollar für die nächste Tankfüllung oder wurden zum Essen eingeladen. In San Francisco wurden wir mit einem professionellen Fotoshooting am Strand belohnt und in Los Angeles schenkte uns der Meister sein altes Surfbrett, mit dem wir in Costa Rica viel Spaß hatten. Als wir unterwegs waren, haben wir im Van auf der Matratze geschlafen. Wenn wir in der Stadt jemand kennengelernt hatten, dann parkten wir den Van vor der Tür und durften drinnen Küche und Bad nutzen. Wenn genügend Platz war, konnten wir im Gartenhäuschen auf der Luftmatratze, auf dem Sofa oder im luxuriösen Gästezimmer mit begehbarem Kleiderschrank schlafen. So bekamen wir viel vom Alltagsleben vor Ort mit. Ihr seid 17.000 Kilometer mit einem Van von Kanada über die USA und Mexiko bis Peru gefahren. Wie groß waren die Unterschiede? Benjamin: Enorm. Man verlässt die USA und betritt eine neue Welt – ohne Vorwarnung und Grenzkontrolle. Auf ein Mal fuhren wir auf staubigen Straßen, umgeben von streunenden Hunden und lebhaftem Chaos. Max und ich sind vor drei Jahren schon mit dem Rucksack in Mexiko unterwegs gewesen, aber nach drei Monaten Arbeit in den USA war es ein ziemlicher Kulturschock. Zum ersten Mal waren wir wirklich die Gringos! In Costa Rica, Panama, Ecuador und Peru stießen wir hier und da auf Abgrenzung gegenüber den USA. Die Menschen haben ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und Unabhängigkeitsgefühl. Manchmal hörten wir die Sorge, dass die eigene Kultur mehr und mehr zugunsten des Strebens der Gesellschaft nach dem amerikanischen Vorbild aufgegeben werden würde. Eine Entwicklung, die wir speziell in der Werbung merkten. Wie das Roadbook der beiden entstand, liest du auf der nächsten Seite.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ihr dokumentiert die verschiedenen Stile in Eurem Buch. Wie stark unterscheidet sich das Design in Deutschland von dem in Nord- und Mittelamerika? Sind Designer auf der ganzen Welt gleich? Max: Designer haben eines gemeinsam: Ihre Arbeit soll Dinge schaffen, die anderen auffallen oder die einfach nur schön sind. Der Beruf spiegelt sich auch in der jeweiligen Persönlichkeit wieder und deswegen trifft man manch skurrile Gestalt in diesem Gewerbe. Designer sind offen für alles Neue, was uns oft sehr geholfen hat. Aber es gibt deutliche Unterschiede zwischen Norden und Süden: Bei dem Entwurf eines Logos für Molkereiprodukte in Mittelamerika lagen wir immer daneben. Das lokale Design besitzt durchaus seine Eigentümlichkeiten und zugleich richtet sich viel nach dem Weltmarkt und dem allgemeinen Trend – und der wird vor allem von Großkonzernen wie Coca Cola, Nike oder Adidas geprägt. Welche Accessoires waren besonders nützlich? Benjamin: Unsere allzeit gefüllte Korruptions-Kasse: Ein Händedruck mit ein paar Dollar ermöglichte oder beschleunigte an manchen Orten das Weiterkommen. Auch die importierten Playboy-Hefte erwiesen sich in Mittelamerika als gutes Zahlungsmittel. Ansonsten hätte das Starterkabel für die Batterie des Vans oder der Dosenöffner nicht fehlen dürfen. Wo hat es euch am besten gefallen? Benjamin: Die häufigste und schwerste Frage! Wir hatten viele „schönste Momente“ auf der Walz und nicht nur einen schönsten Strand oder Gipfel. Unsere Erlebnisse sind so eng mit den Menschen verbunden, die wir trafen und die uns für ein paar Tage in ihrem Leben aufnahmen, so dass es schwer ist, eine Begegnung oder einen Ort herauszuheben. Gemessen an der perfekten Mischung aus den Menschen, Sonne, Strand und einem tollen Arbeitsangebot: Costa Rica.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Buch schreibt ihr auch über alltägliche Probleme: Ihr musstet lange an Grenzübergängen warten, das Auto wurde aufgebrochen und in Seattle wurdet ihr rabiat von Polizisten geweckt, weil Nachbarn misstrauisch wurden. Wie seid ihr mit diesen Herausforderungen zurechtgekommen? Maximilian: Nicht jeder Tag auf der Reise war perfekt. Man klebt ziemlich aufeinander, es gibt manchmal Streit und auch das Schnarchen des Kerls neben dir kann richtig nerven. Bei mir kam hinzu, dass ich sechs Monate von meiner Freundin getrennt war. Eine solche Reise bietet allerdings so viel Abwechslung, Abenteuer und Ablenkung, dass vieles, was zu Problemen führen kann, oft gar nicht zum Tragen kommt. Meine Freundin lebte in Deutschland weiter ihren Alltag und hatte viel mehr Zeit zum Nachdenken als ich. Die sechs Monate waren eine großartige Vorbereitung für die darauf folgende Diplomzeit, in der Benjamin und ich nicht weniger Abstand hatten. Dafür waren wir dann gut gewappnet. Denn wir haben so manche andere Freundschaft zerbrechen sehen, weil es Probleme mit der gemeinsamen Arbeit gab. Wie ging es weiter, als ihr wieder in Deutschland wart? Hattet ihr immer das Ziel, aus dem Projekt ein Buch zu machen? Benjamin: Unsere Rückkehr war eine ziemliche Umstellung, nicht nur wegen der winterlichen Temperaturen. Nach einem halben Jahr „on the road“ voller Freiheit und Abenteuer standen nun knappe drei Monate im Diplomraum der FH Wiesbaden an, in denen unser Blick anstatt aus der Windschutzscheibe in die Ferne jetzt auf das Diplom am Computerbildschirm gerichtet war. Wir hatten die Walz mit dem Plan begonnen, unsere Erfahrungen und den Gesellen-Alltag in der anstehenden Diplomarbeit zu dokumentieren und träumten davon, diese als Roadbook zu verlegen. Wir wollten möglichst vielen Studenten Mut machen, selbst einmal in die Schule des Lebens zu gehen. Wo arbeitet ihr heute? Hat euch die Walz geholfen, den Job zu kriegen? Maximilian: Ich arbeite momentan in einer kleiner Agentur in der Nähe von Wiesbaden und will mich bald selbstständig machen. Was uns an dem Gesamtprojekt wohl am stärksten voran gebracht hat, war die Veröffentlichung des Buches. So ein Portfolio hat eben nicht jeder und das öffnet auch viele Türen bei der Jobsuche. Aber eines ist klar: Ohne jeden einzelnen Schritt im Vorfeld wäre es niemals so weit gekommen. Ein Punkt, den wir wohl beide gelernt hatten, war Ideen in die Hand zu nehmen und nicht vor sich selbst zu kapitulieren. Einfach anzuklopfen und die Zuhörer zu begeistern – die Taktik hat uns auch beim letzten Schritt in den Verlag geholfen. Auf diese Weise kann man eigentlich nur gewinnen. Benjamin: Ich denke, dass die Erlebnisse einer Walz jeden Lebenslauf und jedes Portfolio aufwerten. Doch nicht nur die Arbeit, sondern vor allem der persönliche Erfahrungsschatz macht eine Walz so wertvoll. Nicht ohne Grund war sie früher Voraussetzung, um eines Tages den Meistertitel tragen zu dürfen. Ich lebe nun in Amsterdam und arbeite als Junior Art Director in einer Werbeagentur. Haben sich interessierte Walzer gemeldet? Benjamin: Wir freuen uns über jeden, der eine ähnliche Idee hatte oder durch uns darauf gebracht wird. So waren unabhängig von uns zwei Grafiker ein halbes Jahr lang in Deutschland unterwegs, zwei andere Studenten kontaktierten uns, weil sie ein ganzes Jahr „around the world“ vor sich hatten und unterwegs nach dem Prinzip der Walz leben und arbeiten wollten. Aber wir merken, dass dieses Thema immer mehr junge Menschen interessiert und es trotz seiner Herkunft und langen Geschichte absolut zeitgemäß ist. Gerade kam ja der Film „Für den unbekannten Hund“ mit dem Rapper Ferris MC in der Hauptrolle in die Kinos, in dem es auch um die Walz geht. Es wäre schön, wenn sich dieser Gedanke in unserem Handwerk und in vielen anderen Berufen etablieren könnte und wieder zu einer eigenen Tradition werden würde. Das Buch „Gringografico“ ist im Hermann Schmidt Verlag Mainz erschienen und kostet 39,80 Euro. Auf den nächsten Seiten: Mehr Bilder von Maximilian und Benjamin auf der Reise


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bei der "Arbeit" in Portland

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die "Walz 2.0"-Kluft


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

17.000 Kilometer von Kanada nach Peru mit diesem Van

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Laptop gehört zum Handwerkszeug


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Beim Schlafen im Yosemite-Park...

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

und beim Surfen in Costa Rica

Text: matthias-kolb - Fotos: privat

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