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Es gibt Alternativen: Interview zum Weltsozialforum

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Am Donnerstag startete in Bamako (Mali) das 6. Weltsozialforum, bei dem sich globalisierungskritische Gruppen aus aller Welt versammeln. Ins Leben gerufen wurde das Weltsozialforum als Alternative zum Weltwirtschaftsforum in Davos. Bis auf das Weltsozialforum vor zwei Jahren, das in Mumbay tagte, fanden diese Treffen immer im brasilianischen Porto Alegre statt. Dieses Jahr gibt es erstmals drei Veranstaltungsorte auf drei verschiedenen Kontinenten: Afrika (Bamako, Mali), Asien (Karachi, Pakistan) und Lateinamerika (Caracas, Venezuela).

Wir sprachen mit Uli Brand, der dem wissenschaftlichen Beirat von Attac angehört, an der Universität Kassel am Fachgebiet „Globalisierung & Politik“ arbeitet und im Frühjahr 2005 sein Buch „Gegen-Hegemonie. Perspektiven globalisierungskritischer Strategien“ veröffentlicht hat, über die Entwicklungen und Veränderungen des Weltsozialforums. Nächste Woche fährt er nach Caracas, um dort an verschiedenen Workshops teilzunehmen. Sie haben 2002 den wissenschaftlichen Beirat von Attac mitgegründet und waren seit dem zweiten Weltsozialforum regelmäßig bei diesen Treffen dabei. Was genau passiert denn da? Man kann sich das ein bisschen wie ein fünftägiges Happening vorstellen. Es gibt Großveranstaltungen mit mehreren tausend Menschen, kleine Workshops, unzählige Feste und Konzerte. Das Ganze spielt sich in einer Art Zeltstadt ab und ist wie ein großes Politfestival. Auf den Großveranstaltungen reden eher die Stars der Szene wie die Gewinnerin des Alternativen Nobelpreis Vandana Shiva oder Michael Hardt, der Co-Autor des Buchs „Empire“. Dabei geht es um Strategien oder darüber, was neoliberale Globalisierung oder Militarisierung eigentlich ist. In den Workshops wird dann mehr über konkrete Sachverhalte informiert: Was heißt zum Beispiel Wasser-Privatisierung in Lateinamerika? Welche Rolle spielen europäische Unternehmen dabei? Die Ursprungsidee war es, eine Alternative zum Weltwirtschaftsforum in Davos zu etablieren. Ist das gelungen? Das ist sicher der größte Erfolg des Weltsozialforums. Nicht nur unter den Teilnehmer gibt es das Selbstverständnis, dass man der Contrapunkt zu Davos ist, sondern auch die Medien kommen nicht mehr drum herum, das Forum zu erwähnen und darauf hinzuweisen, dass es dort eine Diskussion um Alternativen gibt. In diesem Jahr findet das Weltsozialforum zum ersten Mal nacheinander an drei Veranstaltungsorten statt. Warum? Die Örtlichkeit bestimmt natürlich auch die Teilnehmerzusammensetzung. In Porto Alegre kamen weit über die Hälfte der Teilnehmer aus Brasilien, vielleicht noch ein paar aus Argentinien, Paraguay oder Uruguay, weil man sich den Zug leisten konnte. Die erste Idee war deshalb kontinentale Foren wie das Europäische Sozialforum einzurichten, was ja auch ganz gut läuft. Wir wollten zudem aber auch von der hohen Symbolik von Porto Alegre wegkommen. Es wird ja kaum mehr vom Weltsozialforum sondern nur noch von Porto Alegre gesprochen. Was in Asien, Afrika oder Europa geschieht, wurde dadurch an den Rand gedrängt. So entstand die Idee für ein polyzentrisches Forum: man hofft, mehr Menschen zu erreichen und spezifischre Probleme zu diskutieren. Außerdem kam die Angst auf, das WSF werde zu einem ritualisierten Medienereignis mit immer weniger innovativem Charakter. Das Weltwirtschaftsforum in Davos ist ritualisiert. Der Kontrapunkt dazu darf nicht auch ritualisiert, sondern muss flexibel, bunt und innovativ sein. In Caracas soll es sogar ein Alternativforum zum einstigen Alternativforum geben. Stimmt das? Das ist nicht ganz richtig. Dieses Forum nennt sich „Open Space“. Meist ist das ein riesiges Zelt innerhalb oder am Rande des Geländes. Das gab es von Anfang an. Ich gehe auch immer hin. Es ist kein Gegenforum, wie gerne geschrieben wird, sondern versteht sich als Ergänzung. Die Idee ist, einen offenen Raum zu schaffen, der zum Beispiel auch Leuten offen steht, die sich nicht trauen, selbst ein Seminar anzumelden. Ist es nicht auch eine Gefahr für das Weltsozialforum, wenn es sich aufteilt? Natürlich wird Caracas vor allem ein lateinamerikanisches Forum werden und Bamako ein afrikanisches. Und das Tolle an den großen Weltsozialforen ist ja gerade, wenn in den kleinen Workshops Bauern aus Brasilien, Indien und Mali diskutieren, wie sie mit Weltmarktöffnung oder der Privatisierung von Saatgut umgehen. Da sitze ich jedes Mal da und kann es gar nicht fassen. Das fehlt natürlich ein Stück weit, wenn das Weltsozialforum dezentralisiert ist. Aber deshalb gibt es die Idee, alle zwei Jahre ein zentralisiertes Treffen zu machen. Was hat sich denn beim Weltsozialforum selbst verändert in den letzten Jahren? Was mir besonders aufgefallen ist: es gibt seit den letzten Jahren ein hohes Bewusstsein dafür, dass zu diesen Treffen nur sehr wenig Menschen kommen können und dass der Sozialforenprozess auf der nationalen und lokalen Ebene verankert werden muss. Es gibt da keinen Hype. Niemand sagt, wir müssen alles aus Porto Alegre, Mumbay oder jetzt aus Bamako, Caracas oder Karachi anregen und steuern. Sondern im Gegenteil: Es gibt konkrete Absprachen, wie man auf lokaler Ebene mit den Themen umgeht. Letztes Jahr fand das erste deutsche Sozialforum statt und es gibt sogar noch lokalere Sozialforen, zum Beispiel auch in München. Wie beurteilen Sie denn Sozialforen als neue Form des politischen Engagements? Das Verdienst der Sozialforen ist, dass man auf ihnen begonnen hat, sich darüber auszutauschen, was eigentlich die großen Probleme sind. Ist das Problem der schwache Staat? Es gibt Positionen, die sagen, die Globalisierung ist ein ökonomie- und finanzgetriebener Prozess und wir müssen die Nationalstaaten stärken. Eine andere Position sagt, der Staat ist ganz aktiver Bestandteil der Globalisierung, treibt sie voran über Finanz- und Haushaltspolitiken, über Standortwettbewerb usw. Diese unterschiedlichen Einschätzungen führen natürlich zu unterschiedlichen Strategien. Wie agiert Attac in Deutschland, wie agieren lokale Gruppen gegenüber ihren lokalen politischen Vertretern? Die nächste Frage, die die Sozialforen auf den Tisch gebracht haben und die ich die wichtigste finde, ist die nach den Alternativen. Wie kann man ein Weltfinanzsystem anders gestalten? Wie kann man Ökonomie solidarisch organisieren? Wie kann Politik anders aussehen, ohne immer nur über den Staat gedacht zu werden? Gelingen diese Diskussionen bei dem deutschen oder den lokalen Sozialforen schon so? Das ist im Entstehen. Wir leben in einem eher konservativen Land. Damit meine ich, man ist hier sehr auf Parteien zentriert und die politische Kultur ist hier wenig offen, man sucht wenig Neues, wie man an der Debatte um die Linkspartei sehen kann. Die Sozialforumsbewegung insgesamt hat zugenommen. Die hohe Bereitschaft, sich auf langsame anstrengende widersprüchliche Politikprozesse einzulassen, und nicht die Megaformel für alle Probleme zu haben, mit der wir morgen die Welt aus den Angeln heben, das ist ja das Kennzeichen der Sozialforumsbewegung. Das heißt aber natürlich auch, dass man das medial nicht so toll verkaufen kann. Aber wir haben in den letzten viel erreicht. In Lateinamerika sind Privatisierungsprozesse umgekehrt worden. Das sind Erfolge, die mit dem Sozialforum zu tun haben, ihm aber natürlich nicht konkret zugerechnet werden.

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