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"Es gibt keine zuverlässigen Daten"

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Wer nach Deutschland flieht, den erwartet oft der Aufenthalt in einem Asylbewerberheim – auf unbestimmte Zeit. Die 26-jährige Paula Bulling zeichnet in ihrer Graphic Novel ein beklemmendes Bild von diesem Leben im Lager.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


  
jetzt.de: Paula, für deine Graphic Novel „Im Land der Frühaufsteher?“ hast du mehrere Asylbewerberheime in Sachsen-Anhalt besucht. Ist es da wirklich so trostlos, wie du es darstellst?
Paula Bulling: Es ist sogar noch schlimmer, als ich es gezeichnet habe. Diese Heime sind meist weit ab vom Schuss. Viele sind in ehemaligen Kasernen, Pionierheimen oder Fabriken untergebracht. Die Heime, die ich gesehen habe, ähneln sich frappierend: Trostlose Zimmer, die immer gleichen Resopalmöbel, schlechte sanitäre Anlagen und so weiter. Was man nicht zeichnen kann, ist die Permanenz, Tag für Tag wieder an diesem Ort aufzuwachen. Es gibt Leute, die zehn, 15 Jahre oder länger in so einem Heim ausharren müssen. Als Besucherin bleibt man zwangsläufig an der Oberfläche.
  
Wie bist du mit diesem Thema in Berührung gekommen?
Das war im Grunde ein Zufall. Ich war mit einer guten Freundin vier Wochen in Syrien. Danach haben wir einen Vortrag von syrischen Menschenrechtsaktivisten gehört, die nach Deutschland geflüchtet sind. Eigentlich sollte es dabei um die Syrien-Problematik gehen, aber die Redner haben unerwarteter Weise ihre Lebensbedingungen im Flüchtlingsheim in Thüringen thematisiert. Bei der Begehung dieses Heims habe ich dann den Filmemacher Maman Salissou Oumarou kennengelernt. Durch den Kontakt zu ihm hat sich die Möglichkeit ergeben, in diese Welt hineinzugucken. Ich habe ungefähr ein halbes Jahr ziemlich intensiv recherchiert und bin regelmäßig in verschiedenen Heimen gewesen.
  
Wie viele Asylbewerberheime gibt es eigentlich?
Darüber gibt es meines Wissens keine zuverlässigen Daten. In Sachsen-Anhalt müssen es etwa 30 sein, man kann davon ausgehen, dass es in jedem Landkreis eines gibt. Ich habe mal mit einer Mitarbeiterin von Pro Asyl darüber gesprochen, weil ich eine deutschlandweite Übersichtskarte machen wollte. Aber auch sie konnte mir keine Zahlen nennen. Es gibt auch keinen deutschlandweiten Vergleich der Situation für Flüchtlinge. Niemand kann dir sagen, ob es in Baden-Württemberg freundlicher oder restriktiver zugeht als in Bayern – außer den Flüchtlingen selbst.



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In der Bayerischen Asylverordnung steht, mit den Lagern wolle man „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“. Das klingt ja ziemlich heftig. Weshalb ist der Widerstand gegen diese Behandlung von Flüchtlingen nicht stärker?
In Leipzig soll gerade das zentrale Flüchtlingsheim aufgelöst und in mehrere kleine Heime in verschiedenen Stadtteilen aufgeteilt werden. Jetzt wehren sich Bürger massiv dagegen, dass diese Heime in ihre Viertel kommen, weil sie Angst davor haben, dass ihr Eigenheim an Wert verliert. Das ist für mich ein typisches Beispiel für die latente Angst und die rassistischen Vorurteile, denen Flüchtlinge hier begegnen. Davon abgesehen gibt es durchaus Widerstand gegen die Zustände, es gibt Netzwerke von Flüchtlingsorganisationen. Ich hoffe, dass das Thema in Zukunft noch eine breitere Öffentlichkeit erreichen wird.
  
In einer Szene im Buch lässt du dir allerdings von einem Kumpel vorwerfen, mit einem solchen Comic auch nichts ändern zu können. Zweifelst du an der Stelle etwa selbst an der pädagogischen Wirkung der Graphic Novel?
Was er mir vorwirft, ist, als weißer Mensch die Geschichten von schwarzen Menschen zu repräsentieren und damit das gängige Schema zu wiederholen, in dem Weiße sich die Definitionsmacht anmaßen. Ursprünglich war ich gar nicht darauf aus, meine eigene Person zu thematisieren, aber ich wollte zeigen, dass ich von einem subjektiven Standpunkt aus berichte. Ich kann nur schildern, was ich gesehen habe, nicht für die Menschen sprechen. Deshalb habe ich versucht, meine eigene Rolle in dem Buch mit zu hinterfragen.

Graphic Novels sind in Deutschland noch immer ein Nischenprodukt. Und der Stil von „Im Land der Frühaufsteher“ ist sehr skizzenhaft und experimentell. Warum hast du nicht einen massentauglicheren Weg gewählt, um auf das Thema hinzuweisen?
Das Buch hat keine Mainstream-Comicästhetik, das stimmt. Das macht den potenziellen Markt dafür vermutlich auch kleiner, ja. Aber man kann sich nicht dazu zwingen, sich allzu sehr von dem zu entfernen, wer man ist.

Und am Ende gibt dir ein Comic auch mehr kreativen Freiraum als eine beinharte Dokumentaion, oder?
Im Comic gibt es kein Footage wie im Film. Alles, was ich zeichne, ist bereits durch meine Erinnerung gefiltert. Ein paar kleine Stellen in dem Buch sind auch frei erfunden. Aber ich sage dir nicht, welche.

Text: mark-heywinkel - Fotos: Paula Bulling

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