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"Es könnte wieder kippen"

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Eine rassistische Aussage in einem Schulaufsatz. Ein Lehrer, der mit der eigenen Courage hadert. Eine Klasse, die rebelliert. Ein toter Schüler. Und die Frage: Wenn es wirklich einen Gott gibt, wie kann er nur so ein Arsch sein?

Im Roman „Jugend ohne Gott“ von Ödön von Horváth von 1937 steht alles im Zeichen des Wandels der Gesellschaft, des ethischen und moralischen Verfalls und der stärker werdenden Naziideologie. In einer Inszenierung des Stücks im neuen Münchner Zwischennutzungsprojekt „BieBie“ überprüft der junge Regisseur Manuel Braun die Geschichte auf ihre Aktualität. jetzt.de hat mit ihm nach der ersten Aufführung gesprochen.

jetzt.de: Manuel, du kommst direkt aus deiner Premiere. Wie lief‘s?
Manuel Braun: Sehr gut, ich bin 8.000 Kilo leichter. Es war ein ziemlich langer Weg. Vor allem das Bespielen einer Zwischennutzung ist natürlich aufregend. Vor fünf Monaten war das “BieBie” noch eine alte Druckerei. Da musste umgebaut werden, wobei es immer Zeitverzögerungen gibt, und in dem ganzen Chaos soll man dann inszenieren. Aber es war eine Punktlandung heute.

Aber hat sich das “BieBie” als Location bewährt?
Auf jeden Fall. Die Schauspieler haben sich total gefreut, auch mal aus dem Volkstheater rauszukommen und sich quasi neues Terrain zu eigen zu machen. Für das Stück selbst war der Ort perfekt. Bei Horváth ist immer wieder die Rede von einem stillgelegten Sägewerk, daraus haben wir eben eine alte Druckerei gemacht. Das Motiv steht im Stück dafür, dass sich die Zeiten ändern und die Menschen Angst vor der Überfremdung haben. Und so nah an der Bayernkaserne, in der ja in München Flüchtlinge untergebracht sind, zeigt sich ganz klar, welche aktuelle Relevanz in diesem Stück aus den 1930ern steckt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



In einer Inszenierung im vergangenen Jahr hast du schon Sophokles‘ “Antigone” in die Neuzeit versetzt. Und jetzt „Jugend ohne Gott“. Worin liegt für dich der Reiz, diese alten Werke neu zu interpretieren?
Für mich geht es beim Theater immer um den Bezug zu unserer Zeit. Und den gibt es bei Horváth, wenn man sich zum Beispiel Bewegungen wie Pegida anschaut. Wir leben in Zeiten, in denen es wieder drohen könnte zu kippen. Und ein Satz aus dem Stück wie „Unten marschieren die Jungs und Mädels, die sich vor den Fremden fürchten“, kriegt da eine ganz zeitgemäße Bedeutung.

Gab es Punkte, an denen du gemerkt hast, dass es aber eben doch andere Zeiten waren, als das Stück entstand?
Ja, es spielt zum Teil in einem „Zeltlager“, Drilllager würde man heute wohl eher sagen. Sehr Hitlerjugend eben. Das kennen wir so zum Glück nicht mehr.

Der Teil ist für das Originalstück ziemlich wichtig, wie habt ihr das umgesetzt?
Wichtig ist ja vor allem das Mädchen der dort eindringenden Räuberbande, mit dem sich der Lehrer solidarisiert. Im Roman ist die Rede von einer Höhle, in der sie wohnt. Ich habe ihrer Figur den Bezug zu einem Flüchtlingsboot wie vor Lampedusa gegeben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lustige Stoffe sind nicht sein Ding: Manuel Braun.

In „Jugend ohne Gott“, geht es aber nicht nur um Fremdenfeindlichkeit, sondern zu großen Teilen auch – wie der Name schon sagt – um Gott. Ist das denn auch noch so zeitgemäß?
Ich denke, diese Fragen stellt man sich doch immer: Gibt es einen Gott? Und wenn ja, wie kann er all diese Ungerechtigkeit zulassen. Der Unterschied in unserer Inszenierung ist allerdings, ohne zu viel vorwegnehmen zu wollen, dass Gott am Ende nicht die Antwort auf alles ist.

Du suchst dir für deine Stücke ja echt die harten Themen aus: bei “Antigone” waren es der Irak-Krieg und der Umgang mit Whistleblowern, diesmal sind es Flüchtlinge und Rassismus. Hast du nicht mal Lust auf ein einfaches Thema? Vielleicht mal eine Komödie?
Oh ja, an manchen Tagen gerne, das würde einiges leichter machen. Aber ich glaube, Lustig kann ich nicht. Das reizt mich einfach nicht. Ich brauche Themen, die mich wirklich beschäftigen.


Weitere Aufführungstermine: Mo, 01.06.2015, Do, 04.06.2015, Fr, 05.06.2015, Mi, 24.06.2015, je 20:00 Uhr, im BieBie in München



Text: teresa-fries - Fotos: Gabriela Neeb

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