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"Es muss ein bisschen wehtun"

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[b]jetzt.de: Alexandra, wie kommt man darauf, die Leute mit Geheimnissen anstatt mit Geld bezahlen zu lassen? Alexandra Müller:[/b] Das Thema Datenschutz beschäftigt mich einfach sehr. Paybackkarten finde ich zum Beispiel ganz schrecklich, und auch im Internet ist das ja ein großes Thema. Man gibt ständig Daten von sich her, ohne darüber nachzudenken. Darauf wollte ich die Leute aufmerksam machen. Die Performance sollte aber auch einfach mal nicht mich, sondern die anderen in den Mittelpunkt stellen und sie so aus ihrem Alltag herausreißen. [b]Beschreib doch mal, wie so ein Intimflohmarkt aussieht.[/b] Er dauert immer drei oder vier Wochen und findet in einer Galerie oder einem Kulturzentrum statt. Da präsentiere ich dann alle Produkte wie in einem normalen Geschäft. Die meisten wurden von Freunden und Bekannten extra für mein Projekt gespendet. Es sind vor allem Kleider, aber auch Bücher und typischer Trödel. Auf kleinen Schildern stehen die Preise.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Alexandra (2 v.l.) in ihrem Flohmarkt. [b]Womit bezahlen die Leute wofür?[/b] Ein Schwangerschaftsbadeanzug, Größe 36, kostete zum Beispiel sechs Minuten über ein wirklich fieses Kindheitserlebnis. Ein Pyjama war für sechs Minuten über erotische Träume zu haben und ein Lebkuchenherz für fünf Minuten über Mordfantasien. Ich versuche immer, mich von den Gegenständen inspirieren zu lassen und einen Preis zu finden, der zu ihnen passt. [b]Welches war denn dein bisher teuerstes Stück?[/b] Ich hatte mal zwei wirklich schöne Winterjacken, die kosteten jeweils 20 Minuten über etwas, mit dem man zu kämpfen hat. [b]Und wie läuft die Bezahlung dann ab?[/b] Das ist schon ein bisschen wie in einem Beichtstuhl. Ich verschwinde mit dem Käufer hinter einem weißen Vorhang, wo wir ungestört reden können. Meistens stelle ich eine Eingangsfrage und schaue dann, was passiert. Das ist sehr unterschiedlich: Manche Käufer können zehn Minuten am Stück reden, bei anderen muss ich mehrmals nachhaken und ihnen die Sachen regelrecht aus der Nase ziehen. [b]Die Leute erzählen dir ihre Geschichten nicht nur, sie sind auch damit einverstanden, dass du sie aufzeichnest und anschließend ein Hörspiel daraus machst, das 2010 im Radio gesendet wird. Findest du so viel Offenheit nicht beängstigend?[/b] In diesem Rahmen finde ich es in Ordnung, schließlich werden die Geschichten ja nicht wirtschaftlich genutzt. Aber genau das will ich den Teilnehmern ja klarmachen: dass ihre Informationen einen Wert haben, heutzutage sogar schon eine Art Währung sind. Oft kippen die Gespräche an einer gewissen Stelle um, dann fangen die Leute an, mit sich selbst zu reden und ich bin gar nicht mehr wichtig. Sie machen eine sehr intime Erfahrung – das auszulösen finde ich schön. Und wenn jemand beim nächsten Mal im dm nein zu Paybackkarten sagt, ist das natürlich auch ein Erfolg. [b]Hast du nicht manchmal das Gefühl, dass jemand sich einfach etwas ausdenkt und dich anlügt?[/b] Darüber habe ich zwar nachgedacht, aber ich habe das Gefühl, dass die Leute wirklich an dem Projekt interessiert sind und deshalb auch ehrlich antworten. Für die meisten ist es ein sehr interessantes Erlebnis. Aber wer so gut lügen kann, dass ich es nicht merke, hat sich sein Kleid oder den russischen Teelöffel auch verdient. [b]Gibt es eine Schmerzgrenze, ein Thema, über das niemand sprechen will?[/b] Nein, zumindest nicht im Allgemeinen. Ich bin sowieso überrascht, wie viel die Leute von sich preisgeben, vor allem bei denen, die eher schüchtern aussehen. Die lachen dann allerdings viel, sie versuchen, den Ernst der Lage wegzulachen. Wenn ich merke, dass ein Käufer ab einem gewissen Punkt nicht mehr weitererzählen will, ist das für mich auch okay. Und wenn ein Thema überhaupt nicht geht, bin ich offen für Verhandlungen. Aber ein bisschen wehtun soll es schon. [b]Welcher Preis würde dir persönlich denn wehtun?[/b] Es gab Schmuck, der hat ein paar Minuten über ein kleines schmutziges Geheimnis gekostet. Da hätte ich schon welche von diesen kleinen dunklen Sachen - die, die so lästig im Hinterkopf sitzen… Das wäre mir peinlich gewesen. Aber erzählt hätte ich es trotzdem!

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