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„Es soll nicht aussehen wie ein billiges Praktikum“

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Wer in Deutschland zwischen Schule, Uni und Berufsleben hängt und nicht weiß, wohin die Reise gehen soll, entscheidet sich immer öfter für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). Rund 35.000 Jugendliche haben allein 2008 ein Jahr in Kindergärten, Kitas, Krankenhäusern und Behindertenzentren oder bei einem Freiwilligen Ökologischen Jahr im Umweltschutz verbracht und getestet, wie sich das wirkliche Leben so anfühlt. In Sachsen geht das seit 2004 auch in der Politik. In Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen gibt es das Angebot seit kurzem auch. Jetzt hat auch die Hamburger GAL-Bürgerschaftsfraktion angeregt, in der Hansestadt ein Freiwilliges Politisches Jahr einzuführen. Ein Gespräch mit Linda Heitmann, 27, über die Absicht dahinter. Linda ist in der GAL-Bürgerschaftsfraktion die Sprecherin für Jugendpartizipation. jetzt.de: Was ist ein Freiwilliges Politisches Jahr, Frau Heitmann? Linda Heitmann: Das ist in Anlehnung an das Freiwillige Soziale Jahr ein Jahr, das junge Leute in Einrichtungen im politischen Raum absolvieren können. Also in Behörden, in der Bürgerschaftskanzlei, bei öffentlich-rechtlichen Medien und politischen Stiftungen. Und vielleicht auch bei Parteien und Fraktionen – das ist allerdings noch fragwürdig. Warum? Weil bei Parteien natürlich ein hoher politischer Einfluss besteht. Und weil es nicht aussehen soll, als seien die Leute nur billige Praktikanten, die für Parteizwecke ausgenutzt werden. Diesem Vorwurf möchten wir uns auf keinen Fall aussetzen. Gerade die Partei- und Fraktionsarbeit ist aber doch spannend. Viel näher kann man dem politischen Betrieb doch gar nicht kommen. Das stimmt natürlich. In einer Behörde oder in der Bürgerschaftsverwaltung ist man aber auch nahe dran am politischen Prozess. Nur: Wer würde freiwillig ein Jahr in einer Behörde verbringen? Ja gut, wir müssen natürlich zusehen, die richtigen Einsatzorte zu finden. Orte, an denen auch tatsächlich etwas entschieden wird. Das ist natürlich nicht in jeder einzelnen Abteilung so.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Linda Und dann? Was macht man bei einem Freiwilligen Politischen Jahr konkret – wenn man ausdrücklich nicht in die Praktikantenschiene geraten soll? Ich stelle mir vor, dass man verschiedene Aufgabengebiete durchlaufen und überall kleine Projekte bearbeiten könnte. Eben, um zu sehen, welche unterschiedlichen Ebenen es jeweils gibt. Was konkret könnte das sein? Spontan kann ich das nicht sagen. Unser Antrag ist ja auch erstmal ein Prüfantrag. Auf dessen Grundlage soll dann ein Konzept erarbeitet werden, wie genau die Sache aussehen könnte und welche Institutionen als Einsatzorte in Frage kommen. Sieht nach einem guten Beispiel für den politischen Prozess aus. Wie geht es dann weiter? Das Konzept muss auch eine Schätzung enthalten, mit welchen Bewerberzahlen wir rechnen können und welche Kosten entstehen. Wenn alles gut läuft, folgt dann der Hauptantrag in der Bürgerschaft. Wie lange dauert das? Ein halbes bis dreiviertel Jahr. Optimistisch geschätzt. An wen soll sich das Angebot richten? An junge Menschen zwischen 18 bis 26 – klassischerweise macht man ein FSJ ja nach dem Abitur oder der Mittleren Reife. Meistens sind es aber Abiturienten, die das nachfragen. Das Freiwillige Politische Jahr soll natürlich anderswo keine Plätze wegnehmen. Das ist ein zusätzliches Angebot für Leute, die das Freiwillige Soziale oder Ökologische Jahr weniger anspricht. Auf den ersten Blick sieht der Vorschlag, ein Freiwilliges Politisches Jahr einzuführen, auch ein bisschen nach Akquise von politischem Nachwuchs aus – gerade weil die Initiative von einer Partei ausgeht. Das ist nicht der Hintergedanke. Deshalb sind wir ja auch skeptisch, Parteien und Fraktionen einzubeziehen. Was ist dann der Hintergedanke? Mir ist einfach wichtig, der generellen Politikverdrossenheit entgegenzuwirken – dem Eindruck, Politiker tun viel zu wenig und alles dauert viel zu lange. Es hat ja aber Gründe, warum konkrete Prozesse lange dauern. Wir wollen damit ein größeres Verständnis für politische Prozesse zu schaffen. Und nicht neue Parteimitglieder rekrutieren. Bewerben sich aber nicht vor allem Leute, die sich ohnehin schon für Politik interessieren? Ein gewisses Interesse wird sicherlich bei den Leuten da sein, die sich bewerben. Leute anzusprechen, die so gar kein Interesse für Politik mitbringen, ist schwer. Bei einem freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahr ist das nicht anders - jemand, der sich noch nie für Umweltschutz interessiert hat, wird sich da auch kaum bewerben. Es sei denn, er oder sie braucht noch ein paar nette Zeilen für seinen Lebenslauf. Gut. Das kann hier natürlich auch passieren.

Text: florian-zinnecker - Foto: privat

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