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"Es war ein ständiger Kampf zwischen Ehrgeiz und Frustration"

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Hat ein Jahr lang alles selber gemacht: Susanne Klingner

Jetzt: Wird im Hause Klingner immer noch selbst gemacht, oder ist der Alltag wieder eingekehrt?
Susanne Klingner: Ich mache eigentlich noch einiges selber, zwar nicht mehr so experimentierfreudig aber dafür kontinuierlich. Ich nähe zum Beispiel ganz viel für meine kleine Tochter. Spucktücher, Bettwäsche und Anziehsachen – sie stört sich nicht an kleinen Schönheitsfehlern und ist deshalb eine angenehme Abnehmerin. Außerdem wird natürlich noch Gemüse angebaut, Brot gebacken und ganz neu habe ich das Eismachen entdeckt. So eine Eismaschine kann ich nur empfehlen!

Wie kommt man auf die Idee, ein Jahr lang alles selbst zu machen?
Das war eine ziemlich spontane Sache. Ich habe schon immer gerne rumgebastelt und Sachen ausprobiert und als dann so langsam dieser Trend um das Selbermachen entstanden ist, meinte meine Agentin, ich wäre die perfekte Person, um sich diesen Trend mal näher anzusehen. Der Verlag fand die Idee für ein Sachbuch zu trocken und meinte im Scherz, ich solle doch ein Jahr lang im Selbstversuch alles selbst machen, und irgendwie habe ich dann ja gesagt.

Du hast im Buch geschrieben, die größte Herausforderung war für dich, unperfekte Ergebnisse zu akzeptieren – kannst du das jetzt?
Ja, ich denke schon. Das muss man ganz schnell lernen, sonst ist so ein Jahr einfach nur frustrierend. Klar leidet man manchmal, wenn das Ergebnis nicht so perfekt ist, wie man es sich vorgestellt hat. Aber man muss zufrieden sein, wenn man etwas selbst hinbekommen hat und lernen, manche Mängel einfach als Charakterstück zu sehen.

Als dein erster Brotbackversuch zu Beginn des Jahres schief gegangen ist, hast du da kurz mit dem Gedanken gespielt, gleich wieder aufzuhören?
Nicht wirklich, schließlich gibt man nach drei Tagen nicht auf, das verbietet schon der eigene Ehrgeiz. Aber insgesamt hatte ich in dem Jahr manchmal Lust, alles hinzuschmeißen. Beim Brot war das ganz extrem, das hat wirklich lange einfach nicht geklappt. Aber gerade dieses Brotbacken war für mich so etwas Essentielles, was ich unbedingt schaffen wollte – und wenn es ein Jahr gedauert hätte. Irgendwie war das immer ein Kampf zwischen Wut und Frustration auf der einen und Ehrgeiz und Neugier auf der anderen Seite.

Hättest du das Jahr denn ohne die „soziale Kontrolle" durch den Verlag und die Menschen, die von deinem Experiment wussten, durchgehalten?
Das weiß ich tatsächlich nicht. Ich denke, es hat mich schon angetrieben, dass viele davon wussten und ich vor allen hätte zugeben müssen, dass ich aufgebe. Aber ohne den Verlag mit dem Buchauftrag im Rücken, für den ich meine Neugierde kanalisiert habe, hätte ich mir das Leben wahrscheinlich nicht so schwer gemacht. Es bestand gewissermaßen der Zwang, sich auf neue Sachen einzulassen, der mir aber viele gute Erfahrungen und ein neues Bewusstsein in Bezug auf Konsum gebracht hat.

Was hast du durch dieses Jahr persönlich über dich gelernt?
Ich habe erfahren, dass ich geduldiger bin, als ich dachte. Für mich musste eigentlich immer alles sofort und möglichst schnell gehen. Dadurch ist vieles schief gegangen, weil ich mir nicht die nötige Zeit genommen habe. Wenn mir heute beim Nähen der Faden zum fünften Mal reißt, dann schmeiße ich das Zeug nicht für vier Wochen in die Ecke, sondern versuche es noch einmal. Jedes Jahr an Silvester war es mein guter Vorsatz, geduldiger zu werden. Ich glaube, dieser Tugend hat mich das Jahr ein kleines Stück näher gebracht.

Was war dein Lieblingsprojekt?
Das wollen immer alle wissen, aber die Frage ist nicht leicht zu beantworten, weil man die einzelnen Dinge nur schwer miteinander vergleichen kann. Insgesamt muss ich sagen, dass mir die Dinge am meisten Spaß gemacht haben, die eine außergewöhnliche Erfahrung mit sich gebracht haben, die Dinge, die ich einfach nie wieder selber machen würde. Zum Beispiel die Schuhe, auf die ich sehr stolz bin. Genauso gern mochte ich aber auch die Projekte, bei denen man ein Erfolgserlebnis hatte, weil man immer besser wurde. Im Stricken zum Beispiel habe ich immer mehr dazu gelernt und ich kann es mittlerweile richtig gut.

Angenommen, du könntest nicht mehr selber machen, sondern müsstest - wie würde die Sache dann aussehen?
Dann würde das Selbermachen zu etwas Blödem werden. Ich sehe die Möglichkeit, Zeit zu verballern, nur um etwas mit meinen eigenen Händen selber zu gestalten, als großen Luxus an - eben ein anders definierter Luxus. Ich kann mich entscheiden, ob ich im Kino oder an der Nähmaschine sitzen will, und wenn ich mich fürs Nähen entscheide, dann aus Spaß. Müsste ich so leben wie die Menschen ganz früher, und wäre gezwungen zu nähen, würde es mir sicher ganz schnell keinen Spaß mehr machen.

Ist das Selbermachen denn auch insofern Luxus, weil es im Endeffekt teurer ist, als sich die Dinge im Supermarkt oder im Klamottenladen zu kaufen?
Das kommt immer ganz darauf an, was man selber macht. Gemüse im Garten anbauen ist wesentlich billiger als das Biogemüse aus dem Supermarkt. Ebenso verhält es sich mit genähten Babysachen, weil die ohnehin so klein sind. Wenn ich mir selbst allerdings ein Kleid nähe, das ich sonst bei H&M oder dergleichen kaufen würde, dann zahle ich ganz klar drauf. Aber da ist man dann eben auch wieder beim Thema Konsum und Massenproduktion. Auch auf diese Aspekte habe ich in diesem Jahr einen anderen Blick bekommen.

Wie erklärst du dir, dass das Selbermachen regelrecht zum Trend geworden ist – hat das auch mit der zunehmenden Hinterfragung von Konsum zu tun?
Ich denke schon. Immer häufiger wurden durch Guerilla-Gruppen und durch Bewegungen wie die „Marke Eigenbau" auf die Probleme durch Konsumgesellschaft und Massenproduktion hingewiesen. Das ist sicherlich ein Grund für das zunehmende Interesse. Auf der andere Seite hat die Handarbeit einfach wieder ein bisschen was von ihrem altbackenen Oma- und Ökofreak-Image verloren. Wer einmal den Spaß am Selbermachen entdeckt hat und Erfolgserlebnisse hat, der macht weiter, probiert neue Sachen aus und so entsteht eine regelrechte Spirale. Ich persönlich habe auch gemerkt, dass ich die Menschen in meinem Umfeld mit meiner Arbeit richtig angesteckt habe – sie fangen immer häufiger an, sich am Selbermachen zu versuchen.

Würdest du anderen dazu raten, es dir nach zu machen und ein Jahr lang zum Macher statt Käufer zu werden?
Nein, auf keinen Fall, das würde viel zu viele Menschen frustrieren. Ich sage immer: „Mach, worauf du Lust hast, aber man muss nicht alles selber machen". Wenn mir jemand erzählt, er wollte dies oder jenes schon immer mal machen, kann es aber nicht oder hat keine Zeit, dann bin ich unbedingt dafür, dass er es ausprobiert. Ich habe auch wenig Zeit, einen Beruf und ein kleines Kind. Aber dann muss man sich die Projekte eben aufteilen, immer wieder ein bisschen daran arbeiten – und man hat immer die Möglichkeit, sich zwischen einem Abend vor dem Fernseher oder einem eigenen Projekt zu entscheiden. 

Text: verena-kuhlmann - Foto: Stephanie Fuessenich/ Cover: McRommy / photocase.com

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