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Feiern, bis David kommt

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Jetzt.de: Ihr achtet streng auf Anonymität. Gebt ihr uns trotzdem Hinweise, wer ihr seid und woher der Name „Bezugsgruppe Beckham“ kommt?  
Anne*: Wir sind eine Gruppe von Leuten, die sich über den alltäglichen Sexismus und deshalb auch gerade über die AXE Kampagne aufregt. „Bezugsgruppe Beckham“, weil die H&M Werbung mit David Beckham meistens direkt daneben hängt und wir beide Kampagnen miteinander kombinieren wollten. Natürlich geht es uns auch darum, beide Kampagnen zu ironisieren. Weil dieses legitime Vorhaben aber nicht legal ist, bleiben wir anonym.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Unter dem Motto "Sexistischen Werbekampagnen eine kleben!" überklebt die Bezugsgruppe Beckham AXE-Plakate

Wie sieht eine Aktion bei euch denn aus? Wurden eure Überklebungen wieder entfernt?
Marc*: Wir waren ein paar Mal unterwegs, relativ spontan, weil es ja nicht viel braucht außer Kleister, Quast und die Buchstaben. Und klar, wir waren nachts unterwegs und wir wussten schon, wo Plakate hängen und wie wir da rankommen. Abgerissen oder so wurden die Überklebungen nicht. Einige Plakate hängen noch mit dem „David“, andere sind einfach schon mit neuen Werbungen überklebt.

Wieso habt ihr euch gerade AXE Werbungen ausgesucht?
Anne: Jede und jeden von uns haben diese dämlichen und beleidigenden Sprüche überall einfach genervt. Ich zum Beispiel stand vor diesen Plakatwänden und war erst mal überrascht über dieses unterirdische Niveau. Und dann wurde ich wütend, weil diese ganzen Sprüche mehr oder weniger stark andeuten, Frauen seien nur als Sexobjekte zu gebrauchen. Das fand ich extrem beleidigend und erniedrigend.
Marc: Ja, und dann haben wir uns immer wieder über die Werbung unterhalten, also die Plakate und den dazugehörigen

, und festgestellt, dass genau darin der Sexismus liegt. AXE verkauft ihrer männlichen Käuferschaft eine Phantasie, die vermittelt, dass es okay ist, Frauen auf ihre Sexualität zu reduzieren, da sie eh willenlos und gefügig wären. Dieses Bild überzeichnen sie, sodass es wie ein Witz erscheint. Das macht sie unangreifbar für etwa Sexismus- oder auch Rassismusvorwürfe. Die kritischen Stimmen erscheinen als verklemmt oder humorlos. Das ist ein super einfacher Weg, Vorwürfe abzuwehren. Natürlich ist AXE mit dieser Werbestrategie nicht alleine, aber sie sind besonders dreist. Aus dem gemeinsamen Ärger heraus haben wir überlegt, etwas zu machen.

Boykottiert ihr privat diese Marke?
Anne: Ich benutze AXE eh nicht. Nicht nur, dass das Zeug stinkt, sondern es steht auch für gesellschaftlichen Sexismus. Weil ein Boykott aber bloß eine individuelle und unsichtbare Kaufentscheidung ist, finde ich, dass ein Protest dagegen öffentlich gemacht werden muss. Das Problem dabei ist, dass man bei dem ganzen Sexismus, der einem jeden Tag begegnet, kaum dagegen ankommt.

Welchen Erfolg versprecht ihr euch vom Überkleben?
Marc: Vielleicht fällt es ja einigen Passanten auf und macht sie stutzig. Das wäre schon mal was. Wir wollen alltäglichen Sexismus weniger alltäglich machen und andere zum Nachdenken oder sogar Mitprotestieren anregen.

Was Anne und Marc von militanten Feministinnen halten und was der Deutsche Werberat zur Kampagne sagt, erfährst du auf der nächsten Seite.



Was bedeutet Sexismus für euch? Ist der „Kampf“ dagegen in unserer Gesellschaft überhaupt notwendig?
Anne: Ja, weil diskriminierende Geschlechterklischees in unserer Gesellschaft tief verankert sind, und es anscheinend auch völlig okay ist, diese öffentlich zur Schau zu stellen. Kritiker werden allerhöchstens belächelt, obwohl die Folgen des Sexismus - auch in unserer Gesellschaft - nicht von der Hand zu weisen sind. Wen das Thema interessiert, dem empfehlen wir zum Beispiel die Videos von Feminist Frequency.

http://www.youtube.com/watch?v=PD0Faha2gow

Man könnte euch vorwerfen, dass das wieder eine überzogene „Emanzen‐Nummer“ ist. Mich interessiert deswegen, wie ihr zu militanten Feministinnen steht, die jede Kleinigkeit bemängeln und meistens nur Trotz hervorrufen. Oder zu Frauen, die gerne als Begierdeobjekte gesehen werden. Soll es ja auch geben.
Anne: Diese „Emanzen“-Klischees sind selber schon sexistisch, weil sie den Frauen ihre Weiblichkeit absprechen und sie lächerlich machen. Wenn Frauen protestieren, werden sie gleich zur „verklemmten Emanze“ oder „nörgelnden militanten Feministin“ gemacht. Ich finde es gut, sich mit jeder Kleinigkeit, die einer oder einem nicht passt, kritisch auseinanderzusetzen und rumzunerven. Die Trotzreaktion ist eine Abwehrreaktion: Statt sich mit Kritik auseinanderzusetzen, wird deren Grundlage geleugnet.
Wie auf der anderen Seite eine Frau gesehen werden will, muss jede für sich selbst entscheiden. Die Entscheidung, ob man als Begierdeobjekt gesehen werden will, ist aber keine freie. Ganz alltäglich werden Frauen in diese Rolle gezwungen und dementsprechend behandelt. 

Würde es für euch einen Unterschied machen, wenn eine Frau diese Kampagne initiiert hätte?
Marc: Nein. Frauen können auch sexistische Werbung machen und sexistisch sein. Es geht ja um den Verkauf konstruierter Geschlechtermerkmale. Da spielt es keine Rolle, ob die Idee von einer Frau oder einem Mann kommt.

Ihr habt auf eurem Blog eine H&M Adbusting‐Serie „David’s secret thoughts“ unterstützt. Eines der Plakate enthält die Gedankenblasen: „How do I tell Victoria that I’m gay?“. Homosexualität wird damit ins Lächerliche gezogen. Ist das im Vergleich zu Herabwürdigungen von Frauen vertretbarer?
Anne: Wir haben auf unserem Blog ein anderes Bild verlinkt. Das heißt noch lange nicht, dass wir alles, was sich auf der ursprünglichen Seite befindet, gut finden. Homophobie ist für uns genauso inakzeptabel wie Sexismus. Allerdings ist bei diesem Plakat die Frage, ob das Adbusting nicht eher auf eine Kritik an so einem „Metrosexualitätsbild“ zielt. Dass David sich für Victoria hübsch macht und auf seine Unterhosen achtet, ist akzeptiert. Das Tabu liegt darin, dass er es ebenso gut für Victor machen könnte.

Der deutsche Werberat hatte eine Beschwerde gegen die AXE 2012‐Kampagne abgelehnt. Wie steht ihr dazu, war das ein Rückschlag für euch?
Marc: Die Zurückweisung der Beschwerde wird mit dem Hinweis darauf begründet, dass die Werbung, um sexistisch zu sein, ein entsprechendes Bild enthalten müsste. Auf der aktuellen Kampagne ist neben dem Spruch nur das neue Deo abgebildet. Der deutsche Werberat sagt damit, dass verbaler Sexismus reine Geschmackssache ist. Da wir nicht wirklich damit gerechnet hatten, dass etwas bei der Beschwerde herauskommt, finden wir, es ist ein Erfolg zu sehen, dass der deutsche Werberat sich so offen dazu bekennt, Sexismus systematisch zu ignorieren. Da wissen wir wenigstens woran wir sind.

Wie geht es jetzt weiter?
Anne: Wir glauben nicht, dass uns so schnell die Arbeit ausgehen wird. Wir haben ja außerdem einen Blog, um mehr Leute zu erreichen und andere Ideen öffentlich zu machen, wie man mit der AXE Werbung und sexistischer Werbung allgemein kreativ und kritisch umgehen kann. Wir wollen auf jeden Fall nochmal losziehen. Mal schauen, wie viele Plakate noch da sind.

*Namen redaktionell geändert

Text: vanessa-vu - Bild: Bezugsgruppe Beckham.

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