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Flashmobs, Streiks und Gesetzesentwürfe - eine geparkte Generation wehrt sich

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www.generation-precaire.org Die Zahl gestrandeter Berufspraktikanten nimmt europaweit ständig zu, doch bis jetzt wurde nichts Handfestes dagegen unternommen. Die französische Jugendbewegung „Génération Précaire“ will das ändern: Ihrer Meinung nach sollen die Arbeitsgrundlagen für ein Praktikum gesetzlich verankert werden. Seit September protestiert die Bewegung regelmäßig öffentlich dafür. Den Höhepunkt soll ein für heute geplanter Streik der französischen Praktikanten bilden. „Die Praktikanten treten aus dem Schatten – und stellen ihre Forderungen“, heißt es auf der Website Génération Précaire , die frustrierten Praktikanten als Anlaufstelle für ihre Probleme und zum Erfahrungsaustausch dient. Fanny ist 22 und Mitglied der „Génération Précaire“. Ihren vollen Namen will sie nicht verraten („Ich will ja später noch einen Job finden“), über die Aufsehen erregenden Methoden von „Génération Précaire“ spricht sie hingegen gerne. Das übergeordnete Ziel, sagt sie, sei es, das Praktikum wieder zu dem zu machen, was es ursprünglich war: „Eine Maßnahme, die den Berufseinstieg erleichtern und nicht auf ewig hinauszögern soll.“ Welche Maßnahmen ergreift ihr, um eure Ziele zu erreichen? Wir veranstalten regelmäßig Flashmobs, bei denen wir verkleidet in öffentliche Gebäude eindringen und Infozettel verteilen – auch auf die Gefahr hin, von Sicherheitskräften rausgeschmissen zu werden. Diese Woche haben wir in Paris zum Beispiel die Kantinen von großen französischen Unternehmen gestürmt, wir waren in einem großen Verlagshaus und haben unsere Forderungen gestellt. Die Reaktionen waren überraschend positiv. Abgesehen davon gibt es aber auch öffentliche Kundgebungen, am 1. November haben wir uns zum Beispiel vor dem Arbeitsministerium versammelt. Mit dem nationalen Streik der Praktikanten heute wollen wir natürlich auch an die Öffentlichkeit gehen. Dazu haben wir die letzten Wochen permanent aufgerufen, auf der Straße und im Internet. Wie kommt das alles bei der normalen Bevölkerung an? Zu uns kommen immer wieder Leute, auch deutlich ältere, und sagen: „Finde ich gut, was ihr da macht.“ Natürlich gibt es auch Beleidigungen, von wegen: „Faules, arbeitsloses Pack“ oder so. Aber das stecken wir weg. Ihr habt einen Entwurf für ein Gesetz über Praktikanten erarbeitet. Welche konkreten Ziele enthält er? Zunächst einmal geht es um eine ordentliche Bezahlung während der Praktikumszeit: Ein Betrag, der 30 Prozent des in Frankreich gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) entspricht. Das wären im Monat ungefähr 300 Euro. Die werden dann jeden Monat um eine einheitliche Prozentzahl erhöht, weil der Praktikant, so die Folgerung, mit zunehmender Dauer ja auch immer bessere Arbeit leistet. Außerdem soll festgelegt werden, dass der Arbeitgeber einen Beitrag an die Sozialversicherung leistet, solange das Praktikum gültig ist. Das ist nämlich bis jetzt nicht der Fall. Wie wollt ihr dieses Gesetz durchsetzen? Das bedeutet natürlich einen extrem hohen Arbeitsaufwand. In unserer Bewegung, die aus 15 bis 20 festen Mitgliedern besteht, gibt es eine politische Abteilung, die momentan Kontakt zu einzelnen Abgeordneten der Nationalversammlung aufnimmt. Wir wollen mit allen Parteien sprechen, außer mit der rechtsextremen Front National. Gespräche mit Gewerkschaften und Arbeitgebern werden auch geführt. Unser Wunsch wäre, dass die Nationalversammlung offiziell über unseren Gesetzesentwurf abstimmt. Ob das klappt, wissen wir nicht, aber wir wollen wenigstens die Öffentlichkeit für dieses Thema sensibilisieren. Seid ihr in dem Zusammenhang zufrieden mit der Aufmerksamkeit, die ihr in den Medien bekommt? Absolut. Ein Großteil von staatlichen und privaten Radiosendern hat schon Berichte über uns gesendet. Auch in Tageszeitungen wie „Le Monde" oder in wöchentlichen Magazinen wie „Le Nouvel Observateur“ und „Le Point“ sind Beiträge zu unserer Bewegung erschienen. Das verleiht unserer Forderung nach einer gesetzlichen Reform natürlich Gewicht. Wäre es dafür nicht wichtig, eure Gesichter zu sehen? Warum tretet ihr öffentlich immer nur mit Masken und schwarzen Umhängen auf? Die Maskerade ist mittlerweile unser Markenzeichen. Sie macht auch deutlich, dass Praktikanten weitgehend unsichtbar sind, von der Öffentlichkeit nicht wirklich wahrgenommen werden. Und Anonymität bietet natürlich Schutz. Wenn wir zum Beispiel zum Flashmob in einem Gebäude sind, möchte ich nicht unbedingt mein Gesicht im Fernsehen sehen, während ich gerade rausgeführt werde. Ich will ja, wie der Großteil von „Génération Précaire“, später auch noch eine Arbeit finden. Das ist doch in gewisser Hinsicht widersprüchlich. Wir stecken natürlich in einem Widerspruch, klar. Auf der einen Seite prangern wir unzumutbare Arbeitsbedingungen an, auf der anderen Seite müssen viele Mitglieder von „Génération Précaire“ sich gerade diesen unterwerfen, damit sie finanziell überleben können – und das Fortbestehen von „Génération Précaire“ garantieren. Aber solchen Zwängen kann man sich eben nicht verweigern, wenn man nicht wie ich zuhause wohnt und Unterstützung von den Eltern bekommt. Habt ihr einen Punkt anvisiert, ab dem eure Arbeit beendet ist? Gesetze werden in der Regel im Frühjahr von der Nationalversammlung verabschiedet. So lange wollen wir auf jeden Fall noch weitermachen, und alles dafür tun. Was danach ist, wird man sehen. Ich glaube aber nicht, dass wir noch drei Jahre mit derselben Intensität weiterarbeiten können.

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