Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Fukushima wird nicht viel verändern."

Teile diesen Beitrag mit Anderen:


Wie hat sich dein Alltag nach der Katastrophe verändert?
Bis jetzt gab es Stromausfälle bzw. Maßnahmen zum Stromsparen – deswegen konnte ich nicht arbeiten. Am letzten Montag war ich auf einer Fahrradtour in einer Gegend nahe am Meer. Normalerweise ist dort alles voller Abgase, dieses Mal war die Luft zum ersten Mal gut. In der Stadt waren um die Mittagszeit alle Geschäfte geschlossen. Wie die Lage aktuell mit Lebensmitteln ist, weiß ich noch gar nicht. Ich war noch nicht einkaufen, seit ich zurück bin.  

Hier konnte man in letzter Zeit öfter lesen, die Japaner seien so diszipliniert und würden deswegen mit der Katastrophe besonnener umgehen. Kannst du das bestätigen?
Das halte ich für zu kurz gegriffen. Japaner sind dann disziplinierter, wenn sie sich sozialem Druck ausgesetzt fühlen, und das tun sie fast immer. Bestimmte Verhaltensweisen werden sozial erwartet, was dann aber nicht heißt, dass Japaner einen Kompass eingebaut hätten, der sie in jeder Situation auf diszipliniert und sozial trimmt. Die müssen sich dazu sicher genau so überwinden. An den Stellen, wo sie sich nicht überwacht fühlen, sind sie genau so wie alle anderen auch. Das sieht man an den Hamsterkäufen in Tokio. Andererseits weiß jeder hier, dass das Überleben beim Erdbeben davon abhängt, dass man ruhig bleibt und genau das ein geübte Verhalten an den Tag legt.  

Anscheinend kommt es auch nicht zu einer Massenflucht...
Für viele Japaner ist das dauerhafte Verlassen des Landes keine Option. Dazu kommt dass mögliche Gefahren für Japaner relativ wenig zählen, sondern die Tsunamikatastrophe das wichtigere Thema ist. Klar, einige Japaner (z.B. ein Kollege mit Kindern) sind auch ein Stück weggereist, wenn ihnen ihre finanziellen Ressourcen und ihr Status ihnen das ermöglicht haben.  

Woran liegt das?
Ohne hier ins Detail gehen zu wollen: Eine sehr große Schicht von Menschen in Japan ist nicht daran interessiert oder in der Lage, sich eine Meinung zu bilden jenseits der von den Medien vorgegebenen. Sie neigen dazu diese zu übernehmen (damit sind sie sicher einer großen Schicht in Deutschland nicht unähnlich). Die Medien hatten hier den Reaktorunfall zwar auf dem Plan, aber die Berichterstattung ist wesentlich ruhiger und weit entfernt von Panik.  

Du arbeitest seit vier Jahren in einer japanischen Firma - was sind deiner Meinung nach die größten Mentalitätsunterschiede?
Meine Sprachlehrerin in Deutschland – eine Japanerin die dort 20 Jahre lebte – meinte, dass Japan in der Entwicklung der Gesellschaft auch in den Firmen 20 bis 25 Jahre hinter Deutschland hinterherhinkt. Auch wenn das ein bisschen trivialisiert ist, im Schnitt stimmt es: Die Hierarchien sind sehr starr. Meist kommen die weiter, die sich einfach hochsitzen und nicht weiter auffallen. Frauen in Führungspositionen sind sehr selten. In Japan ist es auch in unserer Generation nicht ungewöhnlich, dass Frauen ausschließlich Hausfrau werden, nachdem sie ein bisschen als Sekretärin gejobbt haben. Was die Arbeit aber deutlich angenehmer macht, ist, dass es im Alltag nicht so aggressiv zugeht. Gelegentlich verzögert das aber auch eine nötige Konfliktlösung zu lange. Was im Punkt Sicherheit oft eine Rolle spielt, ist, dass die Meldekultur hier sehr wenig entwickelt ist. Man schaut nicht auf Dinge, die nicht der eigene Job sind, auch wenn man eine Gefahr sieht. Und oft werden Kontrollen nur einmal jährlich durchgeführt. Wo in Deutschland der Hausmeister des Instituts einem zu verstehen gibt, dass das Kabel da nicht liegen bleiben kann, wird das Kabel in Japan weggeräumt, kurz bevor die  Vorgesetzten das Labor inspizieren. Zehn Minuten später liegt es wieder da.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Glaubst du, dass das Unglück etwas in der japanischen Gesellschaft nachhaltig verändern wird?
Ich hoffe ja, ich glaube aber nein. Zur Zeit sind die Menschen viel zu sehr mit den praktischen Auswirkungen beschäftigt. Japaner haben auch keinen Hang zum abstrakten Denken. Die Betreiberfirma wird sich öffentlich entschuldigen, ein paar Verantwortliche werden gehen müssen, die Notgeneratoren werden dann fünffach gegen 30 Meter hohe Tsunamiwellen gesichert, was dann gefeiert werden wird, und das wird es gewesen sein. Ich hoffe es kommt anders, aber ich glaube angesichts des Gesetzgebungsverfahrens und der Verstrickungen der Politik nicht wirklich daran. Japan wechselt schon unter normalen Unständen die Regierung sehr schnell. Politiker in Japan haben oft nicht studiert und schon gar keine Promotionen; Naturwissenschaftler sind selten. Im Wahlkampf ist Populismus an der Tagesordnung. Es fehlt an der Stelle einfach das nötige Gegengewicht gegenüber dem Establishment in der Industrie für das Durchsetzen von Veränderungen.  Der japanische Staat ist zum Beispiel so gut wie bankrott, aber der Politik gelingt es nicht einmal, Steuererhöhungen durchzusetzen,

Nach allem, was man hier hört, gibt es in Japan keine nennenswerte Anti-AKW-Bewegung, oder?
So weit ich weiß, war die Anti-Atom-Bewegung in Japan eher auf die Kernwaffen konzentriert; aber Proteste habe ich deswegen nie gesehen; ich habe aber überhaupt wenige Proteste gesehen, auch zu den Zeiten, als ich noch jedes Wochenende in Tokyo war.

Wie ist die Stimmung gegenüber der Betreiberfirma Tepco? Es zeichnet sich ja immer mehr ab, dass die bereits vor dem Tsunami geschlampt haben...
Es ist in Japan auch nicht zu erwarten, dass Unmut direkt und am besten noch nebenbei geäußert wird. Ein Kollege, mit dem ich kurz geredet hatte, ist zwar besorgt (seine Kinder sind schön bei den Grosseltern am anderen Ende von Japan), aber er hat auch nicht gesagt, dass er hofft, die AKWs würden abgeschaltet werden. Immerhin war er schon nachdenklicher als vor einer Woche. Einer aus der Verwaltung, mit dem ich ein paar Dinge regeln musste, war relativ interessiert, wie Deutsche die Lage sehen, hat aber keine Schuld zugewiesen. Das wäre auch sehr untypisch für jemanden, mit dem ich nur am Rande zu tun habe.

Haben die Menschen dort das Gefühl, von der Politik informiert zu werden?
Von der Politik erwarten die jungen Japaner sehr wenig. Ich hatte in der letzten Woche wenig mit Japanern zu tun: Erst war die Firma wegen der Stromausfälle geschlossen, dann war ich in Kyushu. Dort war das Leben absolut genau so wie beim letzten Mal, als ich da war. Es ist schwer, Japanern eine Meinung zu entlocken. Teilweise war ich entsetzt, wie unreflektiert sie auf sie gesamte gesellschaftliche Diskussion (nicht nur Medien und nicht nur jetzt) blicken. Insbesondere legen sie wenig Wert auf Meinungen von außen; ich kenne keinen Japaner der eine englischsprachige Zeitung, Fernsehnachrichten oder Website verfolgen würde; und das obwohl ich durch meinen Beruf fast nur gebildete Japaner kenne. 

Hat sich bei den Japanern, die du kennst, die Einstellung zur Kernkraft verändert?
Ich glaube, die meisten beschäftigen sich damit nicht richtig. Viele Japaner können mit abstrakten Risiken nichts anfangen.

Und deine eigene?
Ich bin schon lange ein Gegner der Kernenergie, hauptsächlich wegen des Abfalls. Mit war vorher schon bei der unzureichenden japanischen Sicherheitskultur mulmig. Es gab ja schon vor ca. zwei Jahren bei einigen AKWs hier Probleme nach einem Erdbeben. Es sollte jedem klar sein, dass ein Erdbebengebiet kein guter Ort für eine solche Anlage ist.  

Hat dich das Land schon vorher interessiert oder war der Grund für deinen Hinzug rein beruflicher Natur?
Ich war hier auf einer Sommerschule und mir gar gleich klar, dass man hier gut leben kann. Aber die Entscheidung war eher beruflich. Interessant finde ich das Land durchaus, ich hatte nur leider neben meiner Arbeit zu wenig Zeit, als dass ich die Sprache gut gelernt hätte (oder gar die Kanji). Ich muss aber ehrlich bemerken dass die Japanische Kultur heute mir etwas eintönig und auch ein bisschen konstant erscheint.

In deinem Text letzte Woche hast du geschrieben, dass du ohnehin vorhattest, Japan Ende März zu verlassen. Warum? Ende März ist das Ende des Geschäftsjahres. Die Position die ich in der Firma hatte ist zeitlich beschränkt und aus persönlichen und auch beruflichen Gründen möchte ich nach Europa zurück.

Text: philipp-mattheis - Foto: Ronschk / photocase.com

  • teilen
  • schließen