Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Gegen die Einsamkeit des Schreibers vor dem Rechner

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

jetzt.de: Frau Brinkschulte, die Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten soll um 20 Uhr anfangen und morgens um 8 Uhr enden. Soll ich unter Ihrer Aufsicht wirklich zwölf Stunden durcharbeiten?
Brinkschulte: Das ist die Idee. Sie können aber auch schon um Mitternacht ihren Laptop zuklappen. 

Was muss ich mitbringen?
Einen Computer und die Unterlagen, die sie für die Hausarbeit brauchen, die sie gerade schreiben müssen. Dann legen wir los.  

Wie?
Zuerst zurren wir in einem kurzen Steckbrief die Ziele für die Nacht fest. Wir fragen: Was bringt man realistischerweise in dieser Zeit fertig? 

Das mit dem Abstecken von realistischen Zielen ist wahrscheinlich auch tagsüber ziemlich wichtig, oder?
Ja, Sie müssen für jede Arbeit Etappenziele entwickeln. Das ist die Grundlage eines guten Zeitmanagements. Dann überlegen wir gemeinsam mit den Studierenden den richtigen Schreibweg. Es gibt unterschiedliche Schreibtypen. Die einen schreiben im Freewriting-Verfahren drauf los, um Ideen zu generieren. Andere finden dieses Verfahren total unbrauchbar und möchten lieber systematisch vorgehen. Mit denen erarbeiten wir dann zum Beispiel im Mind Mapping-Verfahren den Themenbereich. Und dann können sie wirklich loslegen. Während der Langen Nacht sorgen wir ausnahmsweise für ein bisschen Abwechslung. PowerYoga oder BrainGym sollen Ihnen dabei helfen, neue Kräfte zu sammeln. Um Mitternacht machen wir mit Laternen einen „Erleuchtungsspaziergang“ ...  

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Das ist ein schöner Name.
... aber Sie müssen ihn auch nicht mitmachen, wenn Sie weiterschreiben wollen.  

Eine amerikanische Zeitung hat neulich von einem besonderen Internetcafé geschrieben, in das die Leute gehen, um ganz konzentriert und in aller Stille an ihren Laptops zu schreiben. Die Besucher kommen, weil sie die Arbeitsatmosphäre schätzen. Ist das auch der Reiz Ihrer Veranstaltung?
Genau das ist es! Wir wollen etwas gegen die Einsamkeit des Schreibers vor dem Rechner tun. Wir wollen die Menschen in ihrem Schicksal verbinden und dafür sorgen, dass sie sich austauschen.  

Mehr und mehr Hochschulen nehmen die Studiengebühren dazu her, ein Schreibzentrum zu gründen. Hat sich der Zweck solcher Einrichtungen nun endlich auch in Deutschland rumgesprochen? In Amerika zumindest sind sie gang und gäbe.
Ganz neu ist die Entwicklung auch in Deutschland nicht. 1993 wurde an der Universität in Bielefeld das erste Schreibzentrum unter Gabriela Ruhmann gegründet. Dann kam das Zentrum an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg. In beiden Städten hat man versucht, das US-Konzept auf das deutsche Bildungssystem zu übertragen.  

Was ist das US-Konzept?
In Amerika ist es weitgehend verpflichtend, direkt zu Studienbeginn einen Schreibkurs zu besuchen. Dort geht man ganz selbstverständlich mit seinem Text in ein Zentrum und holt sich Rückmeldung. So funktioniert es im Grunde auch an den Zentren in Deutschland und hier in Göttingen, wo 2006 das Schreibzentrum eröffnet wurde.  

Kommen die Studierenden freiwillig zu Ihnen oder sind die Workshops verpflichtend?
Die Schreibworkshops sind hier ein Angebot im Rahmen der „Schlüsselkompetenzen“. Die Studierenden müssen in diesem Bereich eine bestimmte Credit-Punktezahl erwerben. Das können sie zum Beispiel bei uns.  

Wieviele Leute kommen?
Wir haben in unseren Schreibworkshops 360 Plätze pro Semester. Die sind fast immer ausgebucht. Es gibt aber auch eine individuelle Schreibberatung. Da setzen wir uns nach Anmeldung eine Stunde mit den Studierenden hin und sprechen über das Schreibprojekt und wie es weitergehen kann.  

Welches Problem ist unter den Studenten am meisten verbreitet?
Die richtige Fragestellung für die Arbeit zu finden. Die Studierenden haben eine Idee für eine Arbeit, denken aber häufig, diese Idee sei zu eng umrissen. Dabei ist meist das Gegenteil der Fall.  

Sagen Sie mir ein Beispiel.
Jemand kommt und möchte über „Vorurteile“ schrieben. Ein Riesenthema, das man von unterschiedlichen Disziplinen aus untersuchen kann, zum Beispiel aus soziologischer Sicht oder aus psychologischer Sicht. Selbst wenn jemand sagt, er möchte die Vorurteile gegenüber ausländischen Arbeitern untersuchen, ist das noch viel zu diffus. Es gibt viele Gruppen von ausländischen Arbeitern und es kommt auch darauf an, wer die Vorurteile ausspricht ...  

Also ist der erste Schritt zur guten Arbeit das Eingrenzen?
Ja. Da kommen Leute und fragen mich ganz unsicher: „Aber reicht das für eine Abschlussarbeit?“

Was sagen Sie dann?
Dass das reicht! Und dass es einer genaueren Frage bedarf, wenn Sie nicht eine ganze Bibliothek schreiben wollen. 

Die "Lange Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten" gab es vor einem Jahr zum ersten Mal an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Dieses Jahr findet sie nicht nur dort, sondern auch in Hildesheim, Bochum, Bielefeld, Darmstadt und Göttingen statt.



Text: peter-wagner - Foto: mys/photocase.com

  • teilen
  • schließen