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Gibt es Krieg in Iran?

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Herr Galtung, wann beginnt der Irankrieg? Es ist nicht ganz klar, dass der Krieg kommt. Ich glaube, dass George Bush den Irankrieg gerne benutzen möchte, um vor den Kongresswahlen diesen Herbst eine neue sogenannte mission accomplished zu haben. Damit möchte er erreichen, dass die Menschen den Krieg im Irak etwas vergessen. Wenn er also einen Monat vor den Wahlen sagen könnte, mission accomplished, wäre das für ihn ein Knüller. Allerdings gibt es durch den totalen Misserfolg des Irakkriegs zwischen Politikern und Militärs so viele Meinungsverschiedenheiten, dass es sein könnte, dass die Militärs ganz einfach nicht mitmachen. Das war 2003 beim Irakkrieg nicht der Fall.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Illustration: dirk-schmidt Der Westen verdächtigt Iran, unter dem Deckmantel der zivilen Atomforschung heimlich an der Entwicklung von Atomwaffen zu arbeiten. Bei der Nuklearsache bin ich, genau wie der Chef der internationalen Atomenergiebehörde el-Baradei, nicht ganz überzeugt, dass Iran wirklich eine militärische Nutzung anstrebt. Aber selbst wenn, muss man in Betracht ziehen, dass vier der iranischen Nachbarländer Atommächte sind – Russland, Indien, Pakistan und Israel. Und ebenfalls in der Nähe –im Sinne von Raketen, Flugzeugen – sind auch die US-Truppen und US-Nuklearwaffen. Sogar die Franzosen haben Iran nuklear gedroht. Glauben Sie nicht, dass auch kulturelle Gründe eine Rolle spielen? Kommt der von Huntington angekündigte „Clash of Civilisations“? Sam Huntington ist ein Schwindler und sein Buch ein Etikettenschwindel. Denn in seinem Buch geht es überhaupt nicht um civilisations, sondern um Regionen und um ökonomische, militärische und politische Interessen. Es gibt einen Kampf der Kulturen, aber der sah und sieht meistens so aus, dass die westliche gegen alle möglichen anderen Kulturen kämpft, mit dem Ziel, diese zu unterdrücken und zu beherrschen. Aber darüber schreibt Huntington nichts. Wie sehen denn diese historischen Konflikte aus? Ich sitze hier mit einer Tabelle – die muslimische Welt und ihre Katastrophenjahre. Für Iran war das 1953. Da haben die amerikanische CIA und der britische MI6 den legal gewählten Präsidenten Mossadegh gestürzt und den Schah als Diktator eingesetzt. Das hatte mit der Ölkontrolle zu tun. Deshalb sind die beiden Länder dort heute noch verhasst. Oder nehmen Sie Algerien 1945. Was ist dort geschehen? Die Franzosen haben den Algeriern versprochen, dass, wenn sie gegen die Deutschen kämpfen, nach dem Krieg die Freiheit kommt. Bei Kriegsende jubelten und feierten die Leute in den Straßen. Aber jetzt kam nicht die Freiheit, sondern ein Massaker an 40 000 Algeriern – ausgeführt von den Franzosen. Die Freiheit ist erst nach 17 Jahren und nach einem blutigen Krieg gekommen. Wenn der Westen also das, was er verspricht, nicht einhält – ist der Westen dann wirklich eine Zivilisation oder bloß eine Mafia? Ich habe eine lange Liste solcher Ereignisse. Es hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so ausgesehen, als ob der Krieg als Fortsetzung und Mittel der Politik geächtet sei . In den letzten Jahren hat sich dies aber gewandelt. Hat sich unser Verhältnis zum Krieg verändert? Bestimmt und das ist eine sehr schlimme Entwicklung, die sich gegen den UNO-Vertrag richtet, der Krieg zwischen Mitgliedsstaaten eigentlich verbietet (Artikel 2.4). Warum ist das so? Ich glaube, weil der Westen sich so arrangiert hat, dass er auf einem Kollisionskurs mit den muslimischen Ländern steht. Was ist Ihr Lösungsvorschlag? Ganz generell: Wenn der Konflikt aus der Vergangenheit kommt, heißt die Lösungsmethode Versöhnung. Und wenn es ein gegenwärtiger Konflikt ist, heißt die Lösung Vermittelung. Also: Versöhnung und Vermittlung. Das muss man natürlich geschickt machen, und die meisten Diplomaten sind nicht geschickt genug. Was heißt das in Bezug auf Iran? Bush und Blair müssten öffentlich verkünden, dass ihre Länder 1953 einen Fehler gemacht haben und um Entschuldigung bitten. Die beiden würden dann unmittelbar von Millionen Iranern umarmt werden. Stärke heißt eigene Fehler zu gestehen. Sind diese Länder dafür stark genug? Gibt es schon ein Beispiel für einen erfolgreichen Dialog? Ein Politiker, ein Premierminister hat sich mit seinem Land gegenüber dem Islam hervorragend verhalten – er heißt Zapatero und das Land heißt Spanien. Es könnte fast nicht besser sein: Es gab in Madrid einen Dialog zwischen den „Zivilisationen“ in Madrid am 28. Oktober 2004. Spanien hat die Truppen aus dem Irak zurückgeholt und Zapatero fuhr unmittelbar nachdem klar geworden ist, dass die Madrid-Attentäter aus Marokko kamen, zum marokkanischen König und hat vereinbart, die marokkanischen Emigranten zu legalisieren. Und ich saß im letzten November vor Spezialisten des britischen Außenministeriums und habe zu ihnen gesagt: Spanien hat es geschafft und meine Vorhersage ist, dass es keine Bomben mehr auf spanischem Boden geben wird. Auf britischem dagegen schon.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was raten Sie den deutschen Jugendlichen? Sollen wir wieder demonstrieren – wie gegen den Irakkrieg? Die allgemeine Friedensbewegung und ihr „Nein“ greifen zu kurz. Man muss konkrete Vorschläge machen. Wenn man bei jeder Demonstration Vorschläge hat, wird das eine viel größere Wirkung haben. Ich würde also sagen, schreibt auf die Plakate: „Wir fordern Entschuldigung für 1953!“ Und das reicht dann? Nein. Die zweite Methode ist ökonomischer Boykott gegen amerikanische Waren: Wenn die USA auf dieser Aggressionsschiene sind, dann sind sie ein unannehmbares Land und müssen boykottiert werden. Auf privater Ebene heißt das: die letzte Colaflasche, das letzte amerikanische Auto. Aber natürlich muss es immer einen Dialog mit den Amerikanern geben: Man stellt hinter die Forderung von Vermittelung, Dialog und Versöhnung eine gewisse gewaltfreie Machtausübung – das heißt ökonomischer Boykott.

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