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"Ich bin der Kerl mit dem Frankensteingesicht"

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Fantano bloggt und hat eine Radioshow. Bekannt geworden ist er aber eher durch seine Musikkritiken auf Youtube, in denen er aus den Tiefen Connecticuts über Indieneuheiten plaudert und den Amis Elektro beibringt. Im Interview mit jetzt.de spricht er über seine anfangs holprige Beziehung zur Kamera. Er erklärt, wozu Musikblogger eigentlich gut sind und wo man außer bei Last.fm und Myspace sonst noch Musik umsonst hören kann.

jetzt.de: Was ist schwieriger: Über Musik zu reden oder darüber zu schreiben?

Anthony Fantano: Beides ist gleich schwer – man muss ja etwas in Worte fassen, was sich nicht in Worte fassen lässt. Ich finde es aber seltsam, dass ausgerechnet Musikkritiken fast immer Text sind. Gerade da würde sich doch anbieten, mit anderen Medien zu experimentieren. Ich habe seit zwei Jahren eine Radioshow im öffentlichen Radio von Connecticut und natürlich einen Blog - wie wohl jeder mitteilungsbedürftige Musiknerd in den USA. Der war so mittelerfolgreich, bis ich mit den Youtube-Videos angefangen hab. Komisch eigentlich, dass niemand zuvor auf die Idee kam. Wenn man ein Lied sucht, schlägt man zuerst bei Youtube nach. Und wenn so viele dort Songs suchen - warum nicht auch Musikkritiken? Soweit ich weiß, bin ich einer der Ersten, der auf Youtube über Musik spricht. Das hilft natürlich, sich Gehör zu verschaffen. Das Internet ist wie ein Raum, in dem jeder durcheinander redet und ich habe mich dort auf eine Kiste gestellt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Anthony 

Hast du denn schon vorher mit Video experimentiert?

Um ehrlich zu sein hätte ich nie gedacht, dass ich jemals wieder eine Kamera anfassen werde. In der Journalistenschule habe ich die TV-Kurse gehasst. Ich war tierisch unbeholfen mit der Ausrüstung und vor allen Dingen vor der Kamera. Unser Dozent hat meine Aufsager-Übung der gesamten Klasse vorgespielt - als Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Eine schmerzliche Erinnerung! Er hat meine Mimik mit der von Frankenstein verglichen, so steif war meine Visage. Nach dieser öffentlichen Blamage habe ich mich damit abgefunden, dass ich wohl ein Radiogesicht habe.

Also ich finde dein Gesicht ziemlich beweglich.

Das kommt davon, weil ich über etwas spreche, wofür mein Herz schlägt! Das ist etwas, was Musikblogger von etablierten Musikkritikern unterscheidet. Sie haben Leidenschaft, sie versuchen nicht, Autoritäten zu sein, auch wenn manche genausoviel Expertise haben wie Musikjournalisten. Was ich sage, ist eine persönliche Meinung. Ich verstecke mich hinter keinem Logo, ich bin der Kerl mit dem Frankensteingesicht, der über seine Lieblingsband redet. Du kannst mich sehen, du kannst mich hassen. Du kannst mir eine böse E-Mail schicken. Oder einen Myspace-Link zu einer neuen Band.

Ist Myspace nicht eigentlich das soziale Netzwerk des vergangenen Jahrzehnts? Facebook wird ja inzwischen mehr als zehnmal so oft angeklickt.

Für Zwischenmenschliches stimmt das ganz gewiss. Facebook hat aber nicht die Tools und auch keine Ambitionen, eine Musikplattform zu sein. In diesem Bereich ist Myspace immer noch Nummer Eins. Auch wenn es für junge Bands bessere Seiten gibt, wie zum Beispiel bandcamp.com. Dort kann man viel vorhören und danach das Album ganz unkompliziert kaufen.

Wann hat denn „des Internets meistbeschäftigster Musiknerd“ das letzte Mal für Musik gezahlt?

Das ist gar nicht so lang her. Aber seitdem mein Blog so gut gelesen wird, bringt der Postmann täglich drei, vier CDs vorbei. Ansonsten würde ich wohl ziemlich viel für Musik ausgeben. Natürlich findet man viel im Internet. Vor allem Indie-Labels haben es super drauf, Lust auf auf eine Platte machen, indem sie die Blogger mit Häppchen füttern, die die wiederrum an ihre Leser geben. Auch zum Runterladen. Anders als zum Beispiel bei Metal- oder Hip-Hop-Labels ist das ein wichtiger Teil ihrer Marketingstrategie.

Wenn du Musik im Internet hörst - wo hörst du die?

Es gibt immer noch Last.fmSoundcloud und die Hypemachine, eine Metasuchmaschine für alle MP3-Blogs. Dort findet man zum Beispiel all die Tracks, die Labels ins Netz „durchsickern“ lassen. Und natürlich gibt es halblegale Grauzonen. Man nehme nur das neue Gorillaz Album: Jeder einzelne Track ist auf Youtube. Aber das ist nicht unbedingt nur schlecht. Natürlich ist es kontraproduktiv, seinen Lieblingskünstler verhungern zu lassen, indem man nur im Internet hört. Aber die Leute haben Angst, für eine Katze im Sack zu zahlen. Insofern sind Musikblogger schon ein wichtiges Bindeglied. Und es ist ja nicht nur so, dass wir neue Musik verbreiten. Wir geben den Menschen eine Plattform, darüber zu diskutieren. Wir stellen Musik in einen Kontext.

 

Der Musikkritiker des Magazins „Spin“, Chuck Klosterman, nimmt oft seinen eigenen Beruf aufs Korn. In seinem Buch „Eine zu 85% wahre Geschichte“ sagt er zum Beispiel, Musikkritiker seien im Prinzip langweilige Menschen, die über ihre Post schreiben und ihre Brötchen damit verdienen, Bands mit anderen Bands zu vergleichen.

Aber genau die braucht die Welt! Es stimmt schon, bei Musik gibt es kein Gut und Böse. Viele sagen, man muss das hören, was einem gut tut. Aber woher weiß man, was einem gut tun könnte? Das sagen am besten Menschen, die sich viel mit Musik beschäftigen und sie einordnen können. Es bringt natürlich nichts, wenn ich erzähle, dass beim Song XY in der sechsten Minute der Bass einsetzt. Um jemanden für eine Band zu begeistern, braucht man aber ein wenig Hintergrundwissen; oder einfach einen Nerd, der ganz emotional eine Band runtermacht. Wenn ich jemandem dadurch einen Zehner gespart habe, rettet es mir den Tag. Für etwas, was man nicht mag, ist es nämlich immer noch eine Menge Geld. Und apropos Geld: Ich muss zum Arbeiten. Ich kann mich noch nicht davon ernähren, über meine Post zu schreiben. Nebenher jobbe ich als Koch.

 

Und was ist dein Soundtrack zum Kochen?

Küchengeräusche, sonst nichts. Das sind so ziemlich die einzigen Stunden, wo es um mich rum still ist. 

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