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„Ich bin extrem“

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jetzt.de: Würdest du sagen, dass es manchmal schwieriger ist, einen guten Song zu schreiben, als das Leben zu leben, von dem er handelt? Regina Spektor: Ja, absolut. Ich weiß zwar, dass es eine Verbindung zwischen den Songs und dem Leben gibt, aber häufig fühlt es sich an, als ob es eher eine strikte Trennung gäbe. Du nennst deine Songs „Beiprodukte deines Lebens auf der Erde“. Mich faszinieren so viele Dinge, zum Beispiel Spiritualität und Religion, und wie diese beiden sich gegenseitig helfen und verletzen. Manchmal lassen sie sich ja ganz gut kombinieren, und dann wieder überhaupt nicht. Oft weiß ich gar nicht mehr, welche Ereignisse mich inspiriert haben, einen bestimmten Song zu schreiben. Es müssen viele Dinge zusammenkommen, damit ich einen guten Song schreiben kann. Ich könnte mich nicht einfach hinsetzen und mit dem Schreiben beginnen. Du betonst oft, dass dich Bücher im besonderen Maße inspirieren. Die Songs auf dem neuen Album haben nicht viele Gemeinsamkeiten. Manche sind sieben oder acht Jahre alt, andere sind brandneu und erst vor fünf Monaten entstanden. Ich schreibe ein Album nicht am Stück. Wenn ich ein eins veröffentliche, finde ich es die härteste Aufgabe, die Songs in eine bestimmte Reihenfolge zu bringen. Da hat man dann ungefähr 16 Songs und muss gucken, ob und wie sie zusammen passen, und welche nicht mit auf das Album kommen. Das ist ein Alptraum. Fällt dir, wenn du etwas liest, schon ein Vers oder ein Refrain für einen Song ein? Nein, aber ganz oft passiert es, wenn ich etwas lese oder einen Film gucke, dass ich einfach mittendrin aufhöre und anfange, einen Song zu schreiben. Der Film oder das Buch haben mir dann den nötigen Anstoß dafür gegeben. So war es auch mit dem Song „Fidelity“. Ich habe mir „High Fidelity“ angesehen, ungefähr zum fünften Mal, irgendwann auf Pause gerückt, den Song geschrieben, und dann den Film weitergeguckt. Wenn man „Fidelity“ hört, denkt man nicht zwangsläufig an den Film, der Song lässt mehr als das zu. Aber während des Films habe ich das Gefühl für eine bestimmte Art von Musik bekommen. Das ist einer der wenigen Songs, bei dem ich mich erinnern kann, wie er zustande gekommen ist. Schon mal gehört? "Fidelity":

Gibt es ein Thema, das die Songs deines neuen Albums „Far“ am Ende doch vereinen konnte? Ich habe erst spät bemerkt, dass es in vielen Songs um Religion geht. Das war mir vorher gar nicht so aufgefallen, obwohl ich nicht gerade selten über Religion nachdenke. Du bist Jüdin. Wie würdest du deine heutige Beziehung zum Judentum beschreiben? Dass ich jüdisch bin, wusste ich schon als kleines Kind, bin aber in einer nichtreligiösen Kultur aufgewachsen, in der Sowjetunion. Als wir dann nach Amerika kamen, haben meine Eltern großes Interesse an der Religion gezeigt. Auch ich habe es genossen, generell mehr über die jüdische Kultur erfahren zu können. Es ging dabei weniger um Antworten, als um Fragen. Ich war einfach sehr neugierig. Ich habe viele Traditionen lieben gelernt, mich aber auch an manche nie gewöhnen können. Genauso, wie es natürlich passierte, dass ich als Frau geboren wurde, ist auch der Glaube natürlich zu mir gekommen. Diejenigen, die Religion von klein auf an erlernen, haben dieses Gefühl nicht. Ich habe ein Problem mit Leuten, die sich oder andere zwingen, zu glauben. Wenn jemand an eine Religion glaubt und will, dass andere Leute genauso viel daran glauben. Es gibt aber auch einige biblische Dinge, an die ich nicht glaube. Ich habe mein eigenes, hausgemachtes Judentum. Du versuchst immer, dich mit so vielen Dingen wie möglich zu beschäftigen, immer Neues aufzusaugen. Kann man dich Workaholic nennen? Ich bin extrem. Entweder arbeite ich wahnsinnig viel – oder ich arbeite überhaupt nicht. Es gibt Zeiten, da berühre ich das Klavier drei Wochen lang nicht. Da gehe ich dann nicht mal in die Nähe. Was das angeht, habe ich mich schon oft über mich selbst geärgert. Das war schon so, als ich noch ein Kind war. Wenn mich etwas in der Schule interessiert hat, habe ich sofort alle Hausaufgaben dazu gemacht. Irgendwann interessierte mich aber was ganz anders, zum Beispiel ein Buch, und meine Noten wurden plötzlich schlechter. Ich fand immer, dass man das als faul bezeichnen konnte. Heute ist das anders, und ich akzeptiere diese Verhaltensweisen. Manchmal muss man einfach mal nichts machen, Freunde oder Familie treffen, Konzerte und Partys besuchen. Dabei sammelt man ja auch wieder viele Eindrücke zusammen, um später etwas daraus machen zu können. Entwickelt sich Kreativität dann aus Faulheit? Vielleicht. Ein Samen ist ja auch nicht faul, nur weil er unter der Erde ist. Er tut immer etwas. Dass die Leute später den Baum anstatt den Samen toll finden, ist schon fast unfair. Es passieren immer gute Dinge in dir, man bemerkt sie nur oft nicht. In dir selbst entsteht die ganze Zeit etwas – völlig ohne Leistungsdruck. Und ich finde, dass „Facebook“ und „Twitter“ und solche Dinge eher störend für diesen Prozess sind, weil sie es nicht zulassen, dass du Zeit nur mit dir selbst verbringst. Immer willst du den anderen etwas zeigen und dich beweisen. Das ist, als wenn man herumreist, immer und überall alles fotografiert, und am Ende sind all deine Erfahrungen lediglich ein paar bunte Bilder. Man hätte die Reise ohne Fotoapparat viel mehr genießen können. Vom neuen Album: "Laughing With"

Das Cover deines neuen Albums passt zu dieser Überlegung. Es wirkt wie eine Definition von Isolation: Du sitzt am Klavier in einem kahlen Raum, dessen einziges Fenster zugemauert ist. Dein Klavier allerdings sieht aus wie der Himmel. Brauchst du als Künstlerin das Alleinsein, um glücklich zu werden? Meine Freundin Adria, die auch das Video zu „Us“ gemacht hat, und ich haben bei den Arbeiten am Video zu „Laughing With“ mit einem Storyboard gearbeitet, wo wir verschiedene Shots draufgezeichnet haben. Einer dieser Shots war so gut, dass ich sofort wusste: Der muss zum Albumcover werden. Was die Isolation angeht: Nicht nur Musiker können alleine Spaß haben. Guck dir ein kleines Kind an, das sich drei Stunden lang mit zwei winzigen Spielzeugen alleine beschäftigen und es total genießen kann. Kurt Cobain sang beim Üben gegen eine Wand! Wenn man gerade dabei ist, etwas entstehen zu lassen, kann sich einfach alles offen anfühlen. Dann kann man mich mit dem Klavier in der hintersten Ecke eines Raumes platzieren, und ich würde mich immer noch frei fühlen. Wenn ich allerdings wählen müsste zwischen Isolation und Gesellschaft, würde ich mich niemals für die Isolation entscheiden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Far“ von Regina Spektor erscheint am Freitag auf Sire Records/Warner

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