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"Ich habe Spaghetti, aber keine Sauce dazu"

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Freund statt fremd“, eine Bamberger Initiative zur Unterstützung Asylsuchender, hat in dieser Woche die Aktion „Und? Schmeckt’s?“ gestartet: Einige Bamberger Künstler, Politiker und Journalisten haben Asylsuchenden ihre Essenpakete abgekauft, ernähren sich sieben Tage lang davon und berichten von ihren Erfahrungen. In Bayern gilt das „Sachleistungsprinzip“: Asylbewerbern bekommen kein Verpflegungsgeld, um sich ihre Nahrungsmittel selbst zu kaufen, sondern sie werden ihnen vom Freistaat zwei Mal in der Woche als Paket zugewiesen. Die Aktion kritisiert dieses Vorgehen, weil es den Betroffenen das Recht auf selbstbestimmte Ernährung vorenthalte, und fordert eine Änderung des Systems. Der Autor und Poetry Slammer Christian Ritter, 30, ist einer der Paketempfänger und erzählt im Interview, warum er mitmacht, wieso er nicht so genau weiß, was er mit seinen Brötchen anfangen soll, und auf welches Ergebnis der Aktion er hofft. Am Freitag wird uns eine Asylsuchende aus dem Irak, die in dieser Woche Geld statt Essenspakete bekommt, von ihren Erfahrungen berichten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Christian, es ist jetzt 12:30 Uhr. Was hast du heute schon gegessen?

Christian Ritter: Noch gar nichts, weil ich sowieso nie frühstücke. Ich habe grade das zweite Paket bekommen und werde gleich in den Zug steigen, weil ich zu einem Auftritt nach Dresden muss, da werde ich mir was zu Essen mitnehmen. Normalerweise würde ich mir was beim Bahnhofsbäcker kaufen, aber das geht ja jetzt nicht. Die Asylsuchenden könnten übrigens auch nicht nach Dresden fahren, weil sie eine Art Residenzpflicht haben und nicht rumreisen dürfen.

Was nimmst du denn mit?

Gute Frage. Ich hab mich sehr gefreut, dass diesmal Brötchen dabei waren, aber es gibt wenig Belag. Ich habe nur zwei kleine Putenwürstchen und Honig. Viele der Sachen passen nicht so recht zusammen.

Und was gab es gestern zu Essen?

Ich habe Hähnchenschenkel im Ofen aufgebacken und dazu gab es Rühreier mit Paprika und Tomaten, eben alles, was so rumlag.

Du hast zwei Pakete bekommen: eins am Dienstag und eins am Donnerstag. Wer hat sie gebracht?

Die Organisatoren von „Freund statt fremd“. Wir haben uns abgesprochen, wann ich da bin. Wenn du Normalbezieher bist, ist es aber so, wie wenn dir der Handwerker sagt „Seien Sie mal zwischen 8 Uhr morgens und 16 Uhr nachmittags Zuhause.“ Man muss den ganzen Tag warten, bis irgendwann das Päckchen kommt.

Was war in deinen Paketen drin?

Viel Haltbares und Tiefkühlkost, zum Beispiel tiefgekühlter Fisch, Kartoffelpüree-Pulver und Reis. Gemüse und Obst, also drei Zwiebeln, zwei Kiwis, zwei Tomaten, drei Bananen, ein Apfel. Das Donnerstagspaket soll für fünf Tage reichen und dafür ist ziemlich wenig zu Trinken drin. Ich habe einen Apfelsaft, einen Eistee, einen Orangensaft, eine Milch und zwei Mineralwasser. So viel trinke ich normalerweise an zwei Tagen.

Kannst du von der Lieferung denn ansonsten gut leben?

Normalerweise hast du eine Idee, was du isst, und dann kaufst du es dir. Jetzt hab ich halt Sachen da, aus denen ich irgendwas zusammenkombinieren muss. Ich habe zehn Brötchen, aber nichts, was ich drauftun kann. Ich habe Spaghetti, aber keine Sauce dazu. Ich mache natürlich nicht die eins-zu-eins-Erfahrung, denn die Asylbewerber haben Bestelllisten und am ersten Dienstag im Monat kann man auch immer ein bisschen mehr bestellen. Ich bekomme die Pakete einer nigerianischen Frau, über deren Hintergründe ich nichts weiß, sie wird sich ja was dabei gedacht haben, diese Sachen zu bestellen. Die Bestelllisten wurden mir aber zur Ansicht zugemailt und das ist schon ein sehr beschränktes Angebot. Wenn ich mir vorstelle, ich komme aus einem anderen Kulturkreis hierher und habe dann ein DIN A 4-Blatt mit deutschem Essen, aus dem ich mir kleine Portionen zusammenstellen kann, dann ist das schon eine Herausforderung. Die Sachen, die man kriegt, sind zwar nicht schlecht, aber die Kritik ist ja eher an der beschränkten Auswahl und am System selbst festzumachen.

Und wie lautet diese Kritik?

Das Sachleitungsprinzip für Asylbewerber besteht nur noch in Bayern, in den anderen Bundesländern wurde es auf finanzielle Leistungen umgestellt, man bekommt Verpflegungsgeld und kann sich sein Essen selbst kaufen. Hier wird man quasi bevormundet, man muss nehmen, was andere vorgeben, und bekommt nur sehr wenig Taschengeld zusätzlich. Und es ist ja nicht nur das Essen, das Sachleistungsprinzip gibt es auch für Klamotten und Hygieneartikel.

 

Kauft ihr den Menschen wirklich direkt ihre Pakete ab?

Ja. Der Gegenwert der Pakete pro Woche sind 35 Euro und es wurde uns Teilnehmern vorgeschlagen, dass man 50 spendet, ich habe ein bisschen mehr gegeben, damit sich die Frau, deren Pakete ich bekomme, auch mal was gönnen kann. Dass es diese Essenpakete gibt, war mir neu, und ich finde die Aktion einen schönen Weg, das an die Öffentlichkeit zu tragen.

 

Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür, dass das Sachleistungsprinzip in Bayern noch besteht?

Ich habe heute erfahren, dass es eigentlich viel günstiger wäre, die Sachleistungen zu streichen und stattdessen Geld zu verteilen, weil man dann keine Anlieferung und so weiter zahlen muss. Aber es bestehen wohl keine Absichten, das zu ändern. Wenn man böse wäre, könnte man sagen, dass die Asylsuchenden sich vielleicht nicht allzu wohl fühlen und sich nicht einleben sollen.

 

Was wirst du aus dieser Woche mitnehmen?

Ich bin ja trotzdem noch in einer ganz, ganz anderen Situation als ein Asylsuchender und es ist nur der Miniteilaspekt des Essens, in den ich Einblicke bekomme. So richtig einfühlen kann ich mich also nicht. Ich möchte das Asylbewerberheim noch besuchen, die Organisatoren fahren regelmäßig dorthin und nehmen gerne Leute mit. Es ist ja nicht damit getan, dass ich dieses Essen habe und aus meiner schicken Wohnung heraus darüber berichte.

 

Glaubst du denn, dass sich durch die Aktion etwas an der Situation ändert?

Ich hoffe, dass das Sachleistungsprinzip irgendwann abgeschafft wird. Aber man weiß ja, dass so was sicher nicht innerhalb von ein paar Wochen realisierbar ist. Aktuell hoffe ich, dass das Sachleistungsprinzip viel mehr Menschen bekannt wird und sie einsehen, dass es keine gute Sache ist, hilfesuchenden Menschen Vorsätze zu machen.

 

Wir haben auch mit der Gegenseite gesprochen: Ibtissam aus dem Irak berichtet von ihren Erfahrungen mit Geld statt Essenspaketen.

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