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"Ich telefoniere nur, wenn ich betrunken bin"

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Die KGB-Bar im New Yorkers Lower East Side könnte auch ein Museum für Sowjet-Kitsch sein: eine Balalaika hängt neben dem Tresen, an der Decke die Flagge mit Hammer und Sichel, an der Wand ein Lenin Portrait. Über der Tür zeigt der Maskottchen-Bär der Moskauer Olympiade von 1980 sein abgewetztes Grinsen. An einem Tisch davor sitzt Julia Wertz und erzählt die Geschichte von ihrem babyblauen Vibrator, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn ein Junge ihr beim Sex seine Liebe gesteht. Rund 50 Zuschauer hocken auf dem Boden und hören ihr zu, klatschen, viele kennen die Vibratorgeschichte schon: Julia Wertz hat sie im Internet veröffentlicht. Dort betreibt sie die Comicseite Fart Party. Alle paar Tage stellt sie eine neue Episode ihres Lebens als Zeichnung ins Netz, mal geht es um ihre Vorliebe für Bier und Käse, mal um ihr Sexleben, ihre Selbstzweifel oder die Beziehung zu ihrer Mutter. An diesem Abend in der KGB Bar projiziert sie ein Best-of ihrer Comic-Strips an die Wand und liest die Sprechblasen mit verstellter Stimme vor. Mit ihrer Mischung als Blog, Comic und Julia Wertz ist so etwas wie das next big Netz-Sternchen der New Yorker Comicszene. Die 25-Jährige mit der Vorliebe für karierte Flanellhemden und Kapuzenpullover hat die erste Auflage ihres Fart Party Buchs (erschienen im Verlag Atomic Books) fast ausverkauft, was jedoch “nicht ansatzweise zum Leben reicht“, wie sie sagt. Aber beliebt sind ihre Zeichnungen trotzdem: Eine zweites Buch ist in Vorbereitung und Hipster-Postillen wie das Vice Magazine loben die dilettantisch gezeichneten, aber meist brüllend komischen Episoden der Fart Party. Was ist das also für eine Person, die ohne Job von San Francisco nach New York gezogen ist, um sich dort als Zeichnerin durchzuschlagen? Zum vereinbarten Interview nach ihrer Lesung kommt es jedenfalls nicht: „Sorry. Ich bin zu besoffen“, lallt Wertz. Kein Wunder: Die KGB-Bar hat 20 Sorten Wodka auf der Karte, und die Vortragende muss nichts dafür bezahlen. Also ein Treffen im Laufe der Woche? „Da arbeite ich jeden Tag, die Mieten sind so teuer, dass ich mehrere Jobs brauche“. Zwischendurch Zeit zum Telefonieren? „Ich habe eine schreckliche Telefon-Phobie. Einmal war mir einen ganzen Tag lang übel, nur weil ich abends ein Telefoninterview geben musste.“ Sie bittet um ein Interview per Mail. Na gut. Schicken wir uns eben Fragen hin und her...

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Julia, was ist eine Telefonphobie? Es ist albern, aber mir sind Telefongespräche wirklich sehr unangenehm. Eigentlich telefoniere ich nur, wenn ich richtig betrunken bin, dafür dann aber stundenlang. Und mit meiner Mutter spreche ich mehrmals in der Woche am Telefon, aber ansonsten vermeide ich es, so gut ich kann. Eigentlich wollte ich Dir aus München ja ein Franziskaner Bier mitbringen... Verdammt, das hätte ich wirklich gerne gehabt. Ist schließlich mein Lieblingsbier! Ich weiß. Du erwähnst es ja ständig in deinen Comics. Findest du es eigentlich komisch, dass fremde Mensche durch deine autobiographischen Zeichnungen so viel von dir wissen? Naja, das mit meiner Vorliebe für Bier und Käse kann ruhig jeder wissen, sowas erzähle ich ja eh dauernd herum. Aber ich bin trotzdem vorsichtiger geworden, wie viele Details ich in meinen Bildern preisgebe. Ich zeichne zum Beispiel nicht mehr, wo ich momentan arbeite. Warum? Als ich in San Francisco in einem Café gejobbt habe, kam mal ein wildfremder Typ auf mich zu, und hat gefragt, wie ich denn die Trennung von meinem Freund verkraftet habe... ...was damals ja populärer Inhalt deiner Comics war. Ja klar, aber nur weil ich ins Netz gestellt habe, heißt es noch lange nicht, dass ich mit jedem Dahergelaufenen über meine Privatangelegenheiten reden will. Das mag sich jetzt etwas heuchlerisch anhören, aber für mich macht genau dieser Gegensatz die Schönheit und das Elend des Internets aus: Etwas online zu posten ist eine Sache, darüber mit Fremden zu sprechen ist doch etwas völlig anderes! Viele deiner Freunde kommen ja auch in deinen Comics vor. Hat sich schon mal jemand bei dir wegen einer zu negativen Darstellung beschwert? Das ist erst zweimal vorgekommen. Damals habe ich aber auch wirklich Dinge in Netz gestellt, die ich besser für mich behalten hätte. Diese Zeichnungen habe ich dann gelöscht. Aber ansonsten ignoriere ich solche Beschwerden. Das ist schließlich mein Comic, und ich zeichne eben so, wie es mir passt. Und meistens male ich die Episoden sofort, nachdem sie passiert sind, da vergeht kaum Zeit, in der ich darüber nachdenken könnte, ob eine Darstellung jetzt zu krass ist oder nicht. Wie sieht denn dein Alltag als Zeichnerin in New York aus? Ich bin Teil einer Clique von Comic-Nerds aus Brooklyn, wir treffen uns jeden Dienstag und zeichnen zusammen. Tom Hart, der die Lesung in der KGB-Bar organisiert hat, ist ein Freund von uns. Leben können wir alle nicht von unseren Bildern: Manche unterrichten an Kunsthochschulen, ich schreibe gelegentlich für Magazine und halte mich mit Kellnerjobs über Wasser. Freunde von mir arbeiten als Illustratoren, aber dafür kann ich einfach nicht gut genug zeichnen. Trotzdem ist New York für Comiczeichner eine ideale Stadt: Sie ist ein Hort des Desasters und des Versagens. Alles toller Stoff für Geschichten in Fart Party! In deinem Buch schreibst du im Vorwort, dass man auf der Straße wohl schief angeschaut wird, wenn man ein Buch mit dem Titel Fart Party in Händen hält. Gab es eigentlich schon mal Ärger wegen des Namens? Nur meine Mutter hat es am Anfang gehasst. Und als ich mir hier in New York einen Steuerberater gesucht habe, war die Resonanz auch nicht gerade positiv. Gleich die erste hat gesagt, dass sie einer Fart Party wohl kaum weiterhelfen könne. Als sie dann gemerkt hat, dass ich es durchaus ernst meine, ist sie aber trotzdem meine Steuerberaterin geworden. In vielen deiner Comics kommt deine Mutter vor, auf deiner Website können ihr Leser sogar Fragen stellen, die dann in deinem neuen Buch veröffentlicht werden. Was ist ihre Meinung zu Fart Party? Also, wenn ich mal wieder zeichne, wie ich nervigen Leuten den Kopf abreiße, findet sie das nicht so lustig. Auch meine Fäkalwitze sind ihr peinlich. Sie mag es aber, wenn ich von meiner Kindheit erzähle. Fart Party ist eine Mischung aus deftigen Witzen und Situationen aus meinem Leben. Sie kann sich ja aussuchen, welche meiner vielen Episoden sie sich anschauen will.

Text: till-krause - Fotos: www.fartparty.org

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