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"Ich würde nicht von einem Erfolg sprechen"

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jetzt.de: Familienministerin Kristina Schröder spricht nach dem ersten Jahr von einer „politischen Sensation“ und davon, dass derBundesfreiwilligendienst (BFD) ein Erfolg sei. Hat sie Recht?
Ulrich Schneider: Aus unserer Sicht ist der BFD kein qualitativer Erfolg. Er ist allerhöchstens ein quantitativer Erfolg. Das heißt: Die Plätze konnten besetzt werden. Aber dass der BFD nach einem Jahr überhaupt noch besteht, ist nicht Kristina Schröder und ihrem Ministerium zu verdanken, sondern den freien Trägern, die sich hier ins Zeug gelegt haben und zum Teil auch finanziell in Vorleistung gegangen sind, um den Bundesfreiwilligendienst zu ermöglichen, den das Familienministerium alleine nicht hinbekommen hätte. Insofern würde ich an Stelle von Frau Schröder nicht von einem Erfolg der Bundesregierung reden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Freiwillig helfen - das wollen so viele, dass es mehr Bewerber gibt als BFD-Stellen

15 Prozent der Bufdis, also der Bundesfreiwilligendienstleistenden, brechen vorzeitig wieder ab. Wie schätzen Sie diese Zahl ein?
Die Abbrecherquote wird von Frau Schröder schön geredet. Sie vergleicht sie mit der Abbrecherquote in Ausbildungen. In Wirklichkeit ist sie bei weitem nicht zufriedenstellend. Bei den anderen Freiwilligendiensten liegt sie mit zirka drei Prozent weit darunter. 15 Prozent sind also eindeutig zu viel. Allerdings fehlen momentan noch genaue Zahlen, anhand derer man konkrete Vorschläge machen könnte.

Immerhin – die Nachfrage bei den Leuten ist da. Hatten Sie mit so einem Ansturm auf den BFD gerechnet?
Ich gehörte von Anfang an nicht zu den Skeptikern, die meinten, dass das Sozialsystem in Deutschland zusammenbricht, wenn wir keine Zivildienstleistenden mehr haben. Ich war der Überzeugung, dass die Angebote angenommen werden, wenn sie gut sind und junge Menschen ansprechen. Darin sind wir jetzt bestätigt worden. Wir erleben, dass gerade junge Leute nach der Schule eine Möglichkeit suchen, wie sie sich ein Jahr engagieren können, ohne gleich berufliche und universitäre Wege zu beschreiten.

Wenn Sie jetzt gerade Abitur gemacht hätten, würden Sie dann in den Bundesfreiwilligendienst (BFD)gehen?
Ich würde auf jeden Fall einen Freiwilligendienst machen. Ich würde mir eine Einsatzstelle suchen, in der ich eine Aufgabe übernehme, die mir nach dem Abitur neue Einblicke ermöglichen. Das ist aus heutiger Sicht eine Konsequenz daraus, dass ich damals zum Zivildienst gezwungen war, im Nachhinein aber froh über die Erfahrungen bin, die ich dort gemacht habe. Das heißt nicht, dass ich für einen Zwangsdienst bin. Aber ich halte es für sinnvoll, nach der Schule in einem Freiwilligendienst neue Dinge kennenzulernen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ulrich Schneider ist Sprecher der Günen Bundestagsfratkion für Jugendpolitik und Bürgerschaftliches Engagement.

Würden Sie eher zu BFD oder zum FSJ, einem Freiwilligen Sozialen Jahr, tendieren?
Es gibt ja eine Reihe unterschiedlichster Möglichkeiten. Vielleicht würde ich auch versuchen, einen Dienst im Ausland zu machen. Ich glaube, dass die Jugendfreiwilligendienste wie das FSJ tolle Angebote machen. Aus heutiger Sicht würde ich sicher zu einem solchen Jugendfreiwilligendienst tendieren, auch wenn ich anerkenne, dass es auch im BFD spannende Aufgaben und Programme gibt.

Wenn man die Dienste vergleicht, hat man das Gefühl, als gäbe es Unterschiede sowieso nur im Detail. Bei der Einführung des BFD vor einem Jahr war es ja auch das Ziel, ihn ähnlich wie die Jugendfreiwilligendienste zu gestalten. Das ist positiv zu bewerten.

Warum braucht man überhaupt zwei verschiedene Dienste, die mehr oder weniger dasselbe sind?
Aus meiner Sicht und auch aus Sicht der Grünen brauchen wir keine zwei parallelen Dienste. Mittelfristig wollen wir einen Freiwilligendienst, der beide vereint und wieder zurückkehrt zum bewährten Trägerprinzip in den Jugendfreiwilligendiensten und damit Doppelstrukturen, wie sie derzeit existieren, abschafft.

Sollte Rot-Grün bei der nächsten Bundestagswahl an die Macht kommen, würde das also das Ende des BFD in seiner jetzigen Form bedeuten?
In einer Regierungsbeteiligung werden wir uns auf jeden Fall an den BFD machen. Es muss aber auch vorher schon einiges passieren. Daran arbeiten wir im parlamentarischen Verfahren auch jetzt schon gemeinsam mit der SPD. Ich denke, dass wir mittelfristig den Bundesfreiwilligendienst zurückfahren und die anderen Dienste stärken müssen, damit wir insgesamt zu guten Strukturen zurückkommen.

Müssen denn nicht mehr Plätze geschaffen werden? Sozialverbände fordern das ja, und auch Familienministerin Schröder klingt so, als wäre sie im Fall, dass sie das nötige Geld bekommt, nicht abgeneigt, den BFD auszubauen...
Um da einem Missverständnis vorzubeugen: Wenn ich sage, wir wollen den BFD zurückfahren, heißt das nicht, dass wir die Plätze der Freiwilligendienste insgesamt kürzen wollen. Wir brauchen diese hohe Zahl der Plätze – das zeigt die Nachfrage. Aber wir müssen sie besser organisieren und in Verantwortung der freien Täger geben. Zum Ruf nach der Ausweitung: Nach einem Jahr können wir noch nicht genau sagen, ob genügend Plätze da sind. Wir haben in einer Reihe von Bundesländern doppelte Abitur-Jahrgänge, vermutlich ist der Andrang also jetzt höher als in einem Jahr. Und dass wir in der Politik immer mit begrenzten finanziellen Mitteln zu tun haben, das ist so. Deshalb muss man, wenn man nach einer Ausweitung ruft, genau schauen, wie man diese finanzieren kann. Ich glaube, dass Frau Schröder es sich zu einfach macht, wenn sie darauf verweist, dass das Parlament ihr keine Mittel gibt.

Was können die privaten Träger denn besser als das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA), die zentrale Stelle für den BFD?
Das BAFzA ist ein Bürokratiemonster, eine Zentralstelle, die früher einen Zivildienst verwaltet hat und heute mit den gleichen Strukturen versucht, einen Freiwilligendienst, einen Bildungsdienst zu verwalten. Da kann man sich vorstellen, dass das nicht immer funktioniert. Die freien Träger haben ihre Schwierigkeit vor allem mit den starren Angeboten in den Bildungszentren, die eben nicht auf deren individuellen Angebote zugeschnitten sind.

Wie kann man das verbessern?
Wir sollten mittelfristig nicht  an den Bildungszentren, also den ehemaligen Zivildienstschulen festhalten. Es wäre besser, die Strukturen der Jugendfreiwilligendienste zu nutzen, in denen die freien Träger neben politischer Bildung auch spezielle Angebote machen, die das Jahr, das man in einer Einrichtung verbringt, durch darauf zugeschnittene Bildungsangebote ergänzt. Das geschieht jetzt nicht, weil alle Bufdis aus unterschiedlichen Organisationen die gleichen Seminare besuchen müssen.

Text: christian-helten - Fotos: dpa, oh

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