Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Ich wusste: Du musst hier weg, egal wohin."

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Jetzt.de: Während eures Protestmarsches fahrt ihr von Stadt zu Stadt und auch zu Flüchtlingscamps. Wie reagieren die Menschen darauf?
Khorasani: Unsere Aktionen werden überall positiv aufgenommen. Die Menschen helfen uns, lassen uns bei sich wohnen, geben uns Essen und unterstützen uns finanziell. Wir kämpfen nicht gegen die Menschen in diesem Land, sondern mit ihnen.

Während deiner Zeit als Asylbewerber hast Du immer wieder deine Residenzpflicht verletzt. Das heißt, dass Du während des Asylverfahrens den Landkreis, in dem dein Asylheim steht, verlassen hast, was Dir eigentlich verboten war. Auch jetzt rufst Du dazu auf, dass Flüchtlinge gegen diese Pflicht verstoßen und mit nach Berlin kommen sollen. Wieso?
Ich will kein Gesetz respektieren, das meine Rechte nicht respektiert. In Europa können die Menschen ohne Passkontrollen reisen. Asylbewerber dürfen nicht mal ihren Landkreis verlassen. Das kann nicht gerecht sein. Jeder Mensch sollte sich aussuchen dürfen, wo er leben möchte.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Hast Du Angst, dass etwas schief gehen könnte? Vor Verhaftung oder rechter Gewalt?
Nein, ich bin mir sicher, dass es richtig ist, was wir tun. Wir haben das Projekt sehr lange vorbereitet. Jetzt fühle ich mich eher erleichtert, dass das alles so gut läuft. In Kassel und anderen Städten haben sich uns bereits Flüchtlinge angeschlossen. Der Widerstand wächst.

Du hast seit zwei Monaten die Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland. rotzdem lebst Du in einem Zelt, reist nach Berlin und protestierst weiter. Du hast doch bekommen, was Du wolltest. Ich habe als Flüchtling selbst erlebt, was es bedeutet, ein Mensch ohne Rechte zu sein. Essenpakete zu bekommen, keine Privatsphäre zu haben, in Unsicherheit ausharren und warten zu müssen. Ich will für all die anderen Flüchtlinge kämpfen, die ihre Aufenthaltsgenehmigung noch nicht bekommen haben und vielleicht nie bekommen.

Du klingst wütend.
Flüchtlinge leben in völliger Angst. In den Camps leben sie auf engstem Raum. Ich selbst musste zwei Jahre lang mit vier fremden Männern in einem Zimmer wohnen. Und wieso liegen die Flüchtlingscamps soweit außerhalb der Städte? Nicht, weil es dort so schön ist. Ein junger Flüchtling hat sich in Würzburg Anfang des Jahres umgebracht. Er hat es nicht mehr ausgehalten- für ihn marschieren wir.

Was sind konkret eure Ziele?
Wir möchten erstens, dass die Zwangsdeportationen von Flüchtlingen aufhören. Im Moment werden immer noch Menschen einfach in Flugzeuge gesetzt und in ihre Länder zurückgeschickt, wenn nötig mit polizeilicher Gewalt. Aber niemand sollte gegen seinen Willen abgeschoben werden dürfen. Zweitens möchten wir, dass die Flüchtlingscamps geschlossen werden. Die Zustände dort sind nicht menschenwürdig. Drittens soll es keine Residenzpflicht mehr geben. Menschen sollten frei sein. Deshalb marschieren wir nach Berlin.

Seit zwei Jahren lebst Du jetzt in Deutschland. Warum bist Du aus dem Iran geflohen?
Ich habe mich politisch engagiert. Schon während der Schulzeit kämpfte ich für einen politischen Kurswechsel im Iran. Dreimal wurde ich verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Auf die Universität konnte ich dann nicht mehr gehen, obwohl ich immer gerne Mathematik studieren wollte. Und irgendwann war klar, dass ich entweder jetzt fliehe oder umgebracht werde. Ich wusste: Du musst hier weg, egal wohin. Seitdem hatte ich auch keinen regelmäßigen Kontakt mehr zu meiner Familie. Es ist einfach zu gefährlich.

Wolltest Du von Anfang an nach Deutschland?
Die meisten Menschen glauben, Flüchtlinge würden nach Deutschland kommen, weil sie vom Wohlstand hier profitieren möchten. Aber das stimmt nicht: Viele versuchen, einfach nur weg zu kommen aus ihren Ländern und damit aus Situationen, in denen sie nicht mehr leben können. Meist entscheidet der Dealer, der die gefälschten Reisepässe verkauft, wohin ein Flüchtling reisen kann. 

  • teilen
  • schließen