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„Im Schlesinger bestellt man sich ein Widerstandsbier“

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Das Projekt Stuttgart21 sorgt momentan für anhaltende Proteste in der Hauptstadt der Schwaben. Von offizieller Seite werden sieben Milliarden Euro für den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofes zum Tiefbahnhof und für den damit verbundenen Neubau der Strecke Stuttgart-Ulm veranschlagt. Die Gegner des Ausbaus befürchten allerdings, dass sich die Kosten auf weit mehr als zehn Milliarden Euro belaufen werden. An der derzeit geplanten sogenannten "Neutrassierung" der Strecke nach Ulm kritisieren sie, dass sie nicht für Güterzüge geeignet ist. Gegen die Verlegung des Hauptbahnhofs in die Tiefe führen sie unter anderem geologische Bedenken ins Feld. Insgesamt sei das Projekt ein Milliardengrab heißt es von Seiten des Aktionsbündnisses K-21. Das Bündnis befürwortet eine Modernisierung des bestehenden Kopfbahnhofs und protestiert mit kreativen Mitteln. Erst vergangenen Freitag marschierten Zehntausende teilweise schwarz gekleidet durch die Stuttgarter Innenstadt. Das Motto des Protestmarsches lautete "Stille vor dem Sturm". Am Abend des 23. August findet bereits zum 40. Mal eine "Montagsdemo gegen das Prestigeobjekt" statt. Der anhaltende Protest bringt allem Anschein nach die Menschen in der Region zusammen. Jan Brehm, 20, war bis Mai diesen Jahres Zivildienstleistender im Stuttgarter Regionalbüro des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Jan engagiert sich zum ersten Mal in einer Protestbewegung. Im jetzt.de-Gespräch beschreibt er ausnahmsweise nicht nur die Argumente der Umbaugegner. Er redet auch über das Gemeinschaftsgefühl unter den Protestierenden. [b]jetzt.de: Jan, warst du eigentlich vor deinem Zivildienst bereits politisch aktiv?[/b] Jahn Brehm: Nein, nicht wirklich. Ich hab zwar Zeitung gelesen und bin wählen gegangen, aber das war es dann auch schon. [b]Du warst beim BUND, der immer wieder öffentlichkeitswirksam für den Naturschutz kämpft. Bist du dadurch zum Protest gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofs gekommen?[/b] Nicht direkt. Ich hatte natürlich gehört, dass sich beim BUND viele Leute damit beschäftigen. Aber erstmal habe ich die Aufgaben übernommen, die ich dort als Zivi machen musste: Ich habe Infostände organisiert und Büroarbeit gemacht. Erst im vergangenen Herbst habe ich angefangen, an dem Protest teilzunehmen. Damals begannen die Montagsdemonstrationen. [b]Hatte das direkt mit deiner Arbeit zu tun?[/b] Nein, als Zivildienstleistender hat man ja keine politischen Aufgaben. Das war mein freiwilliges, ehrenamtliches Engagement. Aber umso mehr ich über das Projekt erfahren habe, desto wichtiger war es mir, es zu stoppen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Der Oben-Bleiben-Button ist das Erkennungszeichen derjenigen, die gegen den geplanten Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs sind. [b]Diese Woche findet die 40. Montagsdemonstration statt. Wie muss man sich das vorstellen: Entwickelt sich in der ganzen Zeit schon eine Art Gemeinschaftsgefühl? [/b] Ja, und das Spannende ist, dass das durch alle Altersgruppen geht. Es engagieren sich alte Menschen, die schon über 80 Jahre alt sind, genauso wie Leute im mittleren Alter bis hin zu vielen Jugendlichen. Die jüngsten, die ich getroffen hab, waren 14 und 15 Jahre alt. Von den jungen Leuten sind inzwischen viele meine Freunde. [b]Der regelmäßige Protest macht es wahrscheinlich leichter, Bekanntschaften zu schließen, oder?[/b] Klar, man hat immer sofort ein gemeinsames Gespräch mit einem spannenden Thema.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tausende von Schwaben gehen seit Wochen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 auf die Straße. [b]Treffen sich bei den Demos am Nordflügel des Hauptbahnhofs vor allem erfahrende Demonstranten oder kommen auch viele neue Leute hinzu?[/b] Das witzige ist, dass es da ganz viele Erstdemonstranten gibt, die über 60 Jahre alt sind. Für die ist das die erste Protestaktion in ihrem Leben - seit dem Krieg haben sie bislang keinen Anlass dafür gehabt. Ich habe aber auch viele Schulfreunde, die sich früher fast nie für Politik interessiert haben. Ein paar von denen engagieren sich jetzt sehr bei den Aktionen. [b]Es gibt von früheren Protesten in Deutschland Geschichten von Paaren, die sich bei den Demos fanden. Gibt es das in Stuttgart auch schon?[/b] Ich habe tatsächlich von einem Paar gehört. Beide sind so Mitte 40 und haben intensiv bei den Organisationstreffen mitgearbeitet und sich da kennen gelernt. Inzwischen haben sie sogar geheiratet. [b]Jeder Protest braucht seinen Ausgangspunkt. Haben sich bestimmte Orte herausgebildet, wo sich die Stuttgart21-Gegner jetzt immer treffen?[/b] Im BUND-Büro gibt es natürlich regelmäßig Aktiventreffen, aber dahin kommen vor allem die älteren Leute. Die jungen Leute trifft man im Schlesinger, einer alternativen Bar. Da bestellt man sich dann ein Widerstandbier. Man sieht auch viele Leute mit dem Oben-Bleiben-Button. Das ist der Widerstandsbutton gegen Stuttgart21, an dem erkennen sich die Gegner der Projekts. Ich hab mich schon mit vielen wildfremden Leuten in der S-Bahn unterhalten, weil sie auch so einen Button getragen haben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Biertrinken gegen Stuttgart 21 - seit kurzem verkaufen einige Bioläden und ein paar Kneipen das Protestbier 'Resist 21'. Von jeder verkauften Flasche gehen 21 Cent auf das Konto des Widerstandsbündnisses. [b]Gibt es noch andere Erkennungszeichen?[/b] Viele Leute tragen den gelben Aufkleber, auf dem Stuttgart21 rot durchgestrichen ist. Und dann gibt es noch die K21-Widerstandstasche, die sehe ich auch häufig in letzter Zeit. [b]Meinst du, der Protest führt die Stuttgarter insgesamt enger zusammen?[/b] Irgendwie schon. Zum Beispiel ist man sich sofort ein bisschen sympathisch, wenn man jemandem mit Button oder Tasche begegnet. Und das, obwohl man sich bisher vielleicht gar nicht kannte.

Text: clemens-haug - Fotos: dpa

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