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Interview: Little Miss Sunshine und ihre schrullige Familie

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Es ist die Geschichte einer kleinen verrückten Familie: Der Vater ist erfolgloser Motivationstrainer, der Sohn hat ein Schweigegelübde abgelegt, die kleine pummelige Tochter Olive will Schönheitskönigin werden und dann kommt auch noch der schwule Onkel Frank vorbei, der gerade einen Selbstmordversuch aus Liebeskummer hinter sich hat und nicht aus den Augen gelassen werden darf. Die ganze Familie einschließlich des drogenabhängigen Großvaters quetscht sich in einen alten VW-Bus, um quer durchs Land nach Kalifornien zu fahren, wo Olive am Schönheitswettbewerb „Little Miss Sunshine“ teilnehmen will. jetzt.de sprach mit Jonathan Dayton und Valerie Faris, den beiden Regisseuren des Films. Dayton und Faris sind miteinander verheiratet und bekannt geworden als Regisseure für Videoclips, unter anderem für R.E.M., die Red Hot Chili Peppers oder The Offspring.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Euer Film hat ja einen langen Weg hinter sich. Er ist im Januar auf dem Sundance Filmfestival gelaufen und galt da noch eher als Geheimtipp und kleiner Independentfilm. Dann hat man Monate lang nichts mehr von ihm gehört – bis im Sommer plötzlich eine riesige Werbekampagne im Internet und im amerikanischen Fernsehen gestartet wurde. Was ist da passiert? Jonathan: Der Film ist ein Independent-Film, weil er unabhängig finanziert wurde, ohne großes Studio im Hintergrund, das die Fäden zieht. Das waren ideale Bedingungen, weil wir große künstlerische Freiheiten hatten. Nach Sundance hat dann Fox Searchlight den Film gekauft, die Independent-Abteilung von Fox. Und die haben dann diese riesige Kampagne aufgebaut. Uns hat das selbst ein bisschen erschreckt. In Amerika ist es üblich, kostenlose Previews von Filmen in ausgewählten Städten zu zeigen und auf Mundpropaganda zu setzen. Das hätte vielleicht auch gereicht. Wer, würdet ihr sagen, ist die Hauptfigur in „Little Miss Sunshine“? Jonathan: Die Familie ist die Hauptfigur. Oder sagen wir so: Es gibt sechs Hauptfiguren im Film. Das Familienleben wird aus sechs Perspektiven erzählt. Valerie: Aber Olive, das kleine Mädchen, ist natürlich die, die das ganze Unternehmen vorantreibt. Sie motiviert die Handlung, indem sie die Familie dazu bringt, zusammen nach Kalifornien zum Schönheitswettbewerb zu fahren. Die Erwachsenen in „Little Miss Sunshine“ sind weit davon entfernt, perfekt zu sein oder sich auch nur annähernd vernünftig und reif zu verhalten. Das kann man in letzter Zeit öfter in Filmen beobachten, dass Eltern und Kinder gleichberechtigter dargestellt werden – alle haben so ihre Ängste und Macken. Valerie: Ich glaube, die Machtverteilung hat sich verändert. Für viele wird Kinderkriegen eine immer bewusstere Entscheidung, die man relativ lange hinauszögert und wenn die Kinder dann endlich da sind, sind die Eltern überglücklich und beten die Kinder regelrecht an. Ein anderer Aspekt ist, dass heutzutage so viel Druck auf den Familien lastet. Meistens müssen beide Eltern arbeiten und die Eltern kämpfen sich wirklich ab, um alles zusammen zu halten. Und dann kommen noch die Vorgaben von außen, was eine glückliche Familie auszumachen hat. Da kann man schon mal verzweifeln. Ihr habt selbst zwei Kinder, geht es euch da ähnlich? Jonathan: Oh ja, manchmal schon. Wir haben Glück, dass wir immer Arbeit hatten und wir uns diese immer gut selbst einteilen konnten. Die Familie Hoover aus „Little Miss Sunshine“ ist ein gutes Beispiel für das, was Valerie gerade gesagt hat. Beide Eltern arbeiten, der Vater verdient fast kein Geld, weil sein Geschäft so schlecht läuft und sie haben zwar alles, ein Haus, zwei Autos, stehen aber immer kurz davor, alles zu verlieren. Und der Vater versucht verzweifelt, seiner Familie und dem Rest der Welt zu beweisen, dass er etwas zu geben hat, dass er auch etwas beisteuern kann für seine Familie. Er glaubt, wenn er sich nur anstrengt, kann er es auch schaffen. Das ist der amerikanische Traum, dass jeder alles schaffen kann. Aber natürlich stimmt es nicht. Das ist es, was der Film sagt. Für uns ist der Film wie eine Momentaufnahme einer amerikanischen Familie.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Figuren im Film sind aber alle schon arg verschroben und eigenartig. Jonathan: Natürlich sind die einzelnen Figuren etwas überzogen. Aber worum es geht ist, ist, dass die Figuren emotional aufrichtig gezeichnet sind. Sie werden in eine Extremsituation gebracht und erkennen plötzlich, dass sie zusammen am stärksten sind, sie entwickeln ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das vorher nicht da war, zumindest nicht bewusst. Valerie: Einer unserer Lieblingsfilme ist „Harold and Maude“ – und wenn man sich die Figuren ansieht, denkt man auch, nein, so jemanden gibt es nicht in echt, die sind viel zu schrullig. Trotzdem ist es ein wunderbarer Film. Wenn man sich Filme wie „Little Miss Sunshine“ ansieht, muss man sich unweigerlich denken, oh je, mein Leben ist so langweilig, alle sind so normal, ich braucht wirklich ein paar Neurosen. Valerie: Naja, schrullige Menschen geben auf jeden Fall bessere Geschichten ab als normale, ausgeglichene Menschen. Aber man kann immer noch in eine neurotische Familie einheiraten, das gilt auch. Ihr beiden seid verheiratet und arbeitet immer zusammen - wie kam das? Jonathan: Wir arbeiten schon ewig zusammen. Am Anfang war das nur eine kreative Partnerschaft, nichts Romantisches. Wir haben gemeinsame Leidenschaften, wir lieben das Filmemachen. Und irgendwann haben wir uns dann auch ineinander verliebt. Es ist schön, wenn man so ein Leben teilen kann, auch mit Kindern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bisher habt ihr fast nur Musikvideos gemacht und „Little Miss Sunshine“ ist weit weg von der ganzen Musikclip-Ästhetik. War die Umstellung schwer? Jonathan: Nein, eigentlich nicht. Als Musikvideo-Regisseure bekommen wir öfter Drehbücher für Actionfilme angeboten, weil man da schnelle Schnitte und eine musikvideoähnliche Ästhetik braucht. Aber das hat uns eigentlich nie interessiert, wir wollten etwas ganz anderes machen. Es war dann wirklich einfach, weil wir so gutes Material hatten, mit dem wir arbeiten konnten, das Drehbuch, die tollen Schauspieler. Ihr habt das Video zum Lied „1979“ von den Smashing Pumkins gemacht. Und man kann tatsächlich ein paar Parallelen finden: Leute, die im Auto den Highway runter fahren, ein Junge, der sich an einer Tankstelle dieses blaue Getränk, einen „Fluffy“, kauft.... Jonathan: Stimmt, das ist uns aber beim Drehen nie aufgefallen. Was allerdings Absicht war: Als Frank, der Onkel, sich an der Tankstele die Pornohefte kauft, beträgt der Preis genau 19,79 Dollar. Das Video „1979“ ist eigentlich unser Lieblingsvideo und es ist ästhetisch sicher auch am nächsten dran an „Little Miss Sunshine“. Bilder: Fox Hier findest du die SZ-Kritik zu "Little Miss Sunshine.

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