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Interview: „Meine Mutter ist wie eine beste Freundin für mich“

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Wenn Du zurückblickst - wie empfindest du deine Kindheit ohne Vater, nur mit deiner Mutter? Samira: Ich hatte eigentlich eine sorglose Kindheit. Mir hat es an nichts gefehlt, da meine Mutter stets bereit war, mir jeden Wunsch von den Lippen abzulesen. Probleme, nur mit einem Elternteil aufzuwachsen, waren für mich nie ein Grund, meine Lebensfreude zu verlieren. Ich bin froh, dass mich meine Mutter zu einer aufrichtigen Person erzogen hat. Es gab natürlich auch schwierige Tage für uns, da es uns manchmal finanziell nicht gut ging, doch meine Mutter hat sich das nie anmerken lassen, um mich da nicht hineinzuziehen. Ich es aber trotzdem gemerkt, wie es ihr schlecht ging. Ansonsten kann ich nur sagen, dass meine Mutter gute Arbeit geleistet hat, was Erziehung angeht. Welche Beziehung hast du zu deiner Mutter? Ich führe eine offene Beziehung mit meiner Mutter. Heimlichtuereien gibt es bei uns nicht, da ich ihr sehr vertrauen kann und sie für alles, was ich mache, Verständnis und Rücksicht aufbringt. Sie ist eher eine lockere Person, mit der man viel lachen und Spaß haben kann und für alles ein offenes Ohr hat, wenn es Probleme gibt, in der Schule, mit Freunden und so weiter. Sie ist wie eine beste Freundin für mich, kann man so sagen. Wie siehst du deine Mutter? Als eine starke, kämpferische Person. Sie hat in ihrem Leben viel erlebt und dass sie immer noch die Kraft und Lust am Leben hat, finde ich erstaunlich. Sie ist eigentlich das, was man als Idealmutter bezeichnen könnte. Sie will nur das Beste für mich, setzt sich für alle ein und meistert Schwierigkeiten mit der eigenen Person. Welche Beziehung hast du zu deinem Vater? Gar keine, hab` ihn noch nie gesehen. Er hat nur einmal angerufen, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Und das war es auch. Er interessiert mich nicht, da ich keine Gefühle zu ihm habe. Er ist eben wie alle anderen Menschen auf dieser Welt. Was er gerade macht oder wie es ihm geht, interessiert mich überhaupt nicht. Wie hast du die Trennung deiner Eltern wahrgenommen? Überhaupt nicht. Er hat meine Mutter als sie schwanger war, sitzen lassen von daher hab ich keinen Trennungsschmerz. Wie haben die Familien deiner Eltern auf deren Trennung reagiert? Das kann ich nicht sagen, weil ich es selbst nicht weiß. Ich hab meine Mutter nie darauf angesprochen, weil ich wusste, dass sie ungern über dieses Thema redet und sie nicht gern zurück denkt. Glaubst du, deine Mutter bereut ihre Entscheidung? Sie bereut es eher, dass sie sich mit ihm eingelassen hat. Wenn sie gewusst hätte, was das für Konsequenzen haben würde, wäre sie im Leben nie darauf gekommen überhaupt einen Schritt in seine Nähe zu wagen.


Fehlt dir manchmal ein Vater? Nein. Würde Dir jemand fehlen, den du noch nie gesehen hast? Ich glaub eher weniger. Gibt es Dinge, die Dir im Vergleich zu Kindern, die mit beiden Elternteilen aufwuchsen, fehlen? Mir hat es an nichts gefehlt. Ich glaube, wenn ich mit einem Vater aufgewachsen wäre, dann wäre ich nicht der Mensch, der ich jetzt bin. Meine Lebensweise wäre eingeschränkter und glücklich wäre ich bestimmt auch nicht. Wie sehen andere deine Mutter? Insbesondere die muslimische Gesellschaft, aber auch die deutsche Gesellschaft? Kontakt mit der muslimischen Gesellschaft haben wir nicht so intensiv, aber einige Bekannten von uns finden das klasse, wie meine Mutter ihr Leben mit einem Kind meistert. Sie bewundern sie eher und bringen viel Respekt auf. Ein Problem, dass sie allein erziehend ist, haben sie nicht. Sie gehen ganz normal damit um und es war nie ein Thema, wieso, weshalb, warum! Die deutsche sieht das als normal an, da es bei ihnen häufiger vorkommt, dass ein Elternteil allein erziehend ist. Hat deine Mutter oft mit Dir über ihre Situation gesprochen? Gar nicht, für sie ist das kein Thema mehr. Sie hat damit abgeschlossen und jegliche Erinnerungen daran verdrängt. Wenn man sie darauf anspricht, wo ihr Partner sei, sieht man schon am Ausdruck ihres Gesichtes, dass sie ungern darüber redet. Hast Du dich irgendwann als anders empfunden? Hast Du mal das Gefühl gehabt, dass Du auf Grund deiner Situation oder die deiner Mutter als eine allein erziehende Mutter und muslimische Frau nicht dazugehörst? Ich hab mich noch nie als anders empfunden, da ich diesen Vergleich nie hatte, wie es ist mit beiden Elternteilen zu leben. Ich bin nur mit meiner Mutter aufgewachsen und anders war es auch in der Erziehung nicht. Wie, glaubst Du, sehen die Muslime eine allein erziehende Mutter und warum? Hmm, ich denke, für sie ist es unvorstellbar, dass eine Frau ohne Mann ein Kind aufzieht. Dazu kommen noch religiöse Denkweisen und die muslimische Sicht hinzu. Sie verachten so eine Frau eher, da sie der Meinung sind, dass sie erstens gegen den Koran verstößt, zweitens nicht gut genug für ihren Mann war oder drittens selbst die Entscheidung getroffen hat, ihr Kind allein zu erziehen. Was gefällt dir nicht an der Haltung der Deutschen oder Migranten zu diesem Thema? Ich finde es schade, dass manche Familien ihre Tochter verstoßen, nur weil sie mit ihrem Mann nicht klar kommt oder weil sie nicht mit ihm leben wollte, da er öfter zu Gewalt übergriff. Muslime ist es wichtiger, dass eine Ehe standhält, alles, was angeblich gegen den Koran verstößt, zerstört auch die Ehre der Familie – deswegen lieber verachten und keinen Kontakt mehr mit der Tochter. Oder aber die Gesellschaft hält die Familie für dumm, weil sie zu ihrem Kind stehen. Könntest du dir vorstellen auch als allein erziehende Mutter zu leben, wenn es die Situation verlangen würde? Wenn es mal dazu kommen würde, dass ich allein erziehende Mutter werde, werde ich versuchen mit der Situation klarzukommen und mein Leben ebenfalls wie meine Mutter in den Griff zu bekommen, auch ohne Mann... Ich werde versuchen eine gute Mutter zu sein und meinem Kind alles Recht zu machen und nicht gleich aufzugeben, auch wenn harte Zeiten auf mich zukommen würden. Gibt es Vor- und Nachteile als allein aufgezogenes Kind? Samira: Vorteile gab es bei mir viele, besonders als muslimisches Mädchen: mehr Freiheiten, mehr Lebenslust und so weiter. Nachteile fallen mir diesbezüglich nicht ein. Gibt es etwas, was Du den Menschen gerne diesbezüglich mit auf den Weg geben willst? Egal, ob man mit oder ohne Vater oder Mutter aufwächst: Vergiss niemals dein Leben zu schätzen und jeden Tag Allah und deiner Mutter und Vater zu danken, dass sie dich als eine aufrichtige und lebenslustige Person erzogen haben. +++ Den Text entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der aktuellen Ausgabe des Magazins Gazelle. "Gazelle" versteht sich als multikulturelles Frauenmagazin und hat sich zum Ziel gesetzt, „spezifische Probleme, Bedürfnisse und Interessen der in der Bundesrepublik lebenden Migrantinnen und deutschen Bürgerinnen einzugehen und ihnen eine Plattform zum Austausch zu bieten, um somit einen Beitrag zum interkulturellen Verständnis und Zusammenleben zu leisten.“ Ein Porträt des Gazelle-Magazins erschien auf bereits auf jetzt.de.

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