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Interview zum Film "Lenin kam nur bis Lüdenscheid"

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Der Film „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ erzählt die Geschichte einer Kindheit in der westdeutschen Provinz. Richard David Precht wird 1964 in Solingen geboren. Ehemalige Nazis bekleiden wieder hohe Ämter in Deutschland, der Krieg in Vietnam tobt und deutsche Firmen liefern das berüchtigte „Agent Orange“. Richards Eltern – selbst gutbürgerlich – sympathisieren mit linken Ideen. Nach 1968 wird Richard antiautoritär erzogen und entwickelte eine ganz eigene Weltsicht, in der sich Privates mit Politischem vermischt: Aus Marx und Engels wird der Tiervater Brehm, die DDR stellt er sich als einen riesigen, durch eine Mauer geschützten Tierpark vor. „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ ist die Verfilmung der 2007 erschienenen, gleichnamigen Autobiografie von Richard David Precht. jetzt.de sprach mit dem Regisseur André Schäfer über antiautoritäre Erziehung, Kindheitserinnerungen und die Geschichte der Linken in der BRD. jetzt.de: „Lenin kam nur bis Lüdenscheid“ ist eine sehr persönliche Familiengeschichte. Sie erzählt die Jugend und Kindheit eines Mannes namens Richard David Precht. Warum sollte man sich den Film anschauen? André Schäfer: Klar, ist die Geschichte eine sehr persönliche, aber sie steht für viele. Nach jeder Aufführung kamen bisher Menschen zu mir und sagten, wie glücklich sie sich fühlten. Weil der Film auch die Geschichte ihrer Kindheit erzählt, nicht nur die Geschichte der Linken in der BRD.

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Warum wolltest Du das Buch verfilmen? Ich bin 1966 geboren und vieles aus Richards Kindheit kommt auch mir sehr bekannt vor. Bei uns Zuhause liefen dieselben Lieder, meine Eltern waren von demselben Zeitgeist geprägt. Ich glaube, in dem Film steckt etwas Allgemeingültiges. Er erzählt von einer Generation, die die Welt verbessern wollte. Die das Politische mit dem Privaten vermischte und endlich Schluss machte mit dem ganzen Mief der Adenauer-Zeit. Ich meine, 1964 bekräftigte Bundeskanzler Ludwig Erhard noch die Ablehnung der Oder-Neisse-Grenze, ehemalige Nazis hatten Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft, Homosexualität war strafbar und so weiter. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Anfang der 70er sympathisieren Richards Eltern mit antiautoritärer Erziehung... Die Kinder müssen sich nicht mehr die Zähne putzen, dürfen aber auch keine Cola trinken. Die einzigen Comics, die sie lesen dürfen, ist Asterix, weil die Römer für die amerikanischen Imperialisten stehen. Sie bemalen die Wände und der kleine Richard benutzt seinen Zahnputzbecher nur dazu, Sand aus dem Aquarium zu fischen. Vieles von damals wirkt heute extrem verdreht. Warum, glaubst Du, hat sich eine antiautoritäre Erziehung überlebt? Es ist vielleicht einfach nicht mehr notwendig. Natürlich waren das extreme Ausprägungen – aber vor 1968 war es zum Beispiel ganz normal, dass Eltern ihre Kinder schlagen. Heute ist es eine gewaltfreie Erziehung fast schon Konsens. Das sind indirekte Konsequenzen der antiautoritären Erziehung. Letztendlich hat sich die BRD in dieser Zeit komplett modernisiert. Über die Generation von 1968 und ihre Bedeutung für Deutschland wurde in letzter Zeit viel Kritisches geschrieben. Leute wie Götz Aly werfen ihr latenten Antisemitismus vor, andere sehen in ihr den Wegbereiter des RAF-Terrors. Was bedeutet 1968 für Dich? Trotz aller berechtigen Kritik steht 1968 für mich noch immer für Menschen mit Sinn für Aufrichtigkeit und Freiheit. Manches in dem Film wirkt auch verniedlichend. Insbesondere die Passagen über den Deutschen Herbst 1977 und die Attentate der RAF, aber auch die unkritische und verherrlichende Sicht auf die DDR. Der Film zeigt die Sicht eines Kindes auf die Ereignisse und das ist für sich sehr authentisch. Richard wurde nun einmal so erzogen und seine Eltern erzählten ihm eben, dass das bessere Deutschland jenseits der Grenze liegt. Ich glaube auch nicht, dass der Film etwas verniedlicht. Er erzählt einfach eine wahre Geschichte. Die Geschichte beginnt mit dem Vietnamkrieg und endet mit dem Mauerfall. Da ist der Protagonist aber schon weiter über 20 Jahre alt. Seine Kindheit ist längst vorbei. Warum? Weil mit diesem Datum auch alle seine Illusionen enden. Als kleines Kind zum Beispiel hält Richard die DDR für eine Art Paradies, weil seine Eltern ihm das so vermittelten. So war es bei einem Großteil der Linken – erst mit der Wende wurde vielen klar, dass dieses Bild nicht adäquat gewesen war. Was ist mit der Linken nach 1989 passiert? Ich glaube, sie hat ihre Kampfeshaltung verloren. Ihr sind die klaren Feindbilder abhanden gekommen. Die Extreme von damals gibt es heute nur noch in Randgruppen. Ich will das gar nicht verteufeln. Die BRD hat nach 1989 einen neuen Weg eingeschlagen. Lenin kam nur bis Lüdenscheid läuft seit 5. Juni in den Kinos

Text: philipp-mattheis - Fotos: www.lenin-film.de

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