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Iris Bahr über israelische Männer und ihre möchtegern-orthodoxe Kindheit

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In deinem Buch geht es viel um Sex. Sehr interessant ist der Zusammenhang zwischen Militärdienst und Sexualität In der Szene, in der du alleine in einem Bus fährst und versuchst, mit den zwei Jungs vor dir ins Gespräch zu kommen. Du gibst ein bisschen an mit deiner Grundausbildung und schon sind die beiden Engländer Feuer und Flamme. Das bezieht sich auf das Klischee der Frau in der Armee: Sexy. In Israel ist es natürlich anders, da geht jeder zur Armee. Aber immer wenn ich jemanden aus einem anderen Land treffe, sagt er: Das ist so scharf! Die hübschen Mädchen mit den Maschinenpistolen!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Meinst du nicht, Militär und Sex hat einen Zusammenhang? So gut wie alle schmutzigen Begriffe in der hebräischen Sprache kommen von der Armee. Man kann heute nicht mehr „ich bin fertig“ sagen, ohne mit bestimmten sexuellen Assoziationen rechnen zu müssen. Oh, „ich bin fertig“ hatte jemals eine andere Bedeutung? Das ist, was mir meine Hebräischlehrerin beigebracht hatte. Das habe ich nicht gewusst. Andererseits bedeutet „bewaffnen“ aber auch „ficken“. Im „Moomlatz“ bedienst du dich oft israelischer Stereotypen. Zum Beispiel triffst du öfter auf Isra-fros, Männer, die frisch aus der Armee entlassen sind und sich statt Militärschnitt die Haare wild wachsen lassen. In deinem Buch reisen sie vor allem wegen LSD, Trance-Musik und den Engländerinnen nach Asien. Ich habe den Eindruck, dass viele Deutsche ganz anders über die israelische Jugend denken, als ihr Israelis es tut. Viele meinen, Israel sei so etwas wie eine Militärgesellschaft, und sie werden sich über die Darstellung junger Menschen in Moomlatz sehr wundern. Naja, die Männer in Israel lassen sich wirklich in Soldaten mit Militärschnitten und in Isra-fros aufteilen. Und sie sind sehr direkt. In Israel gibt es eine sehr liberale, sexuell aufgeschlossene Gesellschaft. Man denkt ja immer, Israel sei eine jüdisch-orthodoxe Gesellschaft, aber das ist Unsinn. Alles ist sehr sexuell. Sind israelische Männer Machos? Nein, eigentlich nicht. Die israelischen Männer sind sehr stark und geradeheraus, die Frauen aber eben auch. Niemand lässt sich sagen, was er zu tun hat. Die Männer sind Machos und die Frauen sind Machos. Keiner wird unterdrückt und jeder weiß, was man von ihm hält. Ich schätze diese direkte Art sehr, in Amerika habe ich oft das Gefühl, dass man nur so tut, als sei alles in Ordnung. Meinst, du dein Buch ist etwas wie das Porträt einer Generation? Irgendwie schon. Die meisten Israelis haben in diesem Lebensabschnitt die gleichen Erfahrungen, weil praktisch jeder, nachdem er aus der Armee entlassen wurde, erst mal auf Reisen geht. Das hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verändert. Du behandelst das Thema Judentum in deinem Buch sehr humorvoll. In einer Szene gehst du in ein thailändisches Touristenrestaurant. Besonders die unkoscheren Speck-Sandwichs haben es dir sehr angetan, woraufhin du sie als Judenhasser bezeichnest. In Deutschland wird man so eine Art von Humor bestimmt befremdlich finden. Ich denke, Humor ist ein guter Weg, um mit der eigenen jüdischen Identität umzugehen. Für Deutsche ist es bestimmt schwieriger, haha! Gibt es viele Juden in Deutschland? Etwa Hunderttausend. Wirklich? Sind das Leute, die Deutschland vor dem Krieg verlassen haben und dann wieder zurück kehrten? Oder sind das Überlebende? Weder noch, die meisten kommen aus der Sowjetunion. In München z.B. hat sich die jüdische Bevölkerung seit dem Fall des eisernen Vorhangs verfünffacht. Die meisten russischen Juden sind sehr säkular. Du kennst das Phänomen ja aus Israel. Ja, aber die Russen in Israel haben wahrscheinlich eine stärkere jüdische Identität, sonst wären sie ja nicht in ein Land gekommen, das sich so stark über sein Jüdischsein definiert. Gestern habe ich die neue Münchner Synagoge besucht, sie ist sehr schön. Aber liberal, oder? Nein, orthodox. Hast du die Trennwand zwischen Männern und Frauen nicht gesehen? Stimmt. Aber wenigstens kann man sich gegenseitig gut beobachten! Es muss aber seltsam sein, als praktizierender Jude in Deutschland zu leben, ich meine, wegen der Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit. Eigentlich planten Neonazis auch ein Attentat bei der Grundsteinlegung der neuen Synagoge, aber man hat sie rechtzeitig erwischt. Das ist wirklich angsteinflößend, die Präsenz der Neonazis in Deutschland, vor allem in Ostdeutschland. In deinem Buch hat mir die Geschichte über deine Schulzeit in der Bronx am besten gefallen. Du erzählst, wie du –obwohl du eigentlich aus einer liberal-jüdischen Familie stammend– von deinen Eltern auf eine religiöse Schule geschickt wirst, um Hebräisch zu lernen. Um dort akzeptierst zu werden, kleidest du dich wie ein orthodoxes Mädchen, und weil du am Shabbat nicht zum Gemeindeunterricht gehen kannst, erzählst du, deine Eltern würden dich am Shabbat auf eine noch viel religiösere Schule senden. Die Tatsache, dass ihr nur eine Spüle in der Küche für Fleischiges und Milchiges besitzt, führst du darauf zurück, dass ihr zuhause keine Milch trinkt. Alles fliegt auf, als deine Mutter dich am ersten Shabbat im Gemeindezentrum mit dem Auto abholst, und das Lügengebilde bricht zusammen, weil Auto fahren am Shabbat natürlich verboten ist. Das war eine schwere Zeit für mich. Als Kind möchte man eigentlich immer nur akzeptiert werden, und man möchte so sein wie die anderen. Meine Eltern waren eher unreligiös und haben auch überhaupt nicht begriffen, wie wichtig es für mich war, so zu sein, wie die anderen Kinder in der Schule. Selbst jetzt möchte ich manchmal noch irgendwo dazu gehören. Ich schätze, ich passe im Großen und Ganzen nirgendwo so richtig hin, aber ich bin ja Künstlerin, also ist es so in Ordnung. Wirst du dein Stück „Dai“ eigentlich nach Deutschland bringen? Würde ich sogar sehr gerne, aber es ist ein bisschen schwierig, weil es ein one-woman-play auf englisch ist. In „Dai“ tauchen ganz unterschiedliche Menschen auf, jüdisch-israelische Zionisten, Russen, Siedler. Es gibt eine russische Frau, die sich irrtümlicherweise für eine Jüdin hält. Es gibt den Sohn eines Kibbuzniks, der sich weigert in die Armee zu gehen. Es geht um altes, ideologisches Gedankengut, aber auch um Dinge, die sich ändern. Ich fand es wichtig, Israel auch einmal von israelischer Seite betrachtet zu sehen. Natürlich ist es viel leichter, für die Palästinenser und ihre Argumente Partei zu ergreifen. In Edinburgh war „Dai“ sehr erfolgreich, genauso wie die Aufführung vor den Vereinten Nationen. In Edinburgh war das Stück sogar ausverkauft und viele der Menschen, die kamen, waren anti-israelisch, und so bekamen sie mal einen anderen Blickpunkt auf den Palästinakonflikt. Es ist nicht okay, Israel einfach zu hassen. Ich möchte, dass die Menschen sich mehr Gedanken machen. Das Thema würde in Deutschland sicher auf Interesse stoßen. Es geht um Israel, aber es ist nicht so politisch. Ich glaube, die Welt missversteht Israel komplett, und vor den Augen der Welt hat Israel immer Unrecht. Das ist so frustrierend. Deshalb wollte ich in dem Stück Israel ein Art menschliches Gesicht geben: Am Beispiel von elf Personen. Bild: irisbahr.com

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