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„Jugendliche haben es heute schwer, rebellisch zu sein“

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Wie ist die Idee zu der Ausstellung entstanden? Die Idee hängt eng mit meiner eigenen Biografie zusammen. Es war meine Generation, die die Zeitspanne der Jugend verlängert hat. Auch in den späten Dreißigern beschäftigen wir uns heute noch mit Popmusik und Popliteratur, pflegen einen jugendlichen Kleidungsstil und gehen abends in Clubs und Bars, die wir noch aus der Studentenzeit kennen. Das Kapitel Jugend wird heute nicht einfach abgeschlossen, es gibt keinen endgültigen Bruch. Oft wird unserer Generation deshalb vorgeworfen, dass wir nicht erwachsen werden wollen, dass wir keine Verantwortung übernehmen wollen. Ich will mit der Ausstellung nach den positiven Seiten der verlängerten Jugend suchen. Aus demographischen Gründen oder um die Renten zu sichern, mag es sehr vernünftig sein, früh Kinder zu bekommen – vielleicht gibt es aber auch noch eine andere Vernunft, nach der wir suchen sollten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was ist so anders an „der Jugend von heute“? Jugend ist heute keine Zeitspanne mehr, die mit 12 beginnt und mit 22 aufhört, sondern ein sehr flexibler Begriff. Und die Jugendkultur hat sich gewandelt. Heute sprechen wir von der „Generation Praktikum“ oder der „Generation prekär“: Die Aufständischen in Paris kämpfen dabei für sehr bürgerliche Ideale. Es geht ihnen um Sicherheit, um einen sicheren Job. Sicherheit ist etwas, was man früher in Jugendrevolten immer bekämpft hat. Niemand wollte sich sicher fühlen. Man wollte starre Strukturen und Konventionen zerstören, gegen das Establishment, gegen die Welt der Eltern revoltieren. Warum sind die Rebellen verschwunden? Jugendliche haben es heute schwer, überhaupt rebellisch zu sein. Eine Jugendkultur wie Punk ist unmöglich geworden, denn der Mainstream verschluckt jeden Protest. Wenn ein neuer Modestil entsteht, wird dieser Stil sofort von Scouts entdeckt, dann mediengerecht aufbereitet und einen Monat später findet man die Klamotten in den großen Modehäusern. Wie sollen sich Jugendliche da noch abgrenzen? Auch die Eltern sind immer sympathischer geworden. Sie kleiden sich so ähnlich wie die Jugendlichen, hören die gleiche Musik, kommen mit zum Konzert von Madonna oder Robbie Williams. Trotzdem gibt es noch immer Möglichkeiten, die über den LBS-Werbespruch „Ich möchte Spießer werden“ hinausgehen. Die heutigen Jugendlichen rebellieren im Privaten, in kleinen Gruppen, im Zusammenleben – obwohl ihnen das große Feindbild abhanden gekommen ist. Die Vielfalt der Lebensentwürfe hat dabei aber zugenommen. Warum hast Du den Titel „Die Jugend Von Heute“ gewählt – also einen Songtitel der ausgesprochen erwachsenen Band Blumfeld. Das ist erst einmal ein sehr toller Song! Und dann gefällt mir, dass ein Begriff wie „Die Jugend von heute“ ja nicht von den Jugendlichen selbst, sondern – und das seit Generationen – von Erwachsenen verwendet wird, so unter dem Motto: Ach, die Jugend von heute. Oder: Dass soll die Jugend von heute sein? Die Bild-Zeitung hat es noch schroffer formuliert: Sind das wirklich noch unsere Kinder? Ständig wirft man der Jugend vor, dass sie nichts tut. Wenn die Jugendlichen „vor H&M herumlungern“, dann bekommen die Erwachsenen Angst um ihre Zukunft. Mit dieser Bedeutung spielt der Ausstellungstitel. Außerdem zeigt er, dass die Ausstellung sich nicht nur mit aktuellen Positionen, sondern auch mit älteren Jugendkulturen beschäftigt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Neben bekannten Künstler wie der Brit-Art-Ikone Tracey Emin hast du viele Newcomer eingeladen. Es gibt heute auch wieder viel mehr junge Künstler und neue Galerien. Der Beruf des Künstlers ist für junge Menschen wieder sehr attraktiv. Wenn man heute auf eine Kunstmesse geht, dann ist das eine große Show. Für das Abendprogramm werden Popstars gebucht, alles ist ausgesprochen cool und jugendlich. Früher war der Kunstbetrieb viel seriöser. Glaubst du, dass viele Jugendliche den Weg ins Museum finden werden? Ich hoffe es sehr. Wir haben ein spezielles Rahmenprogramm für jugendliche Besucher entwickelt, für das wir in den Schulen werben. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung und will wissen, was Jugendliche von der Ausstellung halten. Vielleicht gehen sie ja auf die Barrikaden und sagen: Das sind wir gar nicht, das ist gar nicht die Jugend von heute, die ihr hier zeigt. Letzte Frage: Man ist nur so alt, wie man sich fühlt – ja oder nein? [lacht] Nein. Man ist immer so alt, wie man ist. Die Ausstellung läuft noch bis zum 25. Juni in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt am Main. Bilder: www.schirn.de

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