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Jura-Crack per Youtube?

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Die Universität Stanford bot vor zwei Jahren zum ersten Mal einen Massive Open Online Course (MOOC) an. Thema war „Artifical Intelligence“, die Idee: Uni-Themen werden speziell per Video aufbereitet, mithilfe einer Online-Plattform können dann unbegrenzt viele Menschen an dem Kurs teilnehmen und Scheine absolvieren. In Stanford schrieben sich 160.000 Menschen in den MOOC ein, 23.000 absolvierten die Prüfung. Das sind mehr Studenten, als an der gesamten Uni immatrikuliert sind.

http://www.youtube.com/watch?v=N_EgRIoIPis
Was soll das eigentlich sein, ein MOOC?

Seit Juni 2013 werden nun auch zehn deutsche Unis vom deutschen Stifterverband und der Online-Plattform iversity gefördert, um eigene MOOCs zu produzieren, darunter auch die Uni Passau. Gemeinsam mit Kollegen von der Uni Leuven und dem European University Insitute in Florenz will Juraprofessor Christoph Herrmann zum Sommersemester 2014 den ersten MOOC starten.

Herr Herrmann, warum bieten Sie zukünftig einen MOOC an? Soll so jeder innerhalb von ein paar Minuten per Youtube zum internationalen Rechtsexperten werden?
Prof. Dr. Christoph Herrmann: Nein. Jura ist keine Populärwissenschaft, die sich ohne Literaturstudium und Hintergrundwissen einfach so erklären lässt. Wir erwarten auch nicht, wie in Standford tausende Studenten mit dem Kurs anzulocken. Vielmehr könnte ich mir vorstellen, dass der MOOC eine hochwertige Ergänzung für Studierende auf Masterniveau wird und ihnen ermöglicht, ein Thema tiefergehender zu bearbeiten.

Also keine lustigen Animationen und nachgestellten Jura-Szenarien?
Eher nicht. Wir arbeiten ja gerade noch an der Umsetzung des MOOCs und es wird da sicher auch extra erstellte Videosequenzen geben. Aber prinzipiell ist Jura nur begrenzt medial visualisierbar. Da unser MOOC von mehreren internationalen Unis produziert wird, könnte ich mir eher vorstellen, dass man wie in unserem Bewerbungsvideo zum Fellowship des deutschen Stifterverbandes verschiedene Experten darin zu Wort kommen lässt, die in die Themenstellungen einführen und Anregungen zum Weiterdenken geben.

Mit besagtem Bewerbungsvideo haben Sie gerade einen über 25.000 Euro dotierten Preis gewonnen. Braucht man so viel Geld für ein Video?
Wenn man einen hochklassigen MOOC machen will, decken 25.000 Euro bei weitem nicht die Kosten, selbst, wenn wir die Filme nur mit Uni-Bordmitteln drehen würden. Ursprünglich wollten wir zehn Themen in den MOOCs abarbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass wir auch zehn Videos machen können. Es werden wohl eher vier. Alles andere ist bei diesem internationalen Projekt vom Aufwand und von den Kosten her zu viel. Der Vorteil an dem Stifterverbands-Preis ist vor allem, dass wir damit eine Online-Plattform zur Verfügung gestellt bekommen, auf der die Studenten virtuell arbeiten können. Das ist jetzt noch alles in der Entwicklung, aber ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass man dort Multiple-Choice-Tests oder Literatur zum Lehrstoff anbietet. Außerdem könnte hier verstärkt Kommunikation zwischen den Studierenden und Lehrenden stattfinden. Es gäbe mehr direktes Feedback zum Lernfortschritt.  

http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=9fnoiOEkcV8
Der Bewerbungs-MOOC der Unis Passau, Leuven und Florenz.

Was bringt der MOOC den Studenten? Bekommt man dafür am Ende einen Schein ausgestellt?
Ich könnte mir schon vorstellen, qualitativ hochwertige MOOCs in den Lehrplan zu integrieren. Ziel ist es dann aber nicht, einen Ersatz zu den Vorlesungen zu schaffen, sondern die Lehrmethoden dem Informationsverhalten der Digital Natives anzupassen. Natürlich sind wir gerade noch in der Findungsphase, was ein MOOC uns in Deutschland überhaupt bringen könnte. In den USA sollen MOOCs ja das Problem lösen helfen, dass Bildung für die Masse zu teuer ist. Dieses Problem haben wir hier eigentlich nicht.

Das klingt alles nach ziemlich viel Aufwand, um ein paar bereits hochqualifizierte Studierende anzulocken. Könnten Sie nicht einfach Ihre Vorlesungen übertragen?
Davon halte ich überhaupt nichts. Durch das Übertragen von Vorlesungen geht zu viel verloren. Weder gibt es so Interaktion zwischen dem Lehrenden und den Studierenden, noch wird das Gelernte virtuell vertieft. Die Frage, die wir Lehrenden uns doch stellen müssen, ist wie wir dem neuen Lernverhalten der Digital Natives gerecht werden. Natürlich wird auch zukünftig nichts daran vorbeiführen, dass man für Jura Bücher lesen muss. Aber zum Beispiel den Gamification-Ansatz, also spielerisches Lernen, kann man virtuell weiterentwickeln.  

Inwiefern bemerken Sie denn in Ihrer Lehre, dass sich das Lernverhalten der Studierenden geändert hat?
Das konzentrierte Lesen und Verstehen langer Texte fällt den Studierenden zusehends schwerer. Es wird seltener ein Buch in die Hand genommen. Neulich wurde in einer Hausarbeit zum Beispiel vieles nur mit Quellen von Onlinemedien belegt. Dabei hätte es Primärquellen gegeben - man muss sie nur suchen. Auch erzählen mir Studierende mitunter, dass sie auf Google nichts zu ihren Seminarthemen gefunden haben. Es muss dann wieder erklärt werden, dass Google nicht die Literaturrecherche in spezialisierten Datenbanken ersetzt.  

Denken Sie denn, dass ein MOOC das Problem der fehlenden Eigeninitiative löst? Ist es nicht noch sehr viel bequemer, wenn ein Thema hübsch aufbereitet per Youtube nach Hause kommt? Natürlich können sich Studierende bei einem MOOC theoretisch im Bikini vor den PC setzen und dabei so oft in Facebook schauen, wie sie wollen. Der Ansporn ist da natürlich geringer, als wenn ein ukrainischer Bauer einen agrarwissenschaftlichen MOOC durcharbeitet, von dem er sich effektive Verbesserungen seiner Ernte verspricht. Auch ein solcher MOOC ist - aus meiner Sicht völlig zurecht - mit einem Fellowship ausgezeichnet worden. Trotzdem sehe ich in den MOOCs eine Riesenchance. Sie werden nicht die Präsenzphasen in den Hörsälen ersetzen. Aber vielleicht schaffen sie es, Studenten wieder für Inhalte zu begeistern und zu aktivieren, sich tiefergehend mit Themen auseinanderzusetzen. Gleichzeitig erlauben MOOCs uns als Dozenten vielleicht wieder stärker, Forschung und Lehre enger miteinander zu verzahnen. So, wie es eigentlich dem universitären Ideal entspricht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Prof. Dr. Christoph Herrmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Passau.

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