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Keine Angst mehr: Frau Neuderth sagt dir, wie du stressfrei lernst

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Vorlesungen über effizientes Lernen und Prüfungsdruck - warum? Ist der Druck auf die Studenten denn größer geworden? In manchen Fächern ist er bestimmt groß. An der Universität Würzburg haben gerade 700 Erstsemester in den Wirtschaftswissenschaften angefangen. Die werden nicht alle weiterkommen können. Die Bachelor-Studiengänge sind sehr verschult – ist das beim Lernen ein Vor- oder ein Nachteil? Für Leute, die sich mit dem Lernen schwer tun, ist es sicher ein Vorteil. In einem unstrukturierten Studium tun sich manche Studenten eher schwer, eine eigenständige, längerfristige Zeitplanung zu machen. Das Verschulte kennen die meisten ja noch – aus der Schule. Warum nun diese Vorlesungen? Das hat mit den Studiengebühren zu tun und mit dem Bedarf der Studierenden. Die Kurse, die in der psychotherapeutischen Beratungsstelle des Studentenwerks für Studierende mit Prüfungsangst oder zum Thema Zeitmanagement und Lernstrategien angeboten werden, sind immer schnell voll. Und auch in unseren Lehrveranstaltungen sehen wir immer wieder Studenten, die mit Prüfungsangst kämpfen. Wir haben ja überhaupt eine Steigerung, was psychische Erkrankungen trifft - was aber vielleicht auch damit zu tun hat, dass die Leute einfach mehr darüber sprechen. Wieviele Studierende sind von Prüfungsangst betroffen? 15 bis 20 Prozent der Studenten in Deutschland geben an, dass sie ein Problem damit haben. Und wie fällt Ihnen das auf? Wenn jemand während des kompletten Referats zittert oder zu mir kommt und sagt: Entschuldigung, ich traue mir die Prüfung nicht zu.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Können Ihre Vorträge da helfen? In unserem Modellprojekt geht es nicht darum, Studierenden mit Prüfungsangst eine Therapie anzubieten. Dafür gibt es zum Beispiel die Psychosoziale Beratungsstelle des Studentenwerks. Was wir machen, ist ein Präventionsprojekt mit dem Ziel, die Prüfungsvorbereitung zu optimieren und der Entstehung von Prüfungsangst vorzubeugen. Wir setzen bei den Erstsemestern an und haben uns drei Fakultäten vorgenommen. Zwei davon gelten als besonders gefährdet: Medizin und Jura. Als dritte Fakultät haben wir die Wirtschaftswissenschaften dazugenommen. Warum sind Jura und Medizin so problematisch? Wegen des großen Stoffumfangs. Medizin ist zudem ein NC-Fach. Die Studenten hatten an der Schule null Probleme mit dem Lernen – sie gehörten zu den Besten an ihrer Schule. Jetzt sind sie unter „vielen Besten“ und der Stoff vervielfacht sich. Ohne großes Lernen klappt es plötzlich nicht mehr. Was steht bei Ihnen auf dem Stundenplan? Fragen wie: "Wie erstelle ich mir einen guten Lernplan? Was tue ich gegen Aufschiebeverhalten?" Im Januar erklären wir, wie es zu Prüfungsangst kommt und ein Professor erzählt, wie eine Prüfung eigentlich aus seiner Sicht aussieht. Glauben Sie, der ist auch aufgeregt? Der ist auch nur ein Mensch. Außerdem haben wir Tutoren aus den hohen Semestern, die in Kleingruppen zum Beispiel dabei helfen, Lernpläne zu erstellen. Die machen einen Lernplan für das Fach Chemie und sagen: Das ist wichtig, das nicht so sehr. Ist die Vorlesung verpflichtend? Nein, das ist freiwillig. In psychologische Themen kann ich niemand rein zwingen. Wieviele Leute hören dann zu? Ich mache ja drei Vorlesungen. Die Wirtschaftswissenschaftler kommen am meisten – die haben aber auch die höchsten Studentenzahlen -, das waren etwa 100. Bei Medizinern und Juristen sieht es schlechter aus. Ich glaube, das waren so um die 30. Die haben dafür wahrscheinlich keine Zeit. Naja, vom Stundenplan her hätten die theoretisch schon die Möglichkeit, die Vorlesung zu besuchen. Aber bei den Erstsemestern ist der Leidensdruck noch nicht so groß.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Psychologin Dr. Silke Neuderth (Mitte) mit den Tutoren des Präventionsprojektes gegen Prüfungsangst (von links): Marvin Beitzel, Eva Klemm, Barbara Gerlinger und Jacob Leidner Sie haben von dem Studenten gesprochen, der beim Referat zitterte. Was soll er tun? Ein Tipp: Wenn er ein Referat halten muss – unbedingt vorher in der Lerngruppe simulieren! Das ist das Beste gegen Angst. Dann gibt es Entspannungstechniken, wie wir vegetative Reaktionen zum Beispiel durch die richtige Atemtechnik in den Griff kriegen. Meistens ist man ja wegen der vielen Leute aufgeregt. Ja, die kucken mich an und ich krieg´s nicht auf die Reihe! Aber beachten Sie mal die Reaktionen: Sind die wirklich auf sie fixiert? Sind die immer aufmerksam? Sind Sie persönlich immer aufmerksam, wenn jemand anderes doziert? Naja, nicht immer. Eben! Das muss man sich vergegenwärtigen. Man steht nicht wirklich so sehr im Mittelpunkt wie man oft denkt. Wo die Aufschieberitis herkommt? Warum dysfunktionale Gedanken dir die Prüfung versauen? Warum es diese Vorlesung ohne die Studiengebühren nicht gäbe? Antworten auf der nächsten Seite.


Was kann ich in Prüfungen besser machen? Da können die Gedanken „dysfunktional“ sein. Will heißen? Ich schaue auf die Uhr und sehe: dreiviertel der Zeit sind um und ich kann nicht mehr weitermachen, weil ich nur an die Zahl der Fragen und an die Zeit denke. Dauernd. Solche Gedanken muss ich erkennen, stoppen und einen hilfreichen Gedanken entgegnen: Ich schaffe nicht mehr alles, werde aber einen Teil schaffen, wenn ich mich dranhalte. Wie macht man einen guten Zeitplan? Prioritäten setzen. Gut, das hört man oft. Und entscheidend ist: ich brauche jemand, der sich auskennt und sagt, was die wichtigsten 20 Prozent sind, die ich wissen muss. Die Tutoren etwa. Zum Beispiel. Sie brauchen vor allem realistische Pläne. Vielleicht ist es geschickter, mit einem Fragenkatalog anzufangen, als drei Bücher zu lesen. Und das Schlimmste sind unkonkrete Ziele! Etwa wie „Ich will ein toller Arzt werden“ – unkonkret. Ziele müssen spezifisch, prüfbar und realistisch erreichbar sein.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Woher kommt es denn, wenn ich alles aufschiebe? Man hat rausgefunden, dass die Studierenden, die ihr Verhalten aufschieben, oft fremdbestimmten Standards gerecht werden müssen. Der Papa hat eine Praxis, der Sohn wollte eigentlich was anderes machen, soll aber die Familientradition fortführen … und studiert lustlos. Sie sagten vorhin, die Vorlesungen gebe es auch wegen der Studiengebühren. Wie meinen Sie das? Uns stehen aus den Gebühren der Studenten 61.000 Euro zur Verfügung. Ich habe eine halbe Stelle, zudem sind 28 studentische Tutoren angestellt. Wurden an Ihrer Uni schon andere Projekte aus den Gebühren finanziert? Ja, ich bin hier an der medizinischen Fakultät und da wurde viel gemacht. Für „Gesprächsführungskurse“ zum Beispiel werden über die Studiengebühren Laienschauspieler bezahlt, die die Patienten spielen. Außerdem werden viele Tutorien angeboten. Als ich bei den Wirtschaftswissenschaftlern Tutoren gesucht habe, war es zunächst richtig schwierig, welche zu finden - weil gerade wahnsinnig viele Tutorenstellen ausgeschrieben sind. Ist die Würzburger Uni die Erste, die solche Vorlesungen im Programm hat? Es gibt viele Projekte gegen Prüfungsangst, die haben aber mehr Behandlungscharakter. Wir machen etwas, bevor die Angst auftaucht. Und die Kombination von Vorlesung und Peer-Coaching ist schon was Besonderes. Frau Neuderth, hatten Sie denn selbst Probleme mit Prüfungen? Nein. Ich habe mich immer gefreut, wenn ich mich viel vorbereitet habe und das auch jemandem erzählen konnte. Aber ich kann den Grad der Aufregung nachvollziehen. Ein bisschen Aufregung ist auch gut - das kickt. +++ Silke Neuderth arbeitet seit 1998 an der Universität Würzburg am Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie und auch an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Text: peter-wagner - Illustration: Katharina Bitzl; Foto: oH

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