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jetzt.de: Wie ist es zu deiner Faszination für Aufkleber gekommen? Oliver Baudach: Mein Vater hatte in den 70er-Jahren ein Auto, dessen Rückseite mit den typischen Rennfahrer- und Formel-1-Stickern dekoriert war. Das hat mich bereits früh geprägt. Mein erster eigener Kontakt kam aber ganz klassisch über die Panini-Alben, nachdem ich mit meiner Mutter 1977 „Star Wars“ im Kino gesehen und mir danach ein entsprechendes Album zugelegt hatte. Mittlerweile sammle ich Aufkleber bereits seit 27 Jahren.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Für Panini- oder Hanuta-Sticker hast du mittlerweile also nichts mehr übrig? Für mich persönlich haben die mittlerweile keine Relevanz mehr, aber selbstverständlich haben diese Aufkleber nach wie vor ihre Berechtigung. Das würde ich nie verurteilen, bloß weil ich mit dem Museum und meiner Sammlung mittlerweile das Glück habe, auf einem anderen Niveau zu sein. Die Wurzeln sind dieselben. Wie sieht denn deine Wohnung aus? Der Kühlschrank ist natürlich beklebt, auch Teile vom Tisch. Ich klebe aber nicht wahllos durcheinander, sondern nutze Sticker in Form von Collagen als stilvolle Dekorationsmöglichkeit. Zudem kommt neben meinem Faible für Sticker auch noch eine Leidenschaft für Vinyl, Sammeltoys und Sneaker hinzu. Diese Kombination beherrscht meine Wohnung. Aufkleber sind häufig eine sehr kurzlebige Sache. Vor zwei Jahren hast du dein Sticker-Museum eröffnet, bei dem es um das genaue Gegenteil geht, nämlich um Langlebigkeit. Wenn man einen Aufkleber als kurzfristiges Medium begreift, ist das sicherlich ein Widerspruch. Aber ich betrachte Sticker vor allem als Kunst- und Sammelobjekt. Mir geht es um eine Dokumentation der Entwicklungen, um Form und Design – und das ist keine temporäre Angelegenheit. Briefmarken wurden ursprünglich schließlich ebenfalls lediglich kurzzeitig genutzt, bevor sie zu begehrten Sammelobjekten wurden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aufkleber wurden immer auch als Möglichkeit genutzt, um Einstellungen, Meinungen und Stimmungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Wie stark wird das Medium dafür heute noch genutzt? Ich habe den Eindruck, dass Sticker noch nie so häufig für solche Zwecke genutzt worden sind wie heutzutage. Der Grund dafür ist recht simpel: Es ist noch nie so günstig und einfach gewesen, entsprechende Sticker herzustellen – oder herstellen zu lassen. Zudem braucht man sich die Sticker bloß in die Tasche zu stecken und kann sie dann überall dort anbringen, wo es einem beliebt. Man muss in Berlin ja bloß mal nach Friedrichshain oder Kreuzberg gehen. Dort ist alles zugeklebt mit solchen Stickern. Aus einem ähnlichen Grund werden Sticker auch als billige urbane Werbefläche genutzt. Das stimmt, aber die meisten Firmen nutzen Sticker glücklicherweise nicht mehr nur für pures Logo-Branding, sondern vor allem für spontane Bekanntmachungen, weil man mit Aufklebern in relativ kurzer Zeit eben relativ viele Menschen erreichen kann. Dass Firmen ganze Städte mit ihrem Logo zukleben, passiert kaum noch. Die Unternehmen wissen mittlerweile eben auch, dass so etwas ganz schnell nach hinten losgehen kann und bei der anvisierten Zielgruppe häufig nicht so gut ankommt. Auf der Homepage deines Stickermuseums steht, dass ihr dort Ausschnitte aus Kultur, Kreativität, Werbemitteln, Kommerz und Straßenkunst zeigt, die eurer Meinung nach nicht im Widerspruch zueinander stehen. Vor kurzem habe ich ein Graffiti gesehen, in dem es hieß: „Streetart is not for sale.“ Wieso existiert dieser Widerspruch für euch nicht? Das ist ein schwieriges Thema, über das man sicherlich geteilter Meinung sein kann. Es gibt durchaus Künstler, die der Meinung sind, Streetart gehöre ausschließlich auf die Straße, und die deshalb auch mein Museum nicht für gut heißen. Ich persönlich betrachte jedoch immer den Einzelfall. Wenn ein Künstler die Möglichkeit hat, durch die Zusammenarbeit mit bestimmten Firmen von seiner Kunst leben zu können und er dabei nicht seine Seele verkauft, dann ist das in meinen Augen vollkommen in Ordnung. Ich kenne einige Künstler, die diesen Weg gegangen sind und dadurch schon tolle Dinge realisiert haben. Außerdem darf man nicht vergessen, dass dadurch zum einen Streetart gepusht, und zum anderen die breite Öffentlichkeit dafür sensibilisiert wird. Für mich ist das daher nicht zwangsläufig eine schlechte Sache. Klar, es gibt es für alles Grenzen. Aber es gibt eben auch für alles Möglichkeiten. Wie ist diese Stickerkultur denn seinerzeit überhaupt entstanden? Aufkleber gibt es natürlich schon ein paar Jahrzehnte. Aber eine Kultur ist es erst in den 80er-Jahren durch die Skateboard-Firmen mit dem Wunsch nach mehr Ästhetik geworden. Als man davon weggekommen ist, Sticker nur als Werbemedium mit Markenlogo zu sehen, und man stattdessen ein stilvolles Medium daraus gemacht hat, um sich ein Image damit aufzubauen. Auch Punk-Musik hatte einen großen Anteil daran, weil sich einige der frühen Bands damals sehr viel Mühe mit der Sticker-Gestaltung gegeben haben. Mittlerweile entdecken auch immer mehr Writer die Sticker für sich, weil man zum Besprühen einer Wand sehr viel mehr Zeit investieren muss, was natürlich auch die Chance erhöht, erwischt zu werden. Und das Medium ‚Sticker’ bietet einem den Vorteil, seine Designs in Ruhe, zuhause, und in x-facher Menge herzustellen und danach in der Stadt zu verbreiten. Dadurch hat sich irgendwann dieser Streetart-Aspekt entwickelt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Im Stadtbild von Berlin ist Streetart und Sticker-Kunst sehr präsent. Macht sich innerhalb der Szene bereits Frust breit, weil der einzelne Aufkleber in der Masse kaum noch wahrgenommen wird? Nein. Für die meisten Künstler ist das eher ein Ansporn. Die Suche nach einer außergewöhnlichen Präsentationsfläche wird dadurch genauso zur Herausforderung wie die kreative Umsetzung des Designs. Neuerdings lassen viele Künstler aus einzelnen Stickern ganze Collagen entstehen, und das sieht oft toll aus. Gibt es denn so etwas wie die blaue Mauritius unter den Stickern? Nein, eigentlich nicht. Aber im Skateboard-Bereich gibt es zwei Firmen, auf deren Sticker sich jeder stürzt, weil deren Designs in den 80er-Jahren wirklich prägend waren: Powell Peralta und Santa Cruz. Diese Firmen haben Sticker schon sehr früh nicht bloß als reines Werbemedium betrachtet, sondern von Anfang an mit vielen Künstlern zusammengearbeitet. Original-Aufkleber von denen gehen daher bei Ebay heute schon mal für 200 Euro über den Tisch.

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