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Knutsch- und Trennungs-Tapes

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Weil das Wort cassette tape aus dem Oxford English Dictionary gestrichen wurde, planen der Filmemacher Zack Taylor, 29, und der Fotograf Seth Smoot, 32, einen Dokumentarfilm über das Tape. Den Film wollen die beiden New Yorker über die Crowdfunding-Plattform Kickstarter finanzieren. Wir haben mit Zack über ihr Projekt und die besondere Wirkung von Mixtapes gesprochen.

jetzt.de: Vor einigen Wochen kursierte auf Facebook ein Foto von einer Kassette und einem Bleistift mit dem Titel „Unsere Kinder werden niemals den Zusammenhang verstehen“. Willst du das ändern?
Zack Taylor: Ich habe dieses Bild auch gesehen. Ehrlich gesagt glaube ich, dass es keinen Sinn macht, wenn wir neue Technologien bremsen wollen. Ich bin sehr nostalgisch, aber finde es nicht nötig, Kindern beizubringen, wie man eine Kassette mit einem Bleistift aufwickelt. Ich glaube aber, dass die Kassette ein Lob als eines der großen musikalischen Formate des 20. Jahrhunderts verdient.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die besondere Wirkung von Mixtapes will der Dokumentarfilm "Cassette" beleuchten.

Woher kommt deine Leidenschaft für die Kassette?
Es begann schon in meiner Kindheit. Musik liebe ich schon immer, ohne dass ich das Talent dazu hätte, ein Instrument zu spielen. Meine eigenen Mixtapes aufzunehmen war die nächstbeste Sache. Als ich älter wurde, habe ich CDs gebrannt, aber ich habe schnell gemerkt, dass Mix-CDs nicht annähernd so viel Spaß machen.

Warum nicht?
Es ist viel verzwickter, eine Kassette aufzunehmen. Man muss sitzen bleiben und den Song ganz anhören, die Lautstärke und die Reihenfolge der Songs im Auge behalten, ohne dass man sie in der Abfolge schon mal gehört hat, wie wir es vom Computer gewohnt sind. Die Kassette hat ihre Fehler, genauso wie Schallplatten, CDs und digitale Audio-Dateien ihre Fehler haben. Ich denke, in diesen Schwierigkeiten, oder besser in diesem Prozess, liegt eine Schönheit. Warum muss es schlecht sein, wenn man sich einen Song ganz anhören muss? Wenn es schlecht ist, hören wir vielleicht die falsche Musik. Der Nachteil des iTunes- und iPod-Zeitalters ist, dass Songs einfach rausgekickt werden. Wir können sofort zum nächsten Track springen und ihn löschen, noch alarmierender ist, dass wir das Album nicht einmal kaufen müssen. Wir ignorieren das Schaffenswerk des Künstlers, wenn wir direkt zu dem Lied springen, das wir an diesem Tag im Kopf haben.  

Du benutzt keinen MP3-Player oder iTunes?
Doch, ich verwende beides jeden Tag. Ich denke nur, dass wir etwas verlieren, wenn wir uns weg von musikalischen Kunstwerken bewegen, von Dingen, die wir anfassen und betrachten können, Dingen, die zur Erfahrung von Musik gehören.  

Feiert die Kassette ein Comeback wie vor einiger Zeit die Schallplatte?
Nicht in der gleichen Größenordnung. Vinyl verwenden inzwischen große und kleine Plattenfirmen, die Veröffentlichungen, die auf Kassette erscheinen, umfassen dagegen meist nur 100 oder 200 Exemplare. Dafür werden die Bänder mit großer Sorgfalt gefertigt und oft sogar durchnummeriert. Es sind mehr Kunstobjekte.  

http://www.youtube.com/watch?v=7ect212UsVs

Noch ist die Kassette aber nicht so präsent.
Du wirst überrascht sein! Wie bei vielen Dingen ist es auch mit Kassetten so, dass sie überall sind - man muss nur wissen, wo man sie suchen muss. Im vergangenen Jahr berichtete die BBC, dass es mehr als 100 Kassetten-Labels allein in den USA gibt. Vor Kurzem hat uns Sony Music in Deutschland kontaktiert, die immer noch große Umsätze mit ihrer Dauerbrenner- Serie „Die Drei ???“ machen, die sowohl auf Kassette als auch auf CD erscheint.  

Welche Erinnerungen verbindest du mit der Kassette?
Meine Freunde und ich machen und tauschen Bänder, seit wir in der sechsten Klasse, also seit wir zwölf waren. Früher haben wir unsere Lieblings-Songs aufgenommen, aber auch Parodien von uns, wie wir in einer Radio-Show anrufen würden oder DJ spielen. Das zeigt, wie viel Potenzial die Kassette hat. In der einen Minute konnte sie Radiohead oder die Beatles spielen, in der nächsten hört man mich, wie ich als Kind versuche, meine Freunde zum Lachen zu bringen.

Welche Mixtapes hat du aufgenommen und verschenkt?
Viele. Als ich das erste Mal verheiratet war, habe ich meiner Frau zu jedem Monat, den wir zusammen waren, ein Tape aufgenommen, das wir dann in unserem irrsinnig kleinen Auto angehört haben. Ich habe Knutsch-Tapes und Trennungs-Tapes aufgenommen. Einmal habe ich sogar eins zu einer Taufe gemacht.  

Welche Geschichten gibt es noch?
Ich habe mal ein Mädchen mit einem Mixtape rumgekriegt, das ich für sie aufgenommen habe. Sie hatte damals eine Fernbeziehung und hat immer auf eine Nachricht von dem anderen gewartet. Als sie eine Woche nichts von ihm gehört hat, wurde sie richtig depressiv. Ich dachte, es wäre schön, ihr ein Mixtape mit Songs zu machen, die sie gerne mag. Ich habe es ihr mit der Post geschickt, obwohl wir in der gleichen Stadt gelebt haben. Es hat sie umgehauen! Das ist wohl auch das Geheimnis: Jemandem ein Mixtape zu schenken, ist etwas Besonderes, weil man so viel Zeit und Mühe reinstecken muss. Ich bin sicher, es war nicht die Kassette an sich, mit dem ich dieses Mädchen rumgekriegt habe, sondern der Prozess, das Mixtape aufzunehmen und es ihr zu schenken.  



In welchem ​​Umfang hat die Kassette die Populärkultur beeinflusst?
Mehr als wir jetzt verstehen. Alles, was für uns beim Musikhören selbstverständlich ist, haben wir der Kassette zu verdanken. Die Möglichkeit, sich selbst aufzunehmen, eigene Wiedergabelisten zu erstellen, die Musikindustrie zu umgehen um Musik zu erhalten; das hat alles schon die Kassette ermöglicht, Jahrzehnte vor den digitalen Möglichkeiten. Hinzu kommt, dass die Musik aus der Ära der Kassette, sei es Punk, Garage oder Hip-Hop, nie aufgehört hat, Musik und Popkultur zu beeinflussen.  

Worum geht es in eurem Film genau? 
„Cassette“ verfolgt die Ursprünge des Tapes in den sechziger Jahren bis zu ihrem Höhepunkt in den Achtzigern und ihrem Comeback in den vergangenen fünf Jahren. Der Großteil unseres Films wird aus Interviews mit Leuten bestehen, die eine Leidenschaft für Tapes haben oder die in den vergangenen Jahren viel damit zu tun hatten. Wir wollen auch Archivmaterial aus den frühen Tagen der Kassette nutzen, um den Optimismus darzustellen, der zu jedem technischen Fortschritt gehört. Als Seth und ich mit dem Dokumentarfilm begonnen haben, hatten wir keine Ahnung, dass noch Tapes produziert werden. Wir waren haben uns gefreut und dachten, um unsere Geschichte abzurunden, müssen wir herausfinden, wie man die Kassette heute benutzt.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Zack Taylor dreht einen Dokumentarfilm über das Tape.

Was habt ihr herausgefunden?
Bänder sind heute genauso funktional wie sie es vor 30 Jahren waren. Sie geben immer noch Musik oder Tonaufnahmen wider, sie können immer wieder überspielt werden. Aber wie alles, was in Vergessenheit geraten ist, die Kassette, die Schallplatte, die Schreibmaschine, sogar das Buch, was früher ganz normal war, hat heute eine gewisse Hipness. Boutiquen in London und hier in New York verkaufen leere Kassetten in verschiedenen Farben, Tapes tauchen immer noch auf T-Shirts, Album-Covern und sogar iPhone-Taschen auf.  

Was habt ihr bisher schon für euren Film gemacht?
Vor kurzem bin ich wieder aus Großbritannien zurückgekehrt, wo ich meinen Master-Abschluss in Film gemacht habe. Dort gibt es ein riesiges Netzwerk von Kassetten-Labels und Sammlern. Wir haben mit Phil Marshall von der Band Tapeworm gesprochen und auch mit einigen seiner Künstler Interviews geführt. Wir haben mit einem Hersteller in Manchester gesprochen und mit einem weiteren großartigen Label in London, My Dance the Skull, mit dem schon Thurston Moore von Sonic Youth zusammengearbeitet hat. Die Liste geht weiter, von Musikern bis hin zu Ladenbesitzern. Jetzt bin ich wieder in New York, hier haben die Rap-, Hip-Hop- und B-Boy-Kultur eine lange Tradition. Das meiste für den Film können wir hier in der Stadt machen. Wir haben herausgefunden, dass die Kassette aus wirtschaftlichen Gründen in den vergangenen Jahren nie weg war. Viele ärmere Länder haben dazu beigetragen, das Tape am Leben zu halten.  

Inwiefern haben ärmere Länder dazu beigetragen?
Simbabwe zum Beispiel erlebt einen starkes Revival der Musikkassette, dort verkaufen sich fabrikmäßig hergestellte Kassetten deutlich besser als ihre Konkurrenz, nämlich Raubkopien von CDs. Musikkassetten und Raubkopien von CDs kosten gleich viel, natürlich wählen die Leute die Variante, die am längsten hält und am besten klingt. Reisen werden für unseren Film auch wichtig sein, weshalb wir erst einmal Geld gebraucht haben. 

Ihr habt auf Kickstarter Geld gesammelt. Wie lief die Aktion?
Bei Kickstarter ist es so, dass man eine Aktion maximal 60 Tage laufen lassen kann. Es gibt kein Limit, welche Summe man sammeln darf, aber wenn man es nicht ganz erreicht, bekommt man gar nichts. Wir haben 25.000 Dollar angegeben, am Ende hatten wir sogar ein bisschen mehr bekommen. Seth und ich waren und sind überwältigt von der Unterstützung, die wir aus der ganzen Welt bekommen haben.

Wofür brauchst du das Geld?
Einen Film zu drehen, ist einfach teuer. Kamera- und Tontechnik, die Zeit, die die Crew investieren muss, die Ausrüstung, um den Film zu bearbeiten, zu verbreiten und zu vermarkten. Bei unserem Film geht fast das ganze Geld für die Reisen und den Ausrüstungsverleih drauf.

Was macht ihr als nächstes?
„Cassette“ hat gerade erst begonnen. Seth und ich haben damit angefangen, Interviews mit Musikern und Historikern zu vereinbaren und schon ein paar geführt. Wir müssen immer noch entscheiden, wie die Story genau aussehen wird und wie wir eine Geschichte erzählen können, die 50 Jahre umspannt und Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen direkt oder indirekt berührt hat.

Wann und wo können wir den Film sehen?
Wir hoffen, dass wir damit Anfang 2013 fertig sind. Die Uraufführung wird in New York sein, aber wir hoffen, dass wir ihn auf Festivals in ganz Amerika, Europa und Afrika zeigen können.

Text: kathrin-hollmer - Foto: Zack Taylor und Seth Smoot

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