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Krankenhaus der Simulanten: Schauspieler retten dein Medizin-Studium

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[b]Herr Dr. Friederichs, welchen Vorteil bringen mir Schauspieler, die vor mir im Bett liegen und eine Krankheit simulieren? Wirkt das tatsächlich überzeugend?[/b] Sie müssen bedenken: Nicht nur die Patienten haben Angst vor jungen und unerfahrenen Ärzten, sondern auch junge Ärzte haben Angst vor dem ersten Kontakt mit echten Patienten. Junge Ärzte fürchten sich vor fordernden und sehr gut informierten Patienten. Da hilft diese Übung, Ängste abzubauen und im Gesprächsverhalten Sicherheit zu gewinnen. Was die Leistung der Schauspieler angeht – die ist maximal realistisch, genau wie die Umgebung. Selbst Fußboden, Fußleisten und Türklinken sind wie in einem echten Patientenzimmer. Kleiner Unterschied sind natürlich die technischen Einheiten, wie die Kamera. Aber da die Studenten in direkter Interaktion mit dem Schauspieler stehen, haben sie die Kamera meistens nach drei Sekunden schon vergessen. Wir hatten auch erst Befürchtungen wegen der großen Spiegelscheibe, hinter der die Beobachter sitzen, aber im Gespräch nehmen Schauspieler und Student den Spiegel gar nicht mehr bewusst wahr.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[i]Foto: Blick durch die Spiegelglas-Scheibe / Studienhospital Münster[/i] [b]Warum muss ich denn mit Schauspielern trainieren? Kann ich nicht direkt mit echten Patienten arbeiten?[/b] Wir hatten vorher schon Erfahrung mit Simulationspatienten, das waren dann ehemalige echte Patienten, das wirkte sehr authentisch. Bei uns liegt jetzt die Betonung aber eher auf der Kommunikationsfähigkeit des Arztes, da sind Schauspieler besonders gut geschult. Bei der anschließenden Gesprächs-Analyse können sie gut feststellen, ob Augen- und Körperkontakt hergestellt wurden, wie die räumliche Ebene und die Höhe der Kommunikation aussahen, wie die Körpersprache insgesamt wirkte. Der Kommunikationsaspekt ist in den Feedbackrunden entscheidend. Noch ein griffiges Beispiel: Wir haben einen Schauspieler mit Migrationshintergrund, der spricht perfekt deutsch, kann aber gebrochenes Deutsch simulieren. In der Feedbackrunde benennt er auf Hochdeutsch dann die Sprachprobleme und erklärt, wie man seine Sprache anpassen muss. Zusätzlich kann er vermitteln, welche sozialen und moralischen Erwartungen zum Beispiel ein Moslem an einen Arzt hat. Das ist selbst für die Lehrenden eine große Hilfe. Wir wollen auch weitere Fälle mit spezifischen Kommunikationsproblemen einbinden, zum Beispiel geistige Behinderungen. [b]Sie sagen aber, der Lernerfolg sei am größten, wenn das Lernen in einem realistischen Umfeld erfolgt. Wäre es dann nicht doch besser, wenn ich schon viel früher im Studium mit echten Patienten konfrontiert wäre?[/b] Da muss man zwei Punkte unterscheiden. Erstens muss erstmal das erforderliche Hintergrundwissen vorhanden sein, nur dann können Studenten gezielte Fragen an den Patienten stellen. Vorher wäre es dem Studenten selbst gegenüber unfair, darum beginnen wir mit der Praxis ab dem dritten Studienjahr. Zweitens liegen nicht jede Woche 20 Leute mit einem entzündeten Blinddarm im Krankenhaus. Für alle Studenten müssen das gleiche Niveau und das gleiche Spektrum vorliegen, um die Lernziele auch vermitteln zu können. Das geht über Schauspieler natürlich besonders gut. [b]Das Studienhospital ist nun seit ein paar Wochen geöffnet. Welche Probleme tauchen denn noch auf?[/b] Das Studienhospital ist ja eine absolut neue Einrichtung. Wir machen noch Fehler, wollen aber daraus lernen. Primär sind das organisatorische Belange, die optimale Ausstattung und die akademische Betrachtung der Übungseinheiten. Dafür müssen wir aber erstmal die Befragungen der Studenten und die Evaluation abwarten, das wird frühestens nach einem Jahr der Fall sein. [b]Bekommt denn wirklich jeder Student die Gelegenheit, „am Simulanten“ zu trainieren? Muss ich dafür besonders gut sein?[/b] Wir haben im Grundstudium pro Semester circa 140 Studenten. Jeder bekommt dabei gleich häufig die Chance, im Studienhospital zu trainieren. Das ist ein hoher logistischer Aufwand, aber eine absolute Grundvoraussetzung. Es gibt nichts Schlimmeres, als die ungerechte Behandlung von Studenten, die eh schon durch ein striktes Auswahlverfahren bewiesen haben, dass sie gut sind. Sie noch einmal aufzuteilen wäre ja eine Bestrafung. [b]Spricht es sich unter meinen Kommilitonen nicht vorher schon herum, welche Krankheitsbilder die Schauspieler überhaupt beherrschen?[/b] Natürlich spielt der Reiz des Detektivischen eine Rolle, wenn man ein Krankheitsbild erforscht. Wir betonen aber, dass in diesem Stadium vor allem Patienten-Gespräche und die Schaffung der richtigen Atmosphäre trainiert werden sollen. Wie wird ein Patienten-Gespräch eröffnet, ist es persönlich oder eher neutral, wie kann man ein Gespräch sinnvoll beenden und dabei möglichst viele Informationen über den Patienten gesammelt haben – das sind wichtige Punkte. [b]Sie planen einen umfassenden Ausbau, es sollen ein Intensivtrakt, eine Ambulanz und auch ein OP-Saal entstehen. Wie soll das finanziert werden? Fließen auch meine Studiengebühren in die Finanzierung ein?[/b] Wir müssen bestimmte Anträge im Rahmen „Innovativer Lehre“ stellen, um überhaupt Gelder aus Studiengebühren zu bekommen. Wir haben für ein Jahr die halbe Stelle einer Psychologin bewilligt bekommen. Das deckt die Kosten natürlich nur marginal. Der Rest kommt aus der öffentlichen Hand und von Sponsoren. [b]Welches Interesse haben denn große Krankenhaus-Ausrüster, mein Studium zu sponsern?[/b] Sie können ihre Produkte präsentieren und unter realen Belastungsbedingungen testen. Die Einrichtung wird schließlich jeden Tag von mindestens 50 Studenten genutzt. Zudem können technische Geräte in Ruhe ärztlichen Kollegen vorgestellt werden, ohne Betriebsabläufe im Krankenhaus zu stören. [b]Welche Krankheit könnten Sie besonders gut spielen?[/b] Ich glaube, ich wäre bei Lebererkrankungen ganz gut. Ich kann auch den „Facharzt-Sturz.“ Das ist ein Fahrradsturz, zu schnell in der Kurve bei leicht gefrorenem Boden. Auf der nächste Seite erzählt Medizin-Student Philipp, warum er neidisch auf die jüngeren Semester ist.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[i]Foto: Patientengespräch / Studienhospital Uni Münster[/i] [b]Interview mit Philipp Mertens, 25, Medizin-Student und Tutor am Studienhospital[/b] [b]Hallo Philipp, du bist Tutor im Studienhospital und hilfst den jüngeren Semestern in den Anamnese-Kursen. Du kennst den Unterschied zwischen den alten Kursen und dem heutigen Studienhospital. Was macht den großen Unterschied aus?[/b] Ich bin kein Freund der theoretischen Universität, aber das Studienhospital ist eine wirklich gute Einrichtung. Früher war der Kurs immer nach 20 Minuten zu Ende, weil keiner wusste, was er überhaupt noch fragen oder sagen sollte. Danach haben wir uns gegenseitig zu fiktiven Leiden ausgefragt, dabei waren wir dann natürlich nett zueinander und das Ganze brachte wenig. Heute gibt es die Schauspieler und der Kurs füllt locker 90 Minuten, das Interesse bei den Studenten ist auch deutlich höher. Das Modell hätte ich auch gerne gehabt, als ich in den unteren Semestern war. Zudem lassen die Schauspieler die Studenten genauso auflaufen, wie das älteren Semestern in ihren ersten Praktika im Krankenhaus passiert ist. Da erkennt man sich dann oft selbst wieder, welche Fehler einem früher unterlaufen sind. Das ist alles sehr realistisch. [b]Bei der Simulation wird man von Arzt beobachtet. Obendrauf sitzen hinter einer Spiegelscheibe eine Psychologin und einige deiner Kommilitonen. Eine Kamera läuft mit und zeichnet alles auf. Fühle ich mich da nicht unter besonders starkem Druck?[/b] Die Studenten sind am Anfang schon ein bisschen nervös, weil sie keine Ahnung haben, wie so ein Gespräch abläuft. Obendrauf sind sieben Leute dabei und gucken zu, das ist natürlich nicht ganz einfach. Aber die Skepsis legt sich schnell, sobald man ein bisschen Routine bekommt – und das ist ja auch das Ziel. Außerdem hat das Ganze null Prozent Prüfungscharakter, es geht nur darum, sich selbst zu testen. Wenn ich nach drei Minuten lauthals lachend rauslaufen muss, dann ist das vielleicht eine Erfahrung, die ich sonst später mal unvorbereitet in der Klinik gemacht hätte. Insgesamt ist das schon ein super Training für die Sozialkompetenz. [b]Spricht es sich nicht unter den Kommilitonen schon vorher herum, welche Symptome einem vorgespielt werden?[/b] Das kann passieren, aber darum geht es ja auch nicht primär. Klar ist es gut, wenn man eine Verdachtsdiagnose hat, auf die man hinarbeiten kann. Aber wenn man im vierten vorklinischen Semester ist, dann hat man logischerweise von Pathologie noch recht wenig Ahnung. Daher kennt man auch viele Krankheitsbilder noch nicht. Es geht eher darum, verschiedene Patientencharaktere kennenzulernen. Da ist die Furie, genauso wie der Introvertierte, der Patient mit den stärksten Schmerzen und einer, dem man alles aus der Nase ziehen muss. So kann man sehr gut seine Gesprächsfähigkeiten trainieren. [b]Wäre es nicht besser, statt mit Simulanten direkt mit wirklich kranken Patienten konfrontiert zu sein?[/b] Die höheren Semester kennen das nicht anders. Man wurde ins kalte Wasser geworfen, ohne Vorbereitung auf die Kommunikation mit den Patienten. Dazu kam dann oft noch ein Stationsarzt, der wenig Zeit hatte, etwas zu erklären, das waren nicht die besten Voraussetzungen. Wenn man mal die wichtigsten Charaktere und Gesprächsverläufe vorher als Übung kennengelernt hat, gewinnt man schon vor der Klinik an Selbstsicherheit. Wenn man nachts um drei Uhr in der Notaufnahme steht und jemanden hat, der nur schreit und jeder Handgriff tut ihm weh, dann ist es hilfreich, wenn man den Ablauf schon mal unter kontrollierten Bedingungen üben konnte. [b]Welche Krankheit könntest du besonders gut spielen?[/b] Wahrscheinlich Bauchschmerzen, das ist einfach – und für Studenten ist das besonders interessant, denn da gibt es dann immer eine große Bandbreite an Interpretationen.

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