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Kussverbot? Einfach wegküssen

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Vierzig Pärchen haben sich am Montag vor dem Sitz des Landesschulrats in Linz versammelt - leidenschaftlich küssend. Anlass dafür war ein Knutschverbot an einer Hauptschule in Gunskirchen in Oberösterreich, nachdem vorher Mädchen von Jungs auf dem Pausenhof zum Küssen gedrängt worden waren. Das Verbot wurde vom lokalen "Schulforum" verhängt und hat viele Schüler geärgert - jetzt.de sprach mit Gegnern und Befürwortern. Klaus Baumgartner ist Abiturient, 20 Jahre alt und Bundesvorsitzender der AKS*, einer österreichischen Schülerorganisation: Klaus, vielleicht erklärst du noch einmal, was genau verboten wurde, und vor allem: Warum? Klaus:Seit einer Weile ist an der Hauptschule Gunskirchen das Küssen verboten. Also: kein Küssen auf den Mund oder die Wange. Veranlasst hatte das die Schülerunion zusammen mit Eltern und Lehrerschaft. Angeblich war es zu ein paar unangenehmen Vorfällen gekommen, bei denen Mädchen ausgegrenzt und gemobbt wurden, weil sie sich nicht an der Begrüßungsküsserei beteiligt hatten, die wohl an der Schule üblich war. [b]Angeblich? Heißt das, das ist gar nicht belegt?[/b] Nun, wir kennen keine Beweise dafür, nein. Dieses Argument kam auch erst später in der Diskussion auf, als wir den Kontakt zur Schülerunion gesucht haben und uns zu Wehr setzten. Ich glaube, es gab keinen wirklichen Anlass dafür. Als AKS fühlen wir uns daher natürlich mitverantwortlich, die Schüler in Gunskirchen zu vertreten. [b]Worüber ärgert ihr euch denn am Meisten?[/b] Dieser Beschluss ist ein weiteres sinnloses Verbot, von denen es an österreichischen Schulen schon so viele gibt. Es gibt Verbote, Piercings oder Trägertops zu tragen, Handys zu benutzen, oder das Rauchverbot. Das Kussverbot finde ich deswegen schlimm, weil küssen doch zur sexuellen Entwicklung dazugehört und das Schöne am Schulalltag ausmacht. Mensch, die sind alle dreizehn, vierzehn und vielleicht grade zum ersten Mal richtig verliebt. Da will man doch ein bisschen küssen. Das verbieten zu wollen, ist, als würde man den Jugendlichen verbieten, jung zu sein. Außerdem beklagt jeder, dass die Schüler immer gewalttätiger werden. Dann küssen sie sich mal, und es ist auch nicht recht.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Szene von der Kussdemo. [b]Wie habt ihr euch gegen den Beschluss gewehrt?[/b] Wir haben am Montag zu einer Kuss-Demonstration aufgerufen. Dabei haben sich ungefähr vierzig Paare vor dem Landesschulratsgebäude in Linz, dem Sitz des Schulratspräsidenten Fritz Enzenhofer, versammelt. Tja, und die haben sich dann alle geküsst. Das war eine lustige Aktion. Viele Passanten sind stehengeblieben oder wollten spontan mitmachen. Wir wollen uns das Küssen nicht verbieten lassen, schon gar nicht, wenn wir bei Beschlüssen dieser Art nicht einmal Mitspracherecht haben. [b]Und wie war die Reaktion des Landesschulratspräsidenten?[/b] Er hat uns dann reingelassen und sich zum Gespräch bereiterklärt. Viel rausgekommen ist allerdings nicht. An der ganzen Geschichte stört uns ja nicht nur das Kussverbot, sondern einfach die Tatsache, dass die Schüler bei solchen Beschlüssen immer außen vor sind. Ein Generalverbot bewirkt immer das Gegenteil. Wir wollen einfach mehr mitreden und angehört werden, das hat Herr Enzenhofer nicht recht verstanden. Auch das Angebot, sich mal von uns küssen zu lassen hat er ausgeschlagen. [b]Wie sieht die Lage an der Hauptschule inzwischen aus?[/b] Das Verbot besteht noch, allerdings jetzt in sprachlich gemilderter Form. Natürlich gibt es ein paar Schüler, die provozieren wollen und sich erst recht dagegen auflehnen. Die Mehrheit nimmt es aber hin, weil die Schüler sowieso immer am kürzeren Strang ziehen. Daher wurden wir aktiv. Wir wollen das ändern. * Die Aktion kritischer Schüler, AKS, ist eine Schülerorganisation Österreichs mit mehreren 100 Aktivisten und mehreren Tausend Mitgliedern. Politisch steht sie links, der SPÖ verbunden. Die AKS kämpft nach eigenen Angaben für eine angstfreie, demokratische und sozial gerechte Schule. Was die Vertreter der Schülerunion zu dem Beschluss sagen? Lies mehr auf der nächsten Seite.


[i]Matthias Hansy, 21, studiert Jura und ist Bundesobmann der österreichischen Schülerunion*.[/i] [b]Matthias, die Schülerunion nimmt für sich in Anspruch, die Schüler da zu vertreten, wo es denen nicht möglich ist. Wie konnte es mit diesem Ansatz zu einem Kussverbot kommen?[/b] [b]Matthias:[/b] Es gab in der Tat Vorfälle an der betroffenen Schule, wo provokativ herumgeküsst wurde und Schüler ihr Knutschen auch zur Schau gestellt haben. Daraufhin wurden einige Mädchen aufgefordert, doch mitzumachen. Es ist konkret passiert, dass ein paar Burschen die Mädchen richtig belästigt haben und sie gedrängt haben, sie zu küssen. Als diese sich weigerten mitzumachen, wurden sie dafür gemobbt und ausgeschlossen. Daraufhin wurde der Beschluss unter Einbezug der Lehrer, Eltern und uns von der Schülerunion erlassen, der das untersagt. [b]Das heißt, der Beschluss ist kein sinnloses Verbot?[/b] Nein, uns liegt wirklich viel am Wohl dieser Mädchen. Wir wollen ja im Interesse der Schüler handeln, nicht gegen sie. Daher gilt dieser Beschluss ja auch ausschließlich an der besagten Schule. Wir wollen keine zwischenmenschlichen Berührungen unter den Schülern verhindern, das ist Quatsch. [b]Und welche Rolle spielt die Schülerunion in der Geschichte?[/b] Wir sind aktiv geworden, nachdem dieser Beschluss gefasst wurde und haben zusammen mit dem Schulforum einen Weg gesucht, den Beschluss klarer zu machen und etwas aufzulockern. Das ist ja insofern auch gelungen, dass normale Berührungen und Begrüßungsküsschen absolut okay sind. Nur zur Schau gestelltes Knutschen sollte unterlassen werden. Die AKS vertritt bei diesem Problem eben eine etwas andere Ansicht, die wir natürlich auch respektieren. [b]Haben Sie nicht auch gern an der Schule geknutscht? Das ist doch das Beste, wenn man vierzehn ist, zum ersten Mal verliebt.[/b] (lacht) Naja, ich hab irgendwie meine Freundinnen nie an der Schule gehabt. Aber im Ernst: Wir wollten den Pärchen nie ihr Glück verbieten. Sie sollen sich einfach nicht in die Mitte des Schulhofes stellen, sondern sich ein lauschigeres Plätzchen suchen. Das ist doch sowieso netter. Außerdem läuft es später im Berufsleben nicht anders. Da wird auch nicht öffentlich geknutscht. [b]Haben Sie denn Verständnis für die Kuss-Demonstration der verärgerten Schüler?[/b] Sicher habe ich das. Ich sehe die Kuss-Demo als einen Akt der Emotionen. Die Schüler sind wütend, und wollen ernst genommen werden. Da ist es schon mal schwierig, einen kühlen Kopf zu bewahren. Aber man muss die Dinge ja auch mal in einen größeren Kontext bringen: Ich meine, das Kussverbot wird jetzt medial überall durchgekaut, weil es eine öffentlichkeitswirksame Geschichte ist. Allerdings haben wir hier in Österreich ähnlich wie in Deutschland mit viel größeren Problemen an Schulen zu kämpfen. Erst am 25. November gab es eine Demonstration gegen eine von der ÖBB geplante Fahrplanänderung, die absolut zum Nachteil vieler Schüler wäre. Da waren über zweitausend Schüler beteiligt. Das ist eine andere Größenordnung. * Die Schülerunion e.V. ist die größte österreichweit aktive Schülerorganisation, die ihren Aufgaben- und Kompetenzbereich nach eigenen Angaben ausschließlich im schulpolitischen Sektor sieht. Sie stützt sich auf drei Grundsätze: Aktion, Service und Vertretung. Sie sieht sich den Interessen der Schülerinnen und Schüler verpflichtet und sieht sich als deren Vertreter. Durch Sitze in den gewählten österreichischen Schülervertretungen hat sie Einfluss auf die Bildungspolitik und Anhörungsrechte in Landes- und Stadtschulräten sowie im Ministerium.

Text: christiane-lutz - Fotos: privat

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